Endlich wieder ein Deutscher?
Powerplay in Berlin: Deutschland braucht endlich wieder einen Top-Posten in Brüssel, fordert Unionsfraktionschef Kauder. Der CSU-Politiker Weber soll Kommissionschef werden, sekundiert G. Oettinger, Merkels Mann in Brüssel.
Beide Wortmeldungen suggerieren, dass Deutschland bisher zu kurz gekommen wäre. Mehr als 50 Jahre habe man schon nicht mehr den Kommissionschef besetzt, heißt es denn auch Mitleid heischend in Berlin – W. Hallstein war der letzte.
Na und? Dafür wird die Brüsseler Behörde schon jetzt vom deutschen Juristen M. Selmayr gesteuert, der sich regelmäßig mit dem Kanzleramt abspricht. Zuletzt hat er für Kanzlerin Merkel sogar einen Sondergipfel in Brüssel organisiert.
Außerdem ist da noch Oettinger. Als Budgetkommissar sorgt er dafür, dass der nächste EU-Haushalt, der bis 2027 (!) reicht, deutschen Wünschen entspricht. Außerdem hat er Merkels rote Linien für die Euro-Reform eingebracht.
Auch sonst sieht es nicht schlecht aus: Deutsche führen die Europäische Investitionsbank, den Euro-Rettungsschirm, den Rechnungshof und das Sekretariat im Europaparlament, wo fast alle Fraktionen von Deutschen geführt werden.
Trotzdem kann man natürlich der Meinung sein, dass auch mal wieder ein Deutscher die Europäische Kommission führen sollte. Doch dann sollte es – bitte schön – ein gestandener Politiker mit einer überzeugenden Vision für Europa sein.
Von Weber kann man das nicht behaupten. Er hat nie ein Ministeramt bekleidet, nie einen echten Wahlkampf geführt, nie eine große Rede gehalten. Seine Nähe zu Ungarns Orban ist ein Ärgernis; sie könnte sich noch als Stolperstein erweisen.
Eine Hintertür nach Brüssel – für Merkel?
Das Hauptproblem liegt aber ganz woanders – in der deutschen Hauptstadt. Wenn Kauder und Merkel die Führung beanspruchen, dann müssen sie auch sagen, wo die Reise hingehen soll. Doch dazu waren sie bisher nicht fähig.
Stattdessen haben sie erst Macrons „Neustart“ der EU blockiert und dann den mit der SPD vereinbarten „Aufbruch für Europa“ in den Sand gesetzt. Lässt sich daraus ein überzeugender Machtanspruch für Brüssel ableiten?
Wohl kaum – es sei denn, es ginge nur… um die Macht. Oder will sich Merkel eine Hintertür offen halten – um 2019 einen ihrer Minister nach Brüssel zu schicken, oder gar selbst in ein EU-Amt zu wechseln?
Siehe auch „Der Euro spricht deutsch, Monsieur Macron“ sowie die Sommerserie zum abgebrochenen „Aufbruch für Europa“
Holly01
31. August 2018 @ 10:43
Es wird keinen deutschen Kandidaten geben.
Diese „Drohungen“ dienen ausschließlich dem Zweck, jeden Kandidaten bestätigen zu wollen.
Das ist die gute alte deutsche Blockadepolitik.
„Wir machen nichts, aber ohne uns geht auch nichts“.
Mit Schulz ist diese Idee für eine ganz Zeit lang gescheitert.
Die Deutschen werden (wie eigentlich immer) den prestigeträchtigen Grußaugust jemandem überlassen, der ihnen (also uns) ausreichend (wirklich) wichtige, aber unsichtbare Schlüsselpositionen in der Hierarchie anbietet.
Dann kann Merkel wieder das „Trauergesicht“ aufsetzen und ihre „vollste Unterstützung“ zum Ausdruck bringen …
vlg
Rudi Ehm
31. August 2018 @ 07:57
Gut. Erstens werden wir noch beliebter. Zweitens ist dann klar, wer das Sagen in der EU hat. Drittens dürfte die Hausmacht des Weber nach der EUWahl klein sein. Viertens kann die CSU nicht mehr zweigleisig fahren. In Bayern auf die EU schimpfen und in Berlin und Brüssel dienern.
Peter Nemschak
31. August 2018 @ 07:55
Wohin? In ein Europa nolens volens der politischen Vielfalt. Nicht leicht, einen Präsidenten zu finden, der alle unter einen Hut bringen kann. Wenn ein Deutscher es wird, wer wird dann Draghi nachfolgen?