Lithium und Krieg – ein toxischer Mix
Der EU-Lateinamerika-Gipfel ist mit einem Eklat zu Ende gegangen. Die Schuld liege bei “Russlands Verbündeten”, heißt es. Doch das greift zu kurz.
Die Gäste aus Lateinamerika wollten keine Gipfel-Erklärung unterschreiben, in der Russland für seinen “Angriffskrieg” gegen die Ukraine verantwortlich gemacht wurde.
Moskau nahestehende Länder wie Nicaragua, Venezuela und Kuba setzten durch, dass der Text keine explizite Verurteilung des Krieges enthält und Russland nicht einmal erwähnt wird.
Dies ist eine schwere Niederlage für die EU, die der ganzen Welt weismachen will, die Ukraine sei das wichtigste – und Russland das schlimmste – Land der Welt.
Diese Niederlage hat sie sich jedoch selbst zuzuschreiben – und nicht Moskau, das angeblich im Hintergrund die Fäden gezogen und Venezuela oder Nicaragua manipuliert haben soll.
Denn ein Lateinamerika-Gipfel ist nunmal kein Ukraine-Gipfel und auch kein Weltgericht über Russland. Europas Diplomaten haben sich verrannt und das Thema verfehlt.
Erschwerend kommt hinzu, dass die EU an Lateinamerika derzeit vor allem eins interessiert: Rohstoffe. Lithium und Kupfer werden für den “European Green Deal” gebraucht.
Von der Leyens fixe Idee
Der Auftritt von Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrem Besuch in Brasilien, Argentinien, Kolumbien und Mexiko vor einem Monat habe die letzten Zweifel daran ausgeräumt, schreibt die “taz”.
Das ist den Gästen natürlich nicht verborgen geblieben. Sie wollen nicht als billige Rohstoff-Lieferanten herhalten und sich dann auch noch von der EU über den Krieg in Europa belehren lassen.
Lithium und Krieg – das war der toxische Mix, der den Gipfel scheitern ließ. Ob es der EU eine Lehre sein wird? Wohl kaum. Kanzler Scholz sprach von einem “großen Fortschritt”…
Siehe auch Ukraine-Krieg überschattet Lateinamerika-Gipfel
Helmut Höft
19. Juli 2023 @ 18:07
@Thomas Damrau
Sehr gute Anmerkung. Nun wissen wir schon langen, dass “kluge Verhandlungsstrategie/Diplomatie & EU” ein Oxymoron darstellt, op Kölsch: “Dat jibet nit!”
KK
19. Juli 2023 @ 10:56
„Das ist den Gästen natürlich nicht verborgen geblieben. Sie wollen nicht als billige Rohstoff-Lieferanten herhalten…“
Natürlich wollen die das nicht; die erinnern sich nämlich noch an die Methoden der Europäer, als sie die Länder bereits vor Jahrhunderten auszuplündern begannen… deshalb stösst jetzt wohl auch die Überbetonung der „Moral“ so sehr dort auf.
Und dass insbesondere Venezuela da so sensibel ist, kann man ja auch verstehen: Denn auch dort hat ja die CIA mittels einer Privatarmee einen anderen „Maidan“ angezettelt, was aber in die Hose gegangen ist, und die (zumindest meissten) EUropäer haben gleich mitgemacht und diesen Hallodri Guaido sofort als Präsidenten anerkannt. Von Nicaragua und Kuba gar nicht zu reden, da läuft die Einmischung der USA, also des Herrchens der EUropäer, ja seit Jahrzehnten.
Thomas Damrau
19. Juli 2023 @ 08:45
Wer schon einmal für komplexe Projekte und Transformationen verantwortlich war, weiß, dass der Schlüssel zum Erfolg im Divide&Conquer liegt: Versuche das Probleme in verschiedene Teilprobleme zu zerlegen, die einigermaßen unabhängig voneinander sind, löse dann die Teilprobleme und bringe am Ende die Teillösungen zusammen.
Beim Lateinamerika-Gipfel geschah das Gegenteil. Die Beziehungen zu Lateinamerika sind bereits genügend komplex: Die europäische Gier nach Rohstoffen und Energie, der Wunsch der Lateinamerikaner nach eigener Entwicklung und Demokratie-Defizite auf beiden Seiten erzeugen eine Reihe von schwer aufzulösenden Widersprüchen und Konflikten. Daher wäre eine kluge Verhandlungsstrategie nötig gewesen.
Auf diese Gemengenlage noch auch die Russland/Ukraine-Frage draufzusatteln, ist wieder einmal ein Indiz für die gnadenlose Dummheit der Verantwortlichen in Brüssel. Aber Politiker müssen ja bekanntlich nicht intelligent sein, sondern nur gut reden können.
Bogie
19. Juli 2023 @ 07:46
Russland ist an allem Schuld.
Das ist und bleibt (leider) das einzige Narrativ, dass den Regierenden in Bonn, Brüssel und anderswo einfällt.
Dazu kommt zunehmend: „Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein.“
„Wir“ schlittern nicht irgendwie versehentlich in eine große Auseinandersetzung um die Weltherrschaft (der US-Amerikaner) sondern „wir“ suchen sie geradezu.