Chronik des Versagens (V): Euro-Reform
Der Streit um “Coronabonds” wird immer schärfer. Frankreich hat sich der Kritik an Kanzlerin Merkel angeschlossen, Portugal attackiert die Niederlande, die Märkte sind verunsichert. Dahinter steckt ein viel größereres, chronisches Problem.
“Wir werden diese Krise nicht ohne eine starke europäische Solidarität in Bezug auf Gesundheits- und Haushaltsfragen überwinden”, sagte Frankreichs Staatschef Macron in einem Interview mit mehreren italienischen Zeitungen.
Trotz der “Zurückhaltung” Deutschlands und anderer Länder “müssen wir diesen Kampf fortführen”, sagte Macron. Die EU brauche ein “gemeinsames Schuldeninstrument” (Coronabonds) oder eine Aufstockung des EU-Haushalts.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag hatte sich Merkel jedoch gegen diese Forderung gestemmt. Nach Angaben des italienischen Premiers Conte kam es bei der Videokonferenz zu einer “harten und offenen Konfrontation” mit der Kanzlerin.
Der Streit offenbart jedoch nicht nur die üblichen ideologischen Schützengräben – für oder gegen gemeinsame Verschuldung, für oder gegen ein höheres EU-Budget. Er legt auch das tieferliegende Problem offen: Die verschleppte Euro-Reform.
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Schon zu Zeiten der Eurokrise hatten die damaligen EU-Präsidenten – Barroso, Van Rompuy, Schulz etc. – diverse Vorschläge gemacht, die von Eurobonds über einen Schuldentilgungsfonds bis hin zu einem Europäischen Währungsfonds reichten.
Bei seinem Amtantritt vor drei Jahren hatte Macron zudem ein substantielles Euro-Budget und ein europäisches Schatzamt gefordert. Er wollte die Eurozone zum neuen, harten Kern der EU ausbauen und gegen “externe Schocks” absichern.
All das wurde von Merkel und ihrem niederländischen Dauer-Verbündeten Rutte systematisch abgeblockt. Das Euro-Budget schrumpfte zu einer winzigen Haushaltslinie im EU-Haushalt. Der Haushalt soll – wenn es nach Merkel und Rutte gehen – nun seinerseits schrumpfen.
Das führte schon im Februar zum Streit, ein erster EU-Budgetgipfel platzte. Sechs Wochen später ist die Lage noch viel ernster. Die EU hat kaum noch Finanzreserven, die Eurozone steht nackt da und kann jederzeit in eine neue Krise rutschen.
Dabei war wahrlich genug Zeit, auch an Warnungen hat es nicht gefehlt. “Man muß das Dach decken, solange die Sonne scheint”, hatte Ex-Kommissionschef Juncker schon 2018 gewarnt. – und durchgreifende Reformen gefordert.
Doch nichts geschah. Nicht einmal die 2012 beschlossene Bankenunion wurde vollendet. Deshalb geht es jetzt nicht mehr nur um Coronabonds oder um das EU-Budget (das auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wurde). Es geht ums Ganze.
Die “gesamte europäische Struktur” könne ihre “Existenzberechtigung verlieren”, wenn die EU jetzt Fehlentscheidungen treffe, warnt Conte. Der Mann hat Recht. Nun rächt es sich, dass Merkel und Rutte alle Reformen verhindert haben…
Siehe auch “Chronik des Versagens IV: Tests” und “Italien und Spanien gegen Merkel-Deutschland”
P.S. Auch zwischen Portugal und den Niederlanden brennt die Lunte. Dass die niederländische Regierung eine Untersuchung zur Haushaltspolitik einiger EU-Staaten verlangt habe, sei “widerwärtig” und “rücksichtslos”, sagte Regierungschef Costa. Dies untergrabe “völlig den Geist der Europäischen Union” und sei “eine Bedrohung für die Zukunft” der EU.
Oudejans
28. März 2020 @ 19:04
>>”Nun rächt es sich, dass Merkel und Rutte alle Reformen verhindert haben…”
Kann man das wirklich so sagen? Ist es nicht vielmehr so, daß Deutschland seit Jahren die EU systematisch hintertreibt? Wichtig ist einzig und allein: die Schuld daran muß in der öff. Wahrnehmung anderen zufallen.
Alexander
28. März 2020 @ 16:06
‘Dies untergrabe “völlig den Geist der Europäischen Union”’
Ob die kalte, neoliberale Merkel wohl an Geister glaubt? ;->
Frankreich plus Italien plus Spanien plus Portugal sollten aber zusammen schon einiges auf die Waagschale werfen können?
ebo
28. März 2020 @ 16:40
Ja, sicher. Theoretisch könnten sie auch ohne Merkel und Rutte eine gemeinsame Corona-Anleihe auflegen. Allerdings wäre der politische Flurschaden enorm…
Oudejans
28. März 2020 @ 19:08
>>”ohne Merkel und Rutte eine gemeinsame Corona-Anleihe”
Daran der Clou: wenn wir jetzt sagten: wenn sie es doch nur endlich täten! bliesen wir nolens, volens in das Horn der deutschen Restauration.
Kleopatra
28. März 2020 @ 20:18
Da die Vorschriften gegen übermäßige Verschuldung wegen der Krise außer Kraft gesetzt sind, sollte das in der Tat juristisch möglich sein. Ohne Frankreich wären die zu erzielenden Zinssätze für die wirtschaftliche schwächeren Länder aber nicht tragbar; und wenn Frankreich ohne Deutschland mitmacht, ist das die ultimative Ohrfeige für Merkel.
Peter Nemschak
29. März 2020 @ 13:57
Warum reichen die Instrumente des ESM nicht ? Die Mitgliedsländer sollen solidarisch mit den betroffenen Menschen sein, nicht aber mit einer jahrelang verfehlten Wirtschaftspolitik im Süden Europas. Italien hat ein Ausgaben- und Einahmenproblem. Die Staatsausgaben sind aus verschiedenen Gründen ineffektiv. Bei den Staatseinnahmen ziehen es die Italiener vor ihrem Staat Geld in Form von Staatsanleihen zu leihen statt es ihm in Form von Steuern zu überlassen. Das ist angesichts der ineffektiven Staatsausgaben (endemische Misswirtschaft und Korruption) verständlich. Die Lösung liegt in Italien. Die EU kann durch Kredite helfen, darf aber die italienische Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Verantwortung hat mit neoliberal nichts zu tun, sehr wohl aber mit geeigneten Maßnahmen sie einzufordern. Man diskreditiert den Begriff der Solidarität, wenn sich hinter ihm Verantwortungslosigkeit verbirgt. Mitleid ist keine politische Kategorie.
ebo
30. März 2020 @ 14:25
Der ESM ist dafür geschaffen, einzelnen Euroländern durch eine Liquiditätskrise zu helfen. Er ist nicht dafür ausgelegt, einen externen Schock abzufedern, der ganz Europa auf einmal trifft. Schon gar nicht, wenn dieser Schock lange anhält, wie nun leider zu erwarten… Abgesehen davon werden ESM-Kredite bisher nur mit strikten Konditionen vergeben. Das wollen Italien & Co. verständlicherweise nicht. Merkel oder Kurz würden sich auch keine Bedingungen von einem Herrn Regling diktieren lassen 🙂
Holly01
30. März 2020 @ 09:31
@ Herr Nemschak,
die “erfolgreiche” Wirtschaftspolitik Ihrer neoliberalen Kumpel hat ein paar Milliarden Staatsschulden getilgt und die Gesellschaft ausgehöhlt.
Alleine in der ersten Tranche zur Eindämmung der Folgen ruft die BRD 1000 Milliarden áuf.
Noch so ein neoliberaler Sieg und wir sind alle im Eimer ….
vlg