Moscovici bläst zum ungeordneten Rückzug
Wie erwartet, ist die EU-Kommission von dem umstrittenen Defizitverfahren gegen Italien abgerückt. Zu Begründung führte Währungskommissar Moscovici “die öffentliche Wahrnehmung” an – und nicht die EU-Regeln. Kein Wunder, denn die sind ohnehin nicht zielführend.
“Wir können den Kontext nicht ignorieren”, sagte Moscovici. Die nahende Europawahl, aber auch die “Probleme in anderen Ländern” (sprich: Frankreich, Spanien, Belgien) hätten die Kommission bewogen, nun doch kein Defizitverfahren einzuleiten.
“Die EU ist nicht der Feind des italienischen Volkes, wir sind keine bürokratische Maschine, die blinde Austerität durchpaukt”, fügte der Franzose hinzu, der offen mit Präsident Macron sympathisiert (und dessen Wohltaten an die Gelbwesten guthieß).
Na also, die Kritik hat offenbar doch gewirkt! Auch in diesem Blog haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Strafverfahren gegen Italien das Schuldenproblem verschärft und vor allem den EU-Gegnern geholfen hätte...
Pikant ist aber auch, was Moscovici zum Defizit in Italien sagt. Er räumt nämlich ein, dass das so genannte “strukturelle Defizit” – die Grundlage für jedes Defizitverfahren – nun doch nicht abgebaut wird. Vielmehr wird es um 0.1 Prozent zulegen!
Das ist zwar deutlich weniger, als Rom zunächst geplant hatte. Ursprünglich hatte die EU-Kommission aber einen Abbau um mindestens 0,6 Prozent gefordert. Nun gibt sie sich mit einer “Sicherheit” im Budget von 2 Mrd. Euro zufrieden, die eingefroren werden sollen, falls die Zahlen doch aus dem Ruder gehen.
In der Praxis bedeutet das, dass die EU-Kommission ihre eigenen Regeln bricht – weil sie in Italien nicht durchsetzbar sind, aber auch, weil andere Länder es ebenso machen. Vom Abbau des italienischen Schuldenbergs ist gar keine Rede mehr…
Es ist ein Rückzug auf ganzer Linie – politisch und ökonomisch. Allerdings kein ordentlicher, sondern ein ungeordneter – was für eine schöne Bescherung!
Siehe auch “Schöne Bescherung für Italien?” und “Die Regeln sind das Problem”
P.S. Wesentlich reservierter äußerte sich übrigens der Vize-Präsident der EU-Kommission, Dombrovskis. Die jetzt erzielte Lösung sei “nicht ideal”, vermeide aber, ein “übermäßiges Defizitverfahren in diesem Stadium zu eröffnen“, sagte Dombrovskis, der als Hardliner in der Budgetpolitik gilt. Italien bleibe unter Beobachtung, es seien weitere „strukturelle Bemühungen“ nötig. Das klingt nicht so, als sei die Geschichte beendet…
Bubblegum
20. Dezember 2018 @ 16:22
Manchmal frage ich mich ob in der Eu-Komission nur wirtschaftspolitische Schwachköpfe sitzen, die nicht einmal einfachste Rechenregeln beherrschen. Die offiziell verkündete Inflationsrate in der EU beträgt im Schnitt 2,5%. Die Steigerungsrate der Haushaltsausgaben
Italiens sollte ursprünglich 2,4% betragen. Das sind 0,1 Punkte weniger als die Preissteigerungsrate, also real gesehen eine Ersparnis und keine Steigerungsrate der Ausgaben. Lt. Moscovici und Konsorten bezieht sich bei der Schuldenquote auf das BIP.
Das BIP steht also im Nenner des Bruches. Austeritätsmaßnahmen führen in Verbindung mit den Multiplikatoreffekten zu einer massiven Absenkung des BIP, die im Regelfall größer
ist als die Schuldenreduzierung im Zähler des Bruches. Die Schuldenquote steigt trotz Reduzierung. Die armen Griechen haben das erleiden müssen, stehen bezüglich der Schuldenquote heute nicht besser da als 2010. Nur, weil Moscovici und Co. sowie Lagarde vom IWF rechenregeln nicht beherrschen, die heutzutage je der Schüler der 6. Klasse Hauptschule kennen muss. Armes Europa!!
Georg Soltau
20. Dezember 2018 @ 00:50
….weil Frankreich die EU Kriterien nun auch nicht einhält, braucht es nun auf einmal auch Italien nicht. Bei der Gleichbehandlung der EU-Mitglieder sind einige eben gleicher als die anderen !
Oudejans
19. Dezember 2018 @ 21:09
À propos: baut Japan eigentlich seinen Schuldenberg ab? Die Situation in Italien ist doch strukturell ähnlich… Vielleicht sogar, zum Schrecken aller Riester, ein Modell?
Oudejans
19. Dezember 2018 @ 21:05
Angesichts der Lage in F, E ,I B wird es der Kommission leichter fallen, Berlin klar zu machen, daß die Politik der Bedrängung so nicht weitergehen kann.
Angesichts obigen Einlenkens muß man sogleich an Athen erinnern, daß auch einige weihnachtliche Worte gebrauchen könnte.