Italien und Spanien gegen Merkel-Deutschland
Es erinnert an die dunkelsten Stunden der Eurokrise: Ähnlich wie vor zehn Jahren konnten sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag nicht auf das weitere Vorgehen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik verständigen. Italien und Spanien standen gegen Kanzlerin Merkel – sie fordern mehr Solidarität.
Der EU-Gipfel sollte nur zwei Stunden dauern – und zog sich dann vier weitere Stunden hin. Die 27 Chefs verhakten sich bei der Frage, ob es in der Coronakrise, die täglich hunderte Todesopfer fordert, mehr finanzielle Solidarität geben sollte. Für eine solche Solidarität – etwa in Gestalt von gemeinsamen Anleihen (“Coronabonds”) – hatten sich schon vor dem Gipfel neun Staaten ausgesprochen, darunter Frankreich, Italien und Spanien, aber auch Belgien und Luxemburg.
Dagegen waren die üblichen Verdächtigen: Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich. Es war genau dasselbe Nord-Süd-Schisma wie in der Eurokrise – nur dass diesmal das südliche Lager größer und offensiver war und sich nicht abspeisen ließ.
Vor allem Italiens Premier Conte trat knallhart auf. Noch während der Gipfel tagte, veröffentlichte er eine Erklärung. “Wir müssen mit innovativen Finanzinstrumenten reagieren”, heißt es darin. Italien und Spanien gäben der EU dafür zehn Tage Zeit.
Es war ein Eklat, der an den Juni-Gipfel 2012 erinnerte. Damals hatten Italien und Frankreich in einer Nachtsitzung die Bankenunion durchgesetzt – Kanzlerin Merkel gab sich zunächst geschlagen, hat die Umsetzung seither aber systematisch verschleppt.
Auch diesmal war es wieder Merkel, die die Solidarität verweigerte. Sie will allenfalls den Euro-Rettungsfonds ESM einsetzen, der von dem Deutschen K. Regling geleitet wird – und möglichst auch nur Kredite vergeben, die bisher stets mit strikten Konditionen verbunden waren.
Einen Kompromiß haben Conte und Merkel am Donnerstag nicht gefunden. Damit der Gipfel nicht platzt, wurden die Euro-Finanzminister beauftragt, binnen zwei Wochen neue “Vorschläge” zur Unterstützung von Krisenländern auszuarbeiten.
Damit wurde zwar Zeit gewonnen. Doch die Krise ist nicht gelöst – im Gegenteil: Jetzt stehen Italien und Spanien, die am stärksten von der Coronakrise betroffen sind und nun auch noch den Druck der Märkte fürchten, gegen Merkel–Deutschland.
Warum schreibe ich Merkel–Deutschland, wo doch auch andere Länder gegen Coronabonds und Gemeinschaftshilfen sind? Nun, wenn Merkel einlenken sollte, würden die Niederlande und Österreich wohl auch klein bei geben müssen.
Zudem ist nicht ganz Deutschland gegen finanzielle Solidarität in dieser schrecklichen Krise. Die Linke, die Grünen und zumindest auch die Europa-SPD haben sich für Coronabonds ausgesprochen. Jetzt kommt es auf den Finanzminister an.
Wenn Genosse Scholz der Versuchung widersteht, den Schäuble zu geben, könnte sich das Blatt noch wenden. Wenn Scholz aber bei seinem Nein bleibt, könnte bald wieder ganz Deutschland auf der Anklagebank stehen, wie in der Eurokrise…
Siehe auch “In der Krise wächst Wut auf Merkel” und “Too little, too late”
Ein Europäer
28. März 2020 @ 09:32
Moin in die Runde,
das Spiel kennen wir schon. Frau Merkel sagt anfangs immer nein, dann wird die Verhandlungen an die Länge ziehen, und sollte es tatsächlich zu eine Einigung kommen dann nur unter eine Reihe von Auflagen, Bedingungen usw . Die das Endeffekt und Zweck der Massnahmen marginalisieren und minimieren werden.
Frau Merkel hat sich jetzt gut zwei Wochen Zeit erkauft,um eine plausible Ausrede auszudenken und das ganze zu verschleppen.
Meiner Meinung nach es wird keine gemeinsame Anleihen geben und wenn ja dann und stricke Auflagen. Too little und too late wie schon immer.
Alexander
28. März 2020 @ 10:32
Und bis dahin sollen die Italiener und Spanier erstmal schön ihre Hausaufgaben machen! Dann gibt’s vielleicht auch 36% (Forsa, 26.3.) von glücklichen Wählern und ein „Angie, du darfst nicht geh’n!“ von den Balkonen!
Go. Günther
27. März 2020 @ 13:50
zu Guiseppe: Ich verstehe auch nicht, warum man sich immer am Namen der Marionette “Merkel” aufhängt (in diesem speziellen Fall auch “Lost in Europe”). Sie ist doch nur das Megaphon derer, die sie auf diesen Posten geschoben haben. “Deutschland” wäre ebenfalls der falsche Begriff. Warum schaut eigentlich kein investgativer Journalist mal hinter die Kulissen und gibt die Strippenzieher preis?
ebo
27. März 2020 @ 13:54
Welche Strippenzieher? Merkel hat an der Videokonferenz teilgenommen, sonst keiner. Kommen Sie mir nicht mit Verschwörungstheorien, dafür ist hier kein Platz
Giuseppe
27. März 2020 @ 11:54
Das Problem hier ist nicht Merkel, auch wenn sie in vorderster Front steht und sichtbar ist. Das Problem ist der deutschsprachige Mainstream der “wissenschaftlichen” Ökonomie-Lehre, welche seit Jahrzehnten von neoliberalen Ideologen vorsätzlich zerrüttet und ihrer ehemaligen Basis einer rationalen Empirie beraubt wird, weil sie die Empirie mit Recht als den Feind des Neoliberalismus verstehen – er ist von dieser Empirie vielfach widerlegt, weswegen man sie beiseite räumen muss.
Das Problem sitzt also tiefer – viel viel tiefer: Wer sich den Werdegang von Christine Lagarde ansieht (Affäre Tapie googlen zur Einstimmung), wer sich den Werdegang von Ursula vonderLeyen ansieht, wer sich ansieht wer warum in der Bundesbank den Ton angibt und zur Presse verlautbart, wer sich überlegt dass sogar allen Ernstes eine Personalie wie der von einigen tatsächlich für die CDU als Kalif geplante Merz nicht zu schallendem Gelächter und generellem Abwinken führt, der sieht wie tief die Durchseuchung der deutschen Gesellschaft mit dem (ggü. Corona weit weit gefährlicheren) Gift des Neoliberalismus bereits vorangeschritten ist.
Ohne eine Rückbesinnung auf nachfrageorientierte (Binnen-)Wirtschaftspolitik, ohne anti-neoliberale, ordentlich ethische und grundgesetzkonforme Steuer und Sozialpolitik (Art. 20 / 1 GG googlen wer ihn nicht kennt) wird sich nicht viel ändern und gar nichts auch nur ein jota verbessern.
Mit dem gegenwärtigen Personal aus Käuflingen allerdings nicht zu schaffen, mit der selbst nach der Beseitigung von so grandiosen Fehlbesetzungen wie Scholz, Altmeier, Steinmeier, Spahn und Konsorten fortbestehenden Ministerialbürokratie immer noch immens schwierig zu schaffen.
Wenn wir nicht aufpassen werden sie diesmal die Schuld auf Corona schieben und die nächste verlorene Dekade zu Lasten der Mehrheit einleiten, ebenso wie die verlorene Dekade nach der Banksterkrise allen ausser den “happy few” massiv geschadet hat.
Das Versammlungsverbot (vielleicht im Grundgesetz nach Versammlungsfreiheit suchen, wenn man schon die anderen Sachen gegoogelt hat …) hilft hier den Falschen, wie die meisten anderen Massnahmen von Geldregen nach “oben” bis Normalisierung des Panikmodus in Krankenhäusern und der Pflege.
Wachsamkeit ist erste Bürgerpflicht jetzt, aber auch das Überlegen wo eigentlich die gelben Westen sind wäre längst angeraten.
Jürgen Klute
27. März 2020 @ 10:56
Ich verstehe langsam dieses nationalistisch-egoistische Verhalten Merkels einfach nicht mehr. Sie zerstört damit die EU. Das ist politisch und wirtschaftlich weder für die Bundesrepublik vorteilhaft noch für die anderen europäischen Gesellschaften. Kurzfristig mag es einen wirtschaftlichen Erfolg vorgaukeln. Mittel- bis langfristig werden die Kosten dieses Verhaltens kaum bezahlbar sein.
ebo
27. März 2020 @ 11:01
Merkel bleibt sich treu. Sie hat die EU nie verstanden, das wußte schon der alte Kohl. Es geht ihr immer nur um Wettbewerbsfähigkeit, Export und Binnenmarkt. Jetzt fordert sie ja auch schon wieder, die alten EU-Regeln so bald wie möglich zu restaurieren…
Oudejans
28. März 2020 @ 13:31
Eben. Wirtschaftsnationalismus. Der von ihr gezüchtete braune Rand nimmt es dankbar zur Kenntnis.
Desinfektionsweltmeister, Maskenweltmeister, Testweltmeister, Spargelweltmeister, Ethikweltmeister, ja, Nullweltmeister.
Weltmeister everything.
Der größere Teil der Deutschen scheint schon gar nichts anderes mehr denken zu können.
ebo
28. März 2020 @ 14:26
Das ist doch noch gar nichts. Wir haben jetzt auch täglich tolle Hochrechnungen über den tendenziellen Fall der Zuwachsrate. Deutschland ist auch dabei weltweit führend, genau wie bei der Zahl der Toten – selbst wenn es jeden Tag mehr werden… https://www.n-tv.de/panorama/Forscher-errechnen-halbierte-Zuwachsrate-article21674226.html
Oudejans
28. März 2020 @ 15:56
>>”Wir haben jetzt auch täglich tolle Hochrechnungen über den tendenziellen Fall der Zuwachsrate.”
Ich verfolge individuell und händisch einen Landkreis und eine Handvoll kreisfreier Städte, und eine Tendenz zu einer fallenden Zuwachsrate deutet sich auch in meinen Augen an. Die Daten flackern aber heftig besonders an Orten mit kleinen Diagnosezahlen. Ein “dickes Ende” wäre damit aber noch nicht unwahrscheinlicher geworden…
Rekorde in Absolutwerten können sehr wohl zugleich eine günstige Tendenz der relativen Zuwächse, hin zu einem nur mehr linearen Wachstum, bedeuten, auch wenn man auch damit noch nicht dauerhaft wird leben können. Insofern ist Euphorie kontraindiziert.
Einige interessante Gedanken dazu in dieser Timeline: https://twitter.com/pavel23/status/1243878713781092352
Derweil will das RKI die Presse loswerden: https://www.welt.de/wirtschaft/article206843189/Corona-Krise-Das-RKI-laesst-die-Menschen-allein.html
Was fehlt?
Nähen für die Risikogruppe, nähen mit der Risikogruppe, Skypen mit Omi, Nonna und Mamie:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111423/BAeK-Praesident-ruft-zum-Tragen-von-Schutzmasken-auf
ebo
28. März 2020 @ 16:01
Scheinbar arbeitet jetzt jeder in einer AG zum Fall der Zuwachsrate, ich kenne da auch noch ein paar Spezis 🙂
Doch solange Deutschland der italienischen Katastrophen-Kurve folgt – und daran hat sich seit Tagen nichts geändert – kann keine Entwarnung gegeben werden. Ein Blick auf unsere Nachbarn in den Niederlanden und Belgien sollte im Gegenteil eine Warnung sein…
Oudejans
28. März 2020 @ 18:33
>>“Scheinbar arbeitet jetzt jeder in einer AG zum Fall der Zuwachsrate, ich kenne da auch noch ein paar Spezis “
Nur mein kleiner Versuch persönlich-familiären Panikmanagements. Die Damen und Herren bestehen auf weiterhin tägliches Unterwegssein, man könne da nichts ändern, ich solle mich mal abregen, Spahn mache doch gute Arbeit.
Trotz der frappierenden Ähnlichkeit der transponierten IT- und D-Fallzahlkurven ist ein weiterer Verlauf wie in IT noch nicht zwingend, dies hat Pavel mE überzeugend dargelegt. Da spielen die Altersstruktur, die Falldefinition und auch die Testdichte, -kapazität und -strategie hinein. Andererseits bedeutet natürlich eine schlechte/unzweckmäßige Datenlage (in D), daß Maßnahmen schlechter gesetzt und dosiert werden können. Vor allem wurde in Deutschland zu lange gekakelt, wohl in dem Glauben, das bloße Wissen um die Wirksamkeit eines „Lockdowns“ wäre schon gleichzusetzen mit dessen wirksamer Durchführung. Auch manche Organisationen, wie BVG und der VRR, scheinen den Schuß nicht gehört zu haben, und haben vergangene Woche neue, zuverlässige Infektionschancen eröffnet. Die offenbare Dummheit, oft in Form geschwätziger Oberlehrerhaftigkeit („trügerische Sicherheit … yada“), ist schon zum Verzweifeln.
Zu NL: Ruttes Herdenimmunitätsansatz kam mir erst zu Ohren (Augen), als er bzw. die Provinzen sich von ihm zunehmend abwandten; der ganz ähnliche Ansatz BoJos war in den deutschen Medien viel prominenter. Offenbar liegt noch immer ein besonderer Reiz darin, den Befr-, pardon, Besatzungsmächten Fehler attestieren zu können. Der Kollaps des NL-Gesundheitsministers coram publico der Zweiten Kammer mag zur Hinterfragung des proklamierten niederländischen Staatsheldentums das seine hinzugetan haben…
KlausM
27. März 2020 @ 09:41
Eine exzellente Frage!
Burkhart Braunbehrens
27. März 2020 @ 09:04
Wo bleibt die EU-Vorsitzende ?
Burkhart Braunbehrens
27. März 2020 @ 09:02
Wo bleibt die SPD-Parteiführung ?
Alexander
26. März 2020 @ 23:55
“Italien und Spanien standen gegen Kanzlerin Merkel – sie fordern mehr Solidarität.”
Weshalb nicht auch Frankreich? Inklusive der Drohung den Sinn der Währungsunion auf den Prüfstand zu stellen!
KlausM
27. März 2020 @ 09:05
Hm. Ich bin nicht so wirklich davon überzeugt, dass eine Auflösung der Währungsunion zur Lösung der aktuellen Probleme beiträgt. Aber ich stimme zu, dass das herausragende Merkmal der EU-Mitgliedsstaaten nicht die Solidarität ist. Da man leider auch keine Einstimmigkeit erreichen wird, muss man doch zumindestens Mehrheiten bei den Mitgliedsstaaten suchen. Ich bin überzeugt, dass das klappen kann. Ob dann Deutschland beiseite stehen kann. Schaun wer mal.