Adieu Delors, isch over Schäuble!
Wenn das kein Schicksalsschlag ist: Jacques Delors und Wolfgang Schäuble sind am selben Tag gestorben.
Delors wird als Gründer des europäischen Binnenmarkts und des Euro in die Geschichte eingehen. Der französische Sozialist wollte allerdings nicht nur einen Markt und eine Währung, sondern auch eine Sozialunion schaffen.
“Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt”, mahnte Delors. Die EU müsse sich auch um die Angleichung der Lebensverhältnisse bemühen. Doch dieses sozialpolitische Ziel geriet schnell in Vergessenheit.
Schuld daran waren Politiker wie Schäuble, die den Markt verabsolutiert haben, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der demokratischen Kontrolle entziehen wollten und die EU als großes Deutschland begriffen.
Schäuble steht für die deutsche Wiedervereinigung – aber auch für das “deutsche EUropa”, das Griechenland und andere Länder in der Eurokrise einem gnadenlosen Austeritäts-Regime unterworfen hat.
Sein “Isch over” wird in die EU-Geschichte eingehen – als Negativ-Beispiel für eine kalte und kontraproduktive Politik. Doch davon hört und liest man in den vielen Nachrufen in Deutschland so gut wie nichts…
Mehr zu Delors hier, zu Schäuble hier
Monika
4. Januar 2024 @ 12:08
Erhellendes zum “Anreiz-System” repräsentative Demokratie. Fabio de Masis Ausführungen (nach ca. 1/3 der Sendezeit) und die anschließende Fragerunde sind eine perfekte Erklärung der politischen Arbeitsbedingungen und sollten es als lebensnahe Berichte Betroffener in den “Staatskundeunterricht” schaffen… Dann könnte wenigstens niemand sagen, er wäre arglistig getäuscht und belogen worden, unser “bestes Staatsmodell aller Zeiten” betreffend
https://www.nachdenkseiten.de/?p=109034#h06
Art Vanderley
28. Dezember 2023 @ 21:56
“Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt“
Was für ein treffender Hieb in Richtung der pseudoreligiösen Marktgläubigkeit (die eigentlich gar keine ist, sondern eher marktfeindlich daherkommt).
Schäuble ist bekanntlich nicht der erste Abwickler demokratischer Werte der als Vorbild gewürdigt wird und bekanntlich sogar als Präsident infrage kam.
Elitenkonsens sreht über Allgemeinwohl, wie Michael Lüders schreibt, aus eltärer Sicht sind solche Typen vorbildlich.
Daß er noch dazu quasi wohnt(e) neben der “schwäbischen Hausfrau”, hat ein zusätzliches Geschmäckle und paßt irgendwie ins Bild.
Arthur Dent
28. Dezember 2023 @ 19:46
Die EU ist doch nicht für die Bürger da, sondern fürs Kapital, vor allem fürs deutsche Kapital. Eine demokratische und soziale Union ist eine hübsche Geschichte – aber die Verhältnisse, die sind nicht so. Die EU-Staaten haben bei Abstimmungen im Ministerrat und, ich glaub, auch im europäischen Rat, unterschiedliches Gewicht. Entscheidend ist ihre Bevölkerungsgröße. Vermutlich auch ein Grund warum Deutschland so auf Zuwanderung erpicht ist.
KK
28. Dezember 2023 @ 13:38
„Schuld daran waren Politiker wie Schäuble, die…die Wirtschafts- und Finanzpolitik der demokratischen Kontrolle entziehen wollten…“
Wieso wollten? Es ist ihnen doch vortrefflich gelungen!
european
28. Dezember 2023 @ 10:56
Das Griechenland-Desaster ist unverzeihlich. Man hat das Land und Bewohner ins Bodenlose gestuerzt, die Wirtschaft zerstoert, die heilige Schuldenquote in schwindelnde Hoehen getrieben. Von der hohen Zahl der Selbsttoetungen im Land der bis dato niedrigsten Selbsttoetungsrate ganz zu schweigen. Zur Entschuldigung hat man dann den „Erfolg“ bei der Primaerverschuldung gefeiert, die uns ansonsten nie interessiert hat. Italien war bezueglich der Primaerverschuldung immer besser als Deutschland und auch das hat uns nicht gehindert, die PIGS, die Schweine im Sueden zu diffamieren und mit einer oekonomisch falschen Austeritaetspolitik unnoetig in Not und Elend zu stuerzen. Schaeuble wollte die Griechen aus dem Euro draengen, was Merkel in letzter Minute verhindert hat.
Getoppt wurde das noch von der Chuzpe Angela Merkels, auf ihrer Abschiedstournee in Griechenland vorbeizuschauen, nur um den Griechen zu sagen, dass sie sie im Euro halten wollte und dass das gelungen sei. Ich fand die Geduld und Hoeflichkeit der Griechen bemerkenswert. Es haette mich nicht gewundert, wenn sie sie mit Pauken und Trompeten aus dem Land gejagt haetten.
Ich habe mich oft gefragt, wie unsere europaeischen Nachbarn es mit uns aushalten, diesem Besserwisserpool in der Mitte Europas, der alle zuschuettet mit Belehrungen und Hybris. Schuld sind immer die anderen und so wurde nie auch nur angeruehrt, dass unsere oeffentlichen Banken gezockt haben wie die Weltmeister. Die einzige, die das zugegeben hat, war seinerzeit Heide Simonis. Keiner der Zockerbankster wurde dafuer in Haftung genommen und keiner der Politiker in den Aufsichtsgremien wurde je danach gefragt, warum er keine Aufsicht gefuehrt hat. Auch in Deutschland haben viele ihre Existenz dadurch verloren und auch da hat man es fertig gebracht, den Menschen einzureden, dass jeder alles aufbrauchen muss, bevor er an den Staat geht. Soviel „Gerechtigkeit“ muss schliesslich sein.
Nein, da kamen die Suedlaender gerade recht und man hat mit einer gewaltigen Diffamierungskampagne die deutsche Bevoelkerung auch gegen die europaeischen Nachbarn aufgebracht. „Experten“ wie HWSinn tingelten durch die Talkshows und erzaehlten jedem, egal ob er es hoeren wollte oder nicht, dass der Gewinner der Eurozone, der Exportweltmeister und Exporteuropameister, von seinen Nachbarn ausgebeutet wird. Man fasst es nicht.
Wolfgang Schaeuble war ein machtbesessener Einpeitscher und hat mit seiner Politik den Anfang vom Ende des europaeischen Traums eingeleitet. Der politische Rechtsdrall in Europa begann mit exakt dieser seiner Politik. Wir Deutschen haetten es wissen muessen, dass man niemals in eine Krise hineinsparen darf. Die Brueningschen Spargesetze haetten uns eine Warnung sein muessen.
Nein, ich werde ihn nicht vermissen. Seiner Familie gilt mein Beileid, denn sie haben einen Angehoerigen verloren. Soviel Anstand muss sein.
KK
28. Dezember 2023 @ 15:11
„Seiner Familie gilt mein Beileid, denn sie haben einen Angehoerigen verloren.“
Nicht jeder Angehörige wird auch vemisst – denn die kann man sich im Gegensatz zu Freunden nicht aussuchen. Ich kenn die Leute gar nicht, warum sollte ich dann „beileiden“?
Helmut Höft
29. Dezember 2023 @ 12:19
@european
Kein Widerspruch zu dem was Du ausführst – im Gegenteil, das muss man alles dreimal unterstreichen –, aber auch hier gilt, dass ein Blick etwas weiter zurück hilfreich ist: Griechenland wurde in den €uro hineingelogen, der Finanzsektor (hier: Goldman Sucks) hat hilfreich die Hand gereicht. (auf das weiter Zurückliegenden und das Heute mitprägenden, sagen wir ab 1832, König Otto I., lohnt es sich ebenfalls zurückzuschauen, auch damals schon ging es um Kohle, Kohle, Kohle …)
Wenn skrupellose Phyanzer – heute wie damals – und ebenso skrupellose Machtpolitiker – heute wie damals – zusammen treffen, dann ist das angesagt, was die Menschheit seit Jahrtausenden prägt: Ausbeutung, Vernichtung von Kultur & Zivilisation, Natur und Ethik.
Was sagt der Bürger dazu? *hmpf*
european
29. Dezember 2023 @ 14:58
@Helmut Hoeft
Voellig richtig. Ueber viele Jahre gehoerte kritisches Denken mit zur Grundbildung in deutschen Schulen. Ich frage mich, was daraus geworden ist? Gerade heute ist es wichtiger denn je, sich bei Nachrichten aller Art zu fragen, was man denn jetzt glauben soll und in wessen Interesse? Je mehr mein Blick auf etwas gerichtet werden soll, umso mehr sehe ich auf den, der meinen Blick richten will. Da kommen oft interessante Erkenntnisse zustande. Die finanzielle Verschiebung von unten nach oben hat auch zu einer Verschiebung der Machtverhaeltnisse gefuehrt, so dass man sich fragen muss, ob denn ein gewaehlter Politiker ueberhaupt eine Chance hat, demokratische Prozesse durchzusetzen, wenn die Finanzmacht etwas anderes will. Die Schwabs dieser Welt finden sich ueberall, zumindest im Wertewesten.
KK
30. Dezember 2023 @ 01:15
@ european:
„Ueber viele Jahre gehoerte kritisches Denken mit zur Grundbildung in deutschen Schulen. Ich frage mich, was daraus geworden ist?“
Hier eine Antwort:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=108525
Karl
28. Dezember 2023 @ 09:13
Der Gründer und der Zerstörer einer EU des Friedens und Wohlstands gleichzeitig – was für ein Omen zum Jahrswechsel