Sommerserie: Haben die Sanktionen ihr Ziel erreicht?

In Europa herrscht wieder Krieg – und die EU kämpft mit. Wie konnte es dazu kommen, und wo soll das alles enden? Unsere Sommerserie versucht, die wichtigsten Fragen zu beantworten. Heute: Haben die Sanktionen ihr Ziel erreicht?

Die kurze, politisch nicht korrekte, Antwort heißt: Nein. Die Sanktionen haben ihr Ziel – ein schnelles Ende des Krieges – nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie haben eine zweite Front – den Wirtschaftskrieg – eröffnet, der den Konflikt mit Russland verschärft und verlängert.

Indirekt wird dies sogar in Brüssel zugegeben. Man müsse einen langen Atem haben und weiter an der Sanktionsschraube drehen, um Wirkung zu erzielen, heißt es. Doch was ist die erwünschte Wirkung? Sie wurde nie eindeutig definiert und immer wieder modifiziert.

Zunächst hieß es, Sanktionen sollten Russland von einem Krieg abschrecken. Dieses Ziel wurde klar verfehlt.

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By aiming to undermine the Kremlin’s ability to pursue the invasion, sanctions are contributing to restoring peace in Ukraine and the region.

EU Commission Q&A on sanctions

Dann hieß es, es gehe darum, Russland zu “ruinieren” bzw. so weit zu schwächen, dass es den Krieg beendet und Frieden einkehrt. Auch dieses Ziel wurde verfehlt. Ein Indikator, auf den sich die EU zunächst offiziell berief – der Rubel – hat sich sogar wieder erholt.

Demgegenüber ist die Automobil- und Luftfahrtindustrie in die Krise gerutscht. Indirekt könnte dies auch die Rüstungsindustrie treffen und die Kriegsführung behindern. Bisher gibt es aber keine Anzeichen, dass diese – durchaus erwünschte – Wirkung eintritt.

Ein weiteres, vor allem in Deutschland propagiertes Ziel, lautete, “Putins Kriegskasse” zu leeren, indem die Einnahmen aus Kohle, Öl und Gas gekappt werden. Auch das hat nicht funktioniert. Die russischen Einnahmen aus Öl und Gas sind sogar höher als vor dem Krieg.

Politisch brisant wird die Bilanz, wenn man das Kosten-Nutzen-Verhältnis betrachtet. Die Sanktionen dürften der EU nicht mehr schaden als Russland, hieß es.

Doch nach der Ausrufung des Gas-Notstands geht auch diese Rechnung nicht mehr auf. Der Schaden ist enorm, Europa muß sich auf eine Rezession und eine Eurokrise einstellen.

Deutschland und die EU sind in die Defensive geraten, einige Umfragen deuten auf eine wachsende Skepsis bzw. Ablehnung der Sanktionen hin. Kanzler Scholz hält jedoch unbeirrt an seinem Kurs fest.

Keine Evaluierung

Scholz sehe “keinen mangelnden oder schwindenden Rückhalt für diese Maßnahmen”, sagte sein Sprecher. Man stehe zu den Sanktionen, “die wir gemeinsam miteinander verabredet haben innerhalb der EU und in der internationalen Gemeinschaft”.

Bemerkenswert ist, dass Scholz sich auf die Bündnissolidarität beruft – nicht jedoch auf die angeblich so segensreiche Wirkung der Sanktionen. Die Bundesregierung blendet auch die Risiken und Nebenwirkungen etwa bei der Gasversorgung aus.

Dies gilt auch für die EU-Kommission. Obwohl sie bereits sechs Sanktionspakete und ein “Wartungsprogramm” auf den Weg gebracht hat, ist sie bis heute eine Evaluierung der Maßnahmen und eine Folgenabschätzung schuldig geblieben.

Die USA zielen auch auf EUropa

Wenn es Probleme gebe, so seien dafür die Mitgliedsstaaten verantwortlich, heißt es in Brüssel – denn sie setzen die Sanktionen um. Auf Nachfragen reagiert die Kommission genervt. Die Sanktionen sind zu einem Reizthema geworden.

Weniger Streit gibt es in den USA. Sie zielten von Anfang an nicht nur auf Russland, sondern auch auf Deutschland un die EU. Und dort wurde ein zentrales Ziel gleich zu Beginn des Krieges erreicht: das “Aus” für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.

Dass sich Europa nun auch mehr und mehr von Russland abkoppelt, sieht man in Washington mit Genugtuung. Denn auch dies war – zumindest aus amerikanischer Sicht – ein Ziel der Sanktionen. Außerdem sichert es US-Konzernen glänzende Geschäfte…

Fazit: Die Sanktionen haben ihr Ziel – ein schnelles Ende des Krieges – nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie haben eine zweite Front – den Wirtschaftskrieg – eröffnet, der den Konflikt mit Russland verschärft und verlängert. Nur die USA können zufrieden sein: Sie haben erreicht, dass sich Deutschland von Russland abkoppelt und Nord Stream 2 aufgibt.

Alle bisherigen Beiträge zum Krieg in der Ukraine hier. Zum “Sanktionsparadox” empfehle ich dieses Video von Prof. Rieck (Spieltheoretiker)

P.S. Im August 2023 hat Außenministerin Baerbock eingeräumt, dass die Sanktionen die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben. Ob dieser Tabubruch zu einem Umdenken in Brüssel führen wird?

Weiterführende Links:

Foreign Policy: Who’s Winning the Sanctions War?

Pascal Boniface: Sanctions occidentales : l’impasse ?

Christian Rieck: Gas-Strategien und Sanktions-Spiele (Video)