Delors: Visionär oder Totengräber?

Das politische Erbe von Jacques Delors bleibt auch nach seinem Tod umstritten. Die einen sehen ihn als europäischen Visionär, die anderen als Totengräber der Linken.

So schreibt U. Guérot in “Le Monde”, Delors sei für eine soziale und politische Union eingetreten, doch seine Vision sei bis heute nicht verwirklicht. Guérot muß es wissen: Sie hat drei Jahre für Delors in Paris gearbeitet!

Auch für den Europarechtler A. Alemanno war Delors ein Visionär. Er lobt die “Gemeinschaftsmethode”, bei der die EU-Kommission den Lead übernimmt und sich nicht – wie unter von der Leyen üblich – von den Staaten (vor allem von Deutschland) führen lässt.

Ganz anders sieht es T. Fazi. Der Kolumnist bei UnHerd erinnert an Delors’ unrühmliche Rolle in der Linksregierung von Mitterrand und meint, der spätere Kommissionschef habe die EU auf neoliberalen Kurs gebracht. Deshalb sei er der Totengräber der europäischen Linken!

Auf Delors beruft sich heute noch Frankreichs Staatschef Macron. “We will have to choose a stronger, more sovereign Europe, in light of the legacy of Jacques Delors,” sagte er in seiner Neujahrsansprache. Dazu zähle auch die geplante Erweiterung um die Ukraine und Moldau.

An die Bürger appellierte Macron, die Expansion bei der Europawahl nicht zu “blockieren”. Dabei ist die Erweiterung längst beschlossene Sache. Die Wähler haben darauf keinen Einfluß mehr. Die EU hat ein Eigenleben entwickelt; sie folgt eher Schäuble als Delors…

Siehe auch “Adieu Delors, isch over Schäuble!”