Summertime Madness

Erst hielt er die Ergebnisse geheim, dann spielte er sie herunter – doch nun will sich Kommissionschef Juncker an die Spitze der Bewegung gegen die Sommerzeit setzen. Dabei ist die Zeitumstellung eine deutsche Obsession – und es gibt wichtigere Probleme.

Für die deutschen Medien war die Abschaffung der Sommerzeit eine Eilmeldung. „Die Menschen wollen das, wir machen das“ sagte Juncker im ZDF-„Morgenmagazin“. SPON & Co. zogen in Sekundenschnelle nach.

Ganz anders sieht die Sache in Frankreich oder UK aus. Auch Stunden nach Junckers Ankündigung sucht man vergeblich nach Meldungen in „Le Monde“ oder im „Guardian“.

Erstaunlich ist das nicht – denn die Umfrage der EU-Kommission hat fast nur die Deutschen beschäftigt. 80 Prozent der Teilnehmer kamen aus dem größten EU-Land, repräsentativ geht anders.

Es ist denn auch kein Zufall, dass Juncker seine Ankündigung im ZDF machte – und nicht in seiner „Rede zur Lage der Union“ im Europaparlament in Straßburg, wie ursprünglich geplant.

Der Luxemburger bedient die deutsche Volksseele, man könnte es auch Populismus nennen. Und das pünktlich zu Beginn des Europawahlkampfs, bei dem ein Deutscher für die Juncker-Nachfolge antritt.

Aber Vorsicht, liebe deutsche Leser und Wähler: Dass Juncker den Leuten nach dem Mund redet, bedeutet noch lange nicht, dass die Sommerzeit tatsächlich abgeschafft wird. Das letzte Wort haben nämlich die EU-Staaten.

Und die haben ganz andere, wichtigere Sorgen. Der Brexit in UK, die Regierungskrise in Frankreich, der Flüchtlingsstreit in Italien – das sind die Themen, um die sich Juncker kümmern sollte.

Auch die Vorgänge in Chemnitz beschäftigen die Menschen in ganz EUropa. In Paris und London sieht man mit Sorge, wenn in Deutschland Neonazis aufmarschieren. Doch dazu schweigt Juncker…

P.S. Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung getroffen, noch bevor die Ergebnisse ihre Befragung vollständig ausgewertet und veröffentlicht wurden. Immerhin liegen Zahlen zur Beteiligung an der Online-Umfrage vor. Hier ein Auszug:

Germany 3,79%
Austria 2,94%
Luxembourg 1,78%

Italy 0,04%
Romania 0,04%
United Kingdom 0,02%

Könnte gut sein, dass sich Italiener, Rumänen und Briten übergangen fühlen, oder?