Vom Fehlstart zur Farce, Scholz bittet um Verständnis – und Orban sagt ab

Die Watchlist EUropa vom 17. September 2024 – Heute mit News und Analysen zum Gezerre um die neue EU-Kommission, zu den deutschen Grenzkontrollen und zu Ungarns Regierungschef Orban, der wegen Hochwasser eine umstrittene Rede absagt.

Den Fehlstart der Kommission von der Leyen II. haben wir in diesem Blog schon oft beschrieben. Zu wenig Frauen, zu viele Konservative und zu große Abhängigkeit von den EU-Staaten – das hat für Verzögerungen und Streit gesorgt.

Doch nun wird das Ganze zur Farce. Das Wort stammt nicht von mir – es kommt aus dem Pressesaal der EU-Kommission, wo am Montag mehrere Journalisten-Kollegen die “Farce” um den Rücktritt des französischen Kommissars Breton und seine deutsche Chefin beklagt haben.

Doch auch mit diesem bösen Wort konnten sie von der Leyens Pressesprecher nicht aus der Reserve locken. Die Spindoktoren der Kommission hielten es nicht einmal für nötig, auf Bretons harten Vorwurf einzugehen, dass von der Leyen ihre Behörde auf eine “fragwürdige” Art führe.

Intransparentes Geschacher

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Dabei ist der Vorwurf durchaus berechtigt. Wie schon aus Berlin gewohnt, legt die CDU-Politikerin auch in Brüssel einen intransparenten, abgehobenen und autoritären Regierungsstil an den Tag. Die Kollegialität hat sie längst abgeschafft, in der 13. Etage der Kommission thront sie über EUropa.

Doch hier geht es nicht nur um eine ärgerliche Farce. Wir wohnen der intransparenten und unberechenbaren Bildung einer neuen übermächtigen EU-Kommission bei, der jegliche demokratische Legitimität fehlt. Damit meine ich nicht nur die abgekartete “Wahl” der deutschen Chefin.

Damit meine ich auch das Geschacher um Posten und Pöstchen, das die Nominierung der 26 neuen Kommissare überschattet. Da werden neue Portfolios und Phantasieressorts zusammengezimmert, die nichts mit dem Ergebnis der Europawahl zu tun haben.

So soll es künftig einen Verteidigungskommissar geben, obwohl die EU dafür gar nicht zuständig ist. Die Außenpolitik soll von einer Frau geleitet werden, die auf Kriegsfuß mit Russland steht – und deren Partei bei der Europawahl weit abgeschlagen auf Platz drei landete.

Institutionen außer Kontrolle

Völlig absurd wird es in der Wirtschaftspolitik. Von der Leyen will sich vom “Kommissar der Konzerne” Breton trennen, aber einen postfaschistischen Italiener zum Executive Vice President ernennen, um Italiens Regierungschefin Meloni zu gefallen. Dabei hat die nicht einmal für VDL II. gestimmt…

Der gesamte Prozess ist offenbar völlig außer Kontrolle geraten, alle Beteiligten im Europäischen Rat und in der Kommission haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Wir werden Zeugen einer Krise der EU-Institutionen, wie es sie sei dem Sturz der Kommission Santer nicht mehr gegeben hat.

Mittlerweile ist nicht einmal mehr klar, ob es von der Leyen gelingen wird, ihr neues Team wie geplant am Dienstag vorzustellen. Denn das Geschacher ist mit dem Rauswurf von Breton noch längst nicht vorbei. Es geht bis zur letzten Minute weiter – und könnte die Vorstellung erneut verzögern…

Siehe auch Fehlende Legitimität: Der EUropäische Makel sowie meine Artikel in der taz und auf Cicero online (Paywall)

P.S. Und so verabschiedet VDL verdiente Mitglieder ihrer Kommission: I have taken note and accepted the resignation of Thierry Breton and thank him for his work during his tenure as commissioner. Das ist alles. Versendet über X – und dann tschüss bzw. adieu!

News & Updates

  • Scholz wirbt für Grenzkontrollen. Die neuen deutschen Grenzkontrollen sind wohl doch nicht so gut mit den EU-Partnern abgestimmt. Nun wirbt Kanzler Scholz für Verständnis und ruft einen nach dem anderen an. Zuvor hatte Polens Regierungschef Tusk “dringende Konsultationen” mit anderen deutschen Nachbarn angekündigt. – Mehr hier (Blog)
  • Macron droht Amtsenthebungs-Verfahren. Zum ersten Mal seit der Parlamentswahl trifft sich am Dienstag das “Bureau” der Assemblée Nationale. Der Ausschuss muss über ein Amtsenthebungs-Verfahren gegen Präsident Macron befinden, das LFI – die radikale Linke – beantragt hat. Es könnte ausgerechnet an den (gemäßigten) Sozialisten scheitern…
  • Belgien streikt für Audi-Werk. Ein landesweiter Streik hat am Montag die belgische Hauptstadt lahmgelegt. Die Gewerkschaften hatten den Ausstand aus Solidarität mit den Arbeitern des Audi-Werks in Brüssel ausgerufen, das von Schließung bedroht ist. Sie fordern, dass sich die EU sich für den Erhalt der Jobs einsetzt – doch die Kommission stellt sich taub. – Mehr hier (taz)

Das Letzte

Orban, das Europaparlament und das Hochwasser. Es sollte DER Aufreger der Woche werden – jedenfalls für die Grünen im Europaparlament. Ungarns Regierungschef Orban wollte in Straßburg sprechen und die Prioritäten seines EU-Vorsitzes erläutern. KRASS! Denn da hätte er ja schon wieder über Frieden und Diplomatie in der Ukraine sprechen können! Doch nun wurde der Event abgesagt. Offizieller Grund: Das Hochwasser in Ungarn.  “Aufgrund der extremen Wetterbedingungen und der anhaltenden Überschwemmungen in Ungarn habe ich alle meine internationalen Verpflichtungen verschoben”, schrieb Orban im Onlinedienst X. Ganz allein ist er allerdings nicht auf diese Idee gekommen. Denn schon am Wochenende hatte der Chef der Konservativen im EU-Parlament, Manfred Weber, Orban nahegelegt, seinen Termin zu canceln – wegen Hochwasser…

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