Wenn es ernst wird, übernimmt Selmayr
Was passiert, wenn der “bestmögliche” Brexit-Deal scheitert? Beim EU-Gipfel war diese Frage noch tabu. Doch fünf Tage später zieht die EU-Kommission einen fertigen Plan aus dem Ärmel. Dahinter steckt ‘mal wieder ein Deutscher.
Blockierte Häfen, Chaos an den Airports, Panik an den Börsen und vielleicht sogar eine Finanzkrise: An Horror-Szenarios für den „harten“, vertraglich nicht abgesicherten Brexit mangelt es nicht.
Bisher hat die EU diesen Alpträumen nicht widersprochen – offiziell glaubt Brüssel noch an den mit London ausgehandelten Scheidungsvertrag. Ein wenig Panikmache konnte nicht schaden, um diesen Deal durchzudrücken.
Doch nach dem Streit mit Premierministerin May beim EU-Gipfel letzte Woche hat die EU-Kommission die Schalter umgelegt. „Das Beste hoffen, sich auf das Schlimmste vorbereiten“ heißt es nun in Brüssel.
Brüssel will “harten” Brexit weicher machen
Getreu diesem Motto legte die EU-Behörde einen Notfallplan vor, der den „harten“ Brexit weniger hart machen soll – jedenfalls für die Bürger.
So sollen Direktflüge nach London weiter möglich sein. Aber ein Zwischenstopp in London, um von dort nach New York weiterzufliegen, wird im „No Deal“-Szenario nicht mehr erlaubt.
Wer ab April Reisen in oder über das United Kingdom plant, sollte gewarnt sein. In 100 Tagen könnte die Freiheit über den Wolken nicht mehr grenzenlos sein.
Die Bürger sollen nicht “unnötig” leiden
Die EU-Kommission will auch sicherstellen, dass die 3,5 Millionen in UK lebenden EU-Bürger (und die 1,5 Millionen Briten in der EU) nicht „unnötig“ leiden müssen.
Brüssel plädiert hier für “einen großzügigen Ansatz”. So schlägt die Kommission vor, dass die EU-Staaten möglichst einheitlich einen legalen Aufenthaltsstatus gewähren.
Zudem sollen die EU-Staaten so schnell wie möglich Absprachen zur Sozialversicherung treffen, um zum Beispiel den Krankenversicherungsschutz zu garantieren.
[wp_ad_camp_1]
Dabei setzt die EU-Kommission auf Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit mit Großbritannien. Allerdings hat sie auch einen Krisenstab eingesetzt, der von dem deutschen Juristen M. Selmayr geleitet wird.
Im Ernstfall soll er in kürzester Zeit weitere Notmaßnahmen verhängen. Von den insgesamt 14 Notmaßnahmen, die die EU-Behörde vorgeschlagen hat, liegen neun allein in ihrer (also seiner?) Hand.
Dabei hat das Europaparlament gerade nochmals Selmayrs Rücktritt gefordert. Doch Kommissionschef Juncker kümmert das nicht. Wenn es ernst wird – dann ruft er seinen deutschen “General”…
P.S. Den Brexit-Deal, der keine Mehrheit findet, hatte übrigens auch eine Deutsche ausgehandelt, im “Tunnel” – mehr hier
Peter Nemschak
21. Dezember 2018 @ 09:53
@Holly01 Nehmen Sie das als Kompliment für Deutschland, das trotz aller Kritik ein gut geführtes Land ist. Würden Sie, wenn Sie auf der Suche nach einem besseren Leben wären, nach Osteuropa oder gar nach Russland wandern?
Holly01
20. Dezember 2018 @ 15:11
Da sollten die Brexiter doch ihre Chance nutzen und den Austritt komplett ohne Vertrag durchziehen.
Der OTC Handel wird auch weiter geführt. Also alles auf Grün.
Da kann man dynamisch zeigen, wie hart man wirklich ist und ganz nebenbei etabliert sich direkt vor Europa ein Land das weder durch die WTO noch durch irgendwelche internationalen Verträge behindert, absolut autark auftritt.
Da bin ich mal gespannt, das dürfte das größte Freilandexperiment, seit der deutschen Wiedervereinigung oder der Euro Einführung sein.
Spannend ….
vlg
Peter Nemschak
20. Dezember 2018 @ 16:06
Die EU sollte die neue Migrationsgesetzgebung des UK übernehmen, welche die Migration aus Drittstaaten regelt. Sonst konzentriert sich der Migrationsdruck in Zukunft auf die EU:
Holly01
20. Dezember 2018 @ 18:14
Nach meinen Informationen gibt es keinen Migrationsdruck.
Wenn die Informationen stimmen, beschreibt die Bertelsmann Stiftung einen demographischen Faktor und einen “Fachkräftemangel” und fordert von der Politik massive Gegenmaßnahmen.
Die EU hat das Problem auch überhaupt nicht.
Durch die Veröffentlichungen, wollen die alle nach Deutschland, der Rest der EU winkt durch.
vlg
Kamelia
20. Dezember 2018 @ 11:19
Relotiusskandal beim Spiegel und ein absehbarer
Selmayrskandal bei Bertelsmann. (Psssst:
Fake News)
Peter Nemschak
20. Dezember 2018 @ 09:47
Dass Selmayr soweit gekommen ist, hat nicht nur mit politischer Protektion zu tun. Erledigungsorientierte Mitarbeiter wie ihn, wünschen sich viele Chefs, mit Ausnahme solcher die glauben, dass sie selbst ihr bester Mitarbeiter sind und dabei scheitern.
ebo
20. Dezember 2018 @ 10:17
Völlig richtig. Allerdings gibt es zwei Probleme: 1. Juncker kann nicht mehr ohne Selmayr. Wenn er geht, gehe ich auch, hat er gedroht. Die Gründe sind hinreichend bekannt, denke ich. 2. Selmayr hat eine bisher nie dagewesene und nicht kontrollierte Macht, die bis in den Rat ausstrahlt. Bei seiner Blitz-Nominierung wagte es kein einziger EU-Kommissar, zu widersprechen. Dabei waren einige Minister oder sogar Premierminister! Das zeigt, wie “politisch” diese Kommission ist…
Peter Nemschak
20. Dezember 2018 @ 11:46
Das von Ihnen beschriebene Phänomen ist auch in nationalen Verwaltungen und Unternehmen, unabhängig davon welche Parteienkonstellationen oder Vorstände gerade an der Macht sind, bekannt. Spitzenbeamte und Bereichsleiter in Unternehmen entwickeln im Laufe der Zeit auf Grund ihres Detailwissens eine starke de facto Macht- und Vertrauensposition, die schwer kontrollierbar ist, insbesondere wenn keine gravierenden Fehlleistungen, welche die Chefs desavouieren, auftreten. Der Preis für den regelmäßigen Austausch der zweiten Führungsebene ist der Verlust von Wissen und Effektivität einer Organisation und keine Besonderheit der Europäischen Kommission. Es zeigt bloß, wie effektiv politische Macht über die Besetzung von zweiten Führungsebenen von außen ausgeübt werden kann.