EU-Krise im Superwahljahr: Wir schaffen das nicht mehr
Die EU steckt wieder in der Krise. Doch diesmal ist alles anders. Die 27 sind vom Kurs abgekommen – sie wissen nicht mehr, wo sie stehen und wohin sie gehen. – Heute: Mission impossible – wir schaffen das nicht mehr.
Krise, welche Krise? Seit dem gescheiterten Verfassungsvertrag 2005 hat die EU schon so viele Turbulenzen durchlaufen, dass sie unverwüstbar scheint. Jede Krise sei eine Chance, sagen überzeugte EUropäer. “Mehr EUropa” heiße die Antwort auf alle Probleme. Und so wurden der EU immer mehr Aufgaben zugeteilt.
Nach dem Binnenmarkt kam der Euro, dann die Energiepolitik, die Migration, das Klima, die Gesundheit und schließlich der Krieg – pardon: die Verteidigung.
“Wir schaffen das” – Frau Merkels Motto aus der Flüchtlingskrise 2015/16 – ist zum Schlachtruf in Brüssel geworden. Kommissionschefin von der Leyen kündigt ständige neue Ziele an.
Der “European Green Deal”, die “Gesundheitsunion”, die “strategische Autonomie” und nun auch noch die “historische” Erweiterung: Von der Leyen hat die EU in eine Großbaustelle verwandelt.
Zu viel versprochen
Doch die Ankündigungs-Europameisterin hat zu viel versprochen. Die historischen Missionen – Frieden, Stabilität, Wohlstand – werden bereits seit geraumer Zeit nicht mehr erfüllt.
- Der Frieden ist verloren – und die EU macht auch keine Anstalten, ihn bald wiederzugewinnen.
- Der Binnenmarkt bringt kein (zusätzliches) Wachstum mehr, weshalb nun der Ruf nach Reformen erschallt.
- Der Euro ist 25 Jahre nach seiner Einführung immer noch unvollständig, die Kritik ist nicht verstummt.
- Die politische Union, die die Währungsunion stützen sollte, fehlt. Delors Erbe wurde verraten, Tietmeyers Warnungen wurden überhört.
- Der Stabilitätspakt hat sich als Fehlschlag erwiesen. Die nun geplanten Reformen könnten alles noch schlimmer machen.
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Ausgerechnet im Superwahljahr 2024 will Brüssel den Gürtel enger schnallen. Beim Sozialen wird gekürzt, für Krieg ist Geld da – die ehemalige Friedensunion verwickelt sich in unauflösbare Widersprüche.
Dies gilt auch für die Erweiterung. 20 Jahre nach dem “Big Bang” sind viele Länder immer noch nicht richtig in der EU angekommen; in Bulgarien und Rumänien reicht es gerade für ein “halbes” Schengen.
Die damals geforderte “Vertiefung” hat nicht stattgefunden. Nach dem Brexit und einem mehrjährigen Aufnahmestopp ist die geschrumpfte Union in keiner Hinsicht auf neue Mitglieder vorbereitet.
Mission impossible
Damit wird der “Mission creep” – die Überforderung durch immer neue, ursprünglich nicht vorgesehene Aufgaben – zur “Mission impossible”. Diese EU kann das nicht schaffen.
Schon gar nicht, wenn das Ziel auch noch “Sieg” über Russland heißt und die USA sich zurückziehen, wie viele in Brüssel fürchten. Dann ist EUropa hoffnungslos überfordert.
Das wissen die EU-Chefs natürlich. In einer kruden Mischung aus Geopolitik und Größenwahn wollen sie das Unmögliche erzwingen. Der “Ruf der Geschichte” lasse keine andere Wahl, tönt von der Leyen.
Blut, Schweiß und Tränen
Dabei weiß sie selbst nicht, wie eine Union mit mehr als 30 Mitgliedern funktionieren soll. Mit der geplanten Expansion nach Osten und auf den Westbalkan wird die EU überdehnt, unterfinanziert und unregierbar.
Mögliche Reformen, Kürzungen und andere Zumutungen wie den Entzug von Stimmrechten will Brüssel aber erst Ende Juni – also nach der Europawahl – diskutieren. Dann droht ein böses Erwachen.
Auf den “Ruf der Geschichte” ist in der europäischen Geschichte noch jedesmal eine “Blut, Schweiß und Tränen”-Rede gefolgt. Und leider allzu oft auch eine Katastrophe…
Dies ist die letzte Folge unserer zehnteiligen Serie zur Permakrise der EU. Die anderen Folgen finden Sie hier
Arthur Dent
8. Januar 2024 @ 10:29
Legt man Abe Lincolns berühmte Formel zu Grunde (Regieren des Volkes, durch das Volk und für das Volk), sieht man das zentrale Problem der EU: Es fehlt das Volk.
KK
8. Januar 2024 @ 12:00
Das Volk ist da, und es wird auch dringend gebraucht: Irgendwen muss man ja noch ausbeuten können!
european
7. Januar 2024 @ 20:04
Heute war im DLF zu lesen, dass Michel sich gern ins EU Parlament wählen lassen möchte. “Im Falle seiner Wahl werde er sein derzeitiges Amt abgeben, sagte er unter anderem der belgischen Zeitung „De Standaard“.” Der geneigte Leser mag sich fragen, ob er im Falle einer Nichtwahl dann dort bleibt, wo er jetzt ist. 😉
https://www.deutschlandfunk.de/eu-ratspraesident-michel-kandidiert-bei-europawahl-schnelle-nachfolger-suche-koennte-noetig-werden-112.html
KK
8. Januar 2024 @ 01:46
„Der geneigte Leser mag sich fragen, ob er im Falle einer Nichtwahl dann dort bleibt, wo er jetzt ist. “
Nach einer EU-Wahl rotiert in Brüssel doch sowieso das Job-Karussell, und idR wird unter Berücksichtigung nationaler Befindlichkeiten doch an der Spitze alles neu verhandelt (bzw. ausgekungelt). Dass wieder ein Belgier Ratspräsident wird, halte ich eher für unwahrscheinlich – es sind nicht mehr nur ein Dutzend Staaten, die sich um die Spitzenposten balgen, und der Ratspräsident hat nun mal als Bestimmer der Tagesordnungen im Rat viel Gestaltungsspielraum.
Michel hat den Hals noch nicht voll: der will noch ins Parlament und dann dort wohl aufgrund seiner Prominenz bestenfalls noch einen der gut dotierten Vize-/Präsidentschaftsposten abgreifen.
KK
7. Januar 2024 @ 19:09
„Dies ist die letzte Folge unserer zehnteiligen Serie zur Permakrise der EU.“
Und die EU ist wohl auch in ihrer letzten Folge angekommen. Nachdem es Jahrzehnte lang offenbar immer nur grösser und EUropäischer („mehr EUropa“) wurde, hat der Anfang vom Ende bereits begonnen.
Wie die alte Handwerkerweisheit besagt: „Nach ganz fest kommt ganz lose“.