Vestagers verdiente Niederlage (und Macrons Beitrag)
Früher galt sie als aufrechte Kämpferin gegen die Dominanz der US-Konzerne. Doch nun hat EU-Wettbewerbskommissarin Vestager eine amerikanische Lobbyistin engagiert. Das wird ihr zum Verhängnis.
Die Amerikanerin Fiona Scott Morton sollte den Posten der Chefökonomin für Wettbewerb in der EU-Kommission erhalten. Doch nun hat sie ihre Bewerbung zurückgezogen – der Widerstand war zu groß.
Vor allem Frankreich war auf die Barrikaden gegangen. Denn Morton war vor ihrem geplanten Wechsel nach Brüssel für diverse US-Konzerne und auch noch für die US-Regierung tätig.
Vestager nahm die Absage “mit Bedauern” an, wie sie auf Twitter erklärte. Für die erfolgsverwöhnte Dänin ist eine große, wenn nicht ihre größte Niederlage. Doch sie zeigt keinerlei Einsicht.
Noch am Vortag musste sich Vestager einer kurzfristig einberufenen Anhörung des Europaparlaments stellen. Hier ihre wichtigsten Aussagen, zitiert nach dem französischen Juristen G. Champeau:
- She was lacking competent European candidates for the job, so she chose to remove the EU nationality requirement. But when Scott-Morton will have to recuse herself, competent European people will take over. (yes, read this twice)
- The list of conflict of interests is still being processed, but the decision to hire Scott-Morton is already made.
- The list of Scott-Morton’s conflict of interests is confidential and won’t be provided to the European parliament members
- Scott-Morton will work on the tech cases even though she worked for GAFAMs. “Very few cases” where she may have to recuse herself based on preliminary examination.
- Scott-Morton has not had benefited from any security clearance, nor needs to. Even though she will work on priviledged information and have information that will be of primary interest for her home country
- The removal of the EU nationality requirement is an exception and won’t be the rule
Zu gut deutsch: Es habe nicht genug geeignete Kandidaten aus EUropa gegeben, daher habe sie die EU-Nationalität als Auswahlkriterium kurzerhand gestrichen.
Zudem räumte Vestager ein, dass mögliche Interessenkonflikte noch nicht geprüft worden seien. Die Liste möglicher Probleme sei geheim und werde dem EU-Parlament nicht vorgelegt.
Eine Sicherheitsüberprüfung habe nicht stattgefunden, und dies sei auch nicht nötig. Die Entscheidung, der Amerikanerin Scott-Morton die EU-Stelle zu geben, sei bereits gefallen und werde nicht revidiert.
Genauso gut hätte Vestager auch sagen können, dass sie keinen Bock mehr hat, europäische Interessen gegen die USA zu schützen – und dass das Europaparlament gar nichts zu melden hat.
Zum Glück ist Macron dazwischen gegangen – sonst hätten sich Vestager und ihre Chefin von der Leyen womöglich durchgesetzt…
Siehe auch Aufgelesen: Eine Amerikanerin in Brüssel sowie Vestager hat der Mut verlassen
P.S. Die Grünen im Europaparlament haben übrigens bis zuletzt zu Vestager und Scott Morton gehalten. Der Außenpolitiker Bütikofer holte sogar die Nationalismus-Keule raus, um die Amerikanerin durchzuboxen…
B.Schroeder
31. Juli 2023 @ 19:05
Die EU ist seit ihrer Gründung ein Projekt der Reichen, Korrupten incl. Wirtschaftsmafia, die Lobbyisten nicht zu vergessen.
Was die EU-Kommissare/Innen an “Krimineller Energie” an den Tag legen, ist bei dem Verdienst, nicht mehr zu verstehen.
Aber die bisherigen Beispiele belehren uns eines besseren.
Vestager ist mittlerweile als Angloamerikanischer”Aktivposten” zu sehen.
Höchste Zeit für eine vorzeitige Pension dieser Dame.
Helmut Höft
21. Juli 2023 @ 10:48
Nachtrag: … Vestager auch sagen können, dass sie keinen Bock mehr hat … einfach nur traurig: Vestager gehörte idV nmM zu den Aufrechten, zu den – im positiven Sinne – Kantigen, nun ist sie “endlich rundgeschliffen”!
Sozialdarwinusmus pru! Es ist halt so, dass die Mächtigen die Macht haben. Wenn man das ganz zu Ende runterbricht läuft es immer auf Muskeln und Testosteron raus: Flugzeugträger & Marines (Militär), Geld (Dollar) und Kapital (eine geballte Ladung Oligarchen). Das Ganze gewürzt mit etwas Narration (ebenfalls runter zu kürzen auf: “Wir sind die Guten, gelle”) … und der Drops ist gelutscht!
Helmut Höft
21. Juli 2023 @ 09:55
Die Liste möglicher Probleme sei geheim und werde dem EU-Parlament nicht vorgelegt. *tststs* Transparenz ist, wenn man die Probleme geheim hält! *lol*
Kleopatra
21. Juli 2023 @ 08:01
@Monika: Diese Definition läuft darauf hinaus dass man Gefühle, die man für akzeptabel hält, „Patriotismus“ nennt und die anderen „Nationalismus“. D.h. je nach der eigenen moralischen Bewertung wählt man den einen oder anderen Terminus. Die begriffliche Trennung funktioniert schon deshalb nicht, weil in vielen Fällen Gruppen sich berechtigt oder unberechtigt angegriffen oder unterdrückt fühlen, und dann sind negative Gefühle gegenüber den Angreifern oder Unterdrückern normal und zu erwarten.
KK
21. Juli 2023 @ 02:56
@ Kleopatra:
“ich sehe hier den Versuch, einen EU-Nationalismus zu konstruieren, aber auch der wäre ein Nationalismus.”
Humbug; kein souveräner Staat oder Staatenbund legt sein Schicksal ohne Not (besser: genötigt zu werden) in die Hände von Staatsangehörigen anderer Staaten. Das ist in den allermeissten Verfassungen und eben auch in den EU-Verträgen so festgeschrieben. Das hat nichts mit Nationalismus, sondernmit dem Schutz staatlicher Eigeninteressen und eben – ja, genau: Souveränität zu tun.
Wer das trotzdem tut (wie zB die Ukraine nach dem sog. “EURO”-Maidan), der ist irgendwann gef*** – und führt einen Stellvertreterkrieg für die Interessen anderer.
Monika
20. Juli 2023 @ 14:55
@Kleopatra
hier eine griffige Definition von Nationalismus in Abgrenzung zum Patriotismus von Roman Gairy:
„Patriotismus ist die Liebe zu den Seinen, Nationalismus der Hass auf die Anderen.“
Wäre zu überlegen, ob „Nationalismus“ auf Grund der EU-Verfasstheit überhaupt möglich ist … kollektive Interessen wären schon möglich, und die sollte die EU auch wesentlich selbstbewusster und fordernder zur Geltung bringen.
Leider gibt es mittlerweile diese sehr geschmeidigen, nur auf die eigene Fassade und das Schulterklopfen des Chefs (wer immer das dann ist) reflektierenden Politiker*innen ohne eigenen Wesenskern, dafür fächerübergreifend perfekt „abgerichtet“
…all that young leadership-Gedöns.
Kleopatra
20. Juli 2023 @ 13:59
@KK: zu 1: ich sehe hier den Versuch, einen EU-Nationalismus zu konstruieren, aber auch der wäre ein Nationalismus. Außerdem halte ich Nationalismus für eine Realität, mit der wir uns abzufinden haben, selbst wenn sie uns theoretisch missfällt. Bei den Anlässen für Bedenken gegen Frau Scott Morton ist ihre Herkunft von anderen Punkten nicht klinisch sauber zu trennen.
zu 2: die Verfassung der USA nennt als Alternativen “natural born citizen”, was alle umfasst, die durch Geburt Staatsbürger sind, und das trifft auch auf im Ausland geborene Kinder von Staatsbürgern zu, sowie Staatsbürger zum Zeitpunkt der Annahme der Verfassung. (Vielleicht könnte das Bürger von Territorien einschließen die irgendwann an die USA angeschlossen werden ,weil dort die Verfassung eben erst zu diesem Zeitpunkt angenommen wird?)
KK
20. Juli 2023 @ 12:33
@ Kleopatra:
“Wenn man einer Amerikanerin grundsätzlich misstraut und befürchtet, sie werde eher auf amerikanische Interessen Rücksicht nehmen, sind das nationalistische Gefühle.”
1. Misstraut man ihr nicht grundsätzlich, sondern aufgrund ihrer Vita ganz speziell gerade auch in dem bereich, für den sie zuständig sein soll.
2. Gerade sind die Regeln der EU ja nicht nationalistisch, weil ja jedem EU-Bürger gleich welcher Nationalität Posten dortselbst offen stehen. Nicht-EU-Bürgern allerdings nicht, das ist ganz klar und unzweideutig geregelt! Und das ist in den meissten Staaten der Welt und auch den USA nicht anders – da kann noch nicht mal ein US-Bürger Präsident werden, wenn er nicht in den USA auch GEBOREN ist!
Det
20. Juli 2023 @ 12:32
„Die Grünen im Europaparlament haben übrigens bis zuletzt zu Vestager und Scott Morton gehalten.“
Die Grünen sind das trojanische Pferd der USA in den europäischen Parlamenten. So langsam sollte das doch selbst der Mehrheit der EU Bürger klar sein.
„The list of Scott-Morton’s conflict of interests is confidential and won’t be provided to the European parliament members.“
Merkwürdig! Jeder weiß doch, dass die zur Debatte stehende Personalie für Apple, Microsoft, Amazon, Pfizer und Sanofi tätig war. Was soll da noch geheim gehalten werden? Ist diese Vorgeschichte etwa nicht hinreichend, um sogenannte Interessenkonflikte zu vermuten? (Schon der Begriff „Interessenkonflikt“ ist irreführend, handelt es sich doch nicht um einen Konflikt, sondern um die ganz offene Durchsetzung von Interessen der USA in der EU). Auch ist hier die Intention kollektiver Verblödung zu erkennen, ganz offenem Lobbyismus keinen negativen Einfluß beimessen zu sollen. Um nur ein bekanntes Beispiel zu nennen, glauben doch tatsächlich viele Menschen, dass die großzügige Spende der Bill&Melinda Gates Foundarion an Spiegel online von über 2 Mio $ keinen Einfluß auf die Erzeugnisse dieses Propaganda Mediums hätte. Die kognitiven Verwüstungen bei zahlreichen Mainstreram Medien Konsumenten müssen wirklich verheerend sein.
KK
20. Juli 2023 @ 12:27
@ Karl:
„Wenn Sie mutmaßen, sollten Sie genauer sein!“
Ich kenn leider die ganzen Namen der ostdeutschen „Bürgerrechtler“ nicht, und schon gar nicht die derjenigen, die hinterher bei Bündnis 90/Die GRÜNEN was geworden wären; wenn ich mir aber die Positionen des ehemaligen Pfarrers Gauck zB anschaue, dann scheint bei zumindest einigen der Begriff „Freiheit“ ganz falsch verstanden zu werden.
Besonders im Kapitalismus muss man sich die theoretisch gewährte „Freiheit“ nämlich auch mittels dem nötigen Kleingeld leisten können.
Und wer das , in der „Freiheit“ des Westens angekommen, frühzeitig begriffen hatte, der war wohl empfänglich für die Ausstattung mit entsprechenden Mitteln.
Karl
20. Juli 2023 @ 10:38
@ KK: Der Grüne hat einen Namen, Eric Bonse hat ihn auch genannt:
Reinhard Bütikofer – er gehört zu den konvertierten KBWlern – die besonders üblen Konvertiten, wie Kretschmann muss er das sogar bis ins höhere Rentenalter praktizieren. Er kommt vom Oberrhein (Mannheim, Speyer). Ich habe ihn schon vor Jahrzehnten als Kotzbrocken erlebt, wie auch manche aus anderen Parteien.
Die berühmten ostdeutschen Bürgerrechtler wie z. B. Wolfgang Ullmann hätten dem kriecherischen Vasallentum lautstark und mit Musik den Marsch geblasen und hätten diese dubiose Amigo-Personalie platzen lassen. – Wenn Sie mutmaßen, sollten Sie genauer sein!
Kleopatra
20. Juli 2023 @ 10:04
@Arthur Dent: Formell ja. Aber man kann durchaus argumentieren, dass ein Staat für hochspezialisierte Funktionen auch Ausländer einstellen kann, und zwar auch dann, wenn üblicherweise für den Staatsdienst die Staatsangehörigkeit Voraussetzung ist. Außerdem könnte dieses Hindernis ja durch Einbürgerung umgangen werden (gut, in der EU müsste eben ein Mitgliedstaatgebeten werden …).
Wenn man einer Amerikanerin grundsätzlich misstraut und befürchtet, sie werde eher auf amerikanische Interessen Rücksicht nehmen, sind das nationalistische Gefühle. Das genügt als Argument aber nicht, um die Bedenken abzutun.
MichaelB
20. Juli 2023 @ 10:02
EU Bedienstete müssen die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates haben. Deshalb durften sich ja die UK-Funktionäre nach dem Brexit verabschieden. Hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern mit den Interessen für EU, für die man arbeitet und gut bezahlt wird.
Arthur Dent
20. Juli 2023 @ 09:29
@Kleopatra
Zu klären wäre, ob der Posten der Chef-Ökonomin Beamtenstatus hat. In Deutschland bspw., kann man nur mit bestimmten Staatsangehörigkeiten verbeamtet werden. Gelten ähnliche Regeln auch für die EU, dann kann eben nicht jede(r) diesen Posten bekleiden, sondern nur Personen mit entsprechenden Staatsangehörigkeiten. Gemeinschaften haben nun einmal das Recht, die Regeln, die für die Aufnahme in diese Gemeinschaft gelten sollen, selbst festzulegen. Mit Nationalismus hat das erst einmal wenig zu tun.
Thomas Damrau
20. Juli 2023 @ 09:05
@Kleopatra
Fiona Scott Morton hätte sich in Dänemark einbürgern lassen können …
Spaß beiseite. Bedenklich finde ich die Aussage, innerhalb der EU habe sich kein(e) passende(r) Bewerber(in) finden lassen und deshalb müsse eine US-Amerikanerin engagiert werden:
– Haben die USA und die EU wirklich die selben Vorstellungen von Wettbewerbsrecht, so US-Erfahrung genügt, um jeden potentielle(n) europäische(n) Bewerber(in) auszustechen?
– Oder sollte die Bestallung von Frau Morton dazu dienen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den USA weiter zu vertiefen?
Das würde ich gerne von Frau Verstager erfahren … wird sie aber wohl nicht verraten.
ebo
20. Juli 2023 @ 09:22
Das Hauptproblem ist nicht einmal die Nationalität, sondern die Befangenheit. Immer, wenn es um Apple & Co. – ihre ehemaligen Auftraggeber – gegangen wäre, hätte sich Frau Scott Morton von ihrem Job entbinden lassen müssen. Dass Vestager dann auch noch die Unverschämtheit besaß zu behaupten, sie habe mögliche Interessenkonflikte noch nicht geprüft und werde diese auch nicht offenlegen, schlägt dem Faß den Boden aus!
Kleopatra
20. Juli 2023 @ 08:16
Man muss den eigenen Sprüchen nicht mehr glauben als wirklich nötig.
Bedenken gegen eine amerikanische Bewerberin für eine mächtige Position in der EU-Kommission sind natürlich nationalistisch. Allerdings sollte man Nationalismus etwas gelassener angehen und akzeptieren, dass er nun einmal da ist und nie verschwinden wird. Im konkreten Fall geht es um konkurrierende Wirtschaftsinteressen, die auch mit Konflikten zwischen den USA und der EU verbunden sind.
Dass die Dänin MV eine Amerikanerin einstellen wollte, ohne diskret zu klären, ob das akzeptiert würde, zeigt, wie sehr die Einstellung zum Prinzip Wettbewerb die EU kulturell teilt: für manche ist das geradezu eine Religion, aber eben nur für manche.
NB: Die deutsche grüne Außenministerin hat zwar eine Amerikanerin zur Staatssekretärin gemacht, aber die musste sich, glaube ich, erst einbürgern lassen. Diese Möglichkeit (durch die das formale Hindernis beseitigt worden wäre) stand MV nicht zur Verfügung, weil die EU keine eigene Staatsangehörigkeit vergibt.
Thomas Damrau
20. Juli 2023 @ 07:21
Mich empört die zunehmende Nutzung des Begriffs „confidential“:
– Von den Laien verschleiert ihre Interaktionen mit Pfizer: Die Absprachen seien „geheim“.
– „Scott-Morton’s conflict of interests is confidential“ verweigert den europäischen Bürgern Einblicke, bei welchen Entscheidungen des künftigen Spitzenpersonals genauer hingesehen werden muss.
Die EU ist (noch) keine Aktien-Gesellschaft, die durch Geheimhaltung finanzielle Interessen absichern muss. Bisher war mein Verständnis, dass die EU-Kommission den europäischen BürgerInnen Rechenschafts-pflichtig ist und nicht der Wall-Street. Aber vielleicht ist das ja meine fundamentale Fehlannahme.
Arthur Dent
19. Juli 2023 @ 23:25
“Fuck the EU” 🙂
KK
19. Juli 2023 @ 13:29
„Die Grünen im Europaparlament haben übrigens bis zuletzt zu Vestager und Scott Morton gehalten.“
Man kann eigentlich nur noch bedauernd feststellen, dass die GRÜNEN inzwischen die Statthalter der USA in EUropa geworden sind.
Das fing spätestens mit Joschka-Fischer und seiner „Auschwitz“-Lüge zur Begründung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges auf Serbien an. Und hat seitdem System. Ich kann nur vermuten, dass den USA die GRÜNEN als parlamentarischer Arm auch der Friedensbewegung ein derartiger Dorn im Auge waren, dass sie mit der Zeit systematisch von US-Agenten unterwandert wurden (und ich denke, dass einige „Dissidenten“ aus der ehemaligen DDR, die als „Bündnis 90 Teil der GRÜNEN wurden, da besonders empfänglich für den „Kampf um die Freiheit“ gewesen sein könnten)… anders kann ich mir die Wandlung vom Paulus zum Saulus dieser Partei nicht erklären.