Nach “Sofagate”: Der europäische Michel schläft schlecht
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die EU bemüht sich um Appeasement mit der Türkei. Das “Sofagate” raubt Ratspräsident Michel den Schlaf. Und Deutschland verabschiedet sich von der gemeinsamen Corona-Strategie.
Der Besuch war als „Eisbrecher“ geplant. Er sollte die Spannungen zwischen der EU und der Türkei vergessen machen und eine „positive Agenda“ auf den Weg bringen. Doch wenige Tage nach der Visite von Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei Präsident Recep Erdogan liegen die Nerven schon wieder blank.
Schuld daran ist ein Vorfall in Erdogans Präsidentenpalast, der als „Sofagate“ in die EU-Geschichte eingehen dürfte. Frau von der Leyen war vom türkischen Protokoll auf ein Sofa verbannt worden, während Herr Michel es sich auf einem Sessel neben Gastgeber Erdogan bequem machen durfte. Die Männer thronen, während die Frau allein am Katzentisch sitzen muß – die Bilder aus Ankara haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Von Machogehabe und Sexismus ist die Rede, aber auch von einer Demütigung durch Erdogan und einem Versuch der Spaltung der EU-Spitze. Das Europaparlament hat sogar eine Sondersitzung einberufen. Dabei dürfte eigentlich niemand überrascht sein. Protokollfragen waren schon immer Machtfragen. Und das “Sofagate” hat nur gezeigt, wie groß die Rivalität an der EU-Spitze ist.
Michel und von der Leyen beanspruchen beide das “Prä” in der Außenpolitik und beweisen gemeinsam, dass sie davon nichts verstehen – ebenso wenig wie der Außenbeauftragte Borrell, der ein paar Wochen zuvor in Moskau vorgeführt wurde. Ergebnis: Die EU wird zum Gespött der Welt, die Glaubwürdigkeit der europäischen Außenpolitik ist futsch.
Denn wie will man es rechtfertigen, dass eine islamische Diktatur hofiert wird, die zehntausende politische Gefangene hat und fast alle Grundrechte mit Füssen tritt? Wer soll noch verstehen, dass sich die “Brüsseler Blase” über den “Affront” gegen Frau von der Leyen erregt – aber über die systematische Mißachtung der Frauenrechte in der Türkei schweigt?
Immerhin, der europäische Herr Michel schläft nun schlecht und möchte alles ungeschehen machen…
War sonst noch was? Ach ja, Deutschland hat sich von der gemeinsamen Corona-Strategie verabscheidet – mit unabgestimmten Reisewarnungen und bilateralen Verhandlungen über Sputnik V. Und dann waren da noch die Kriegsvorbereitungen in der Ukraine. Aber dazu möchten sich nicht einmal Michel und von der Leyen äußern.
Die “geopolitische Kommission” duckt sich weg – wie immer, wenn es ernst wird…
Und hier noch die drei besten Blogposts der vergangenen Woche:
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Teoman
11. April 2021 @ 14:34
Zu meiner Vorredner; nichts wird ohne vorabsprache getan. Die Sitzordnung wurde von der EU Kommission so angeordnet. Bitte vorher gut informieren bevor man irgendwelche unsinnige unpassende Kommentare abgibt.
european
11. April 2021 @ 13:08
Was sagt es über die EU aus, wenn ein Sofagate zu schlaflosen Nächten führt, nicht aber das versemmelte Impfprogramm, das viele Menschenleben kostet? Über die Flüchtlingslager in Griechenland – unser “Schutzschild” (von der Leyen) hört man aktuell nahezu nichts mehr. Auf den Seiten des AA kann man lesen, dass Griechenland als Risikogebiet gilt. Wie kommt das zu Tode ruinierte Gesundheitssystem damit zurecht? Wie die Griechen selbst?
Ach ja, Nawalny wurde auch gerade medial wieder ausgegraben. Alle empören sich über Russland und die Gefängnisbedingungen, aber über Assange und den Whistleblowerschutz kein Wort.
Es sitzen die falschen Leute in Brüssel.
RichardRoe
11. April 2021 @ 10:21
Nein, von der Leyen und Michel haben nicht zur neuesten Mißachtung der Frauenrechte geschwiegen, sie haben den Sultan darauf hingewiesen, dass sie den Ausstieg der Türkei aus der Istanbul-Konvention nicht gutheißen.
Der Bubenstreich des Sultan war die Antwort auf diese – ihn offenbar schwer beleidigende – Ermahnung! Er verbannte die Frau von der Leyen aufs Sofa und die ließ sich das glatt gefallen. Und Herr Michel sass breit mit dem Hintern auf seinem Stuhl und tat auch nichts. Damit konnte der Sultan seinem Volk und der Welt beweisen, welch armen Tschapperln da in Brüssel regieren. Er hat schon Fr. Merkel vor einer türkischen statt einer deutschen Fahne platziert, das Echo darauf war Null. Nun wurden die beiden Präsidenten der EU als Lachnummer vorgeführt. Früher wurden wegen solcher Dinge Kriege erklärt, wir bezahlen den Sultan hingegen auch noch mit Milliarden von unserem Steuergeld.
Bottom line: wer den Stolz eines orientalischen Potentaten beleidigt, der muss damit rechnen, dass der eine Retourkutsche fährt.