Menasse fälscht Hallstein – und Brüssel klatscht
Der österreichische Schriftsteller R. Menasse ist so etwas wie der Hofberichterstatter der EU in Brüssel. In seinem Buch “Die Hauptstadt” hat er die EU-Kommission verherrlicht und den früheren Behördenchef Hallstein bejubelt. Leider war vieles frei erfunden.
Menasse habe über Jahre hinweg Hallstein-Zitate gefälscht, die seine Vision der “Vereinigten Staaten von Europa” besser legitimierten, berichtet die “taz”.
Sogar eine Rede von Hallstein in Auschwitz habe er sich ausgedacht. Statt um Fakten sei es dem Bestseller-Autor darum gegangen, “Propaganda für ein vereintes Europa” zu machen.
Das ist ein dolles Ding. Denn es stellt nicht nur Menasses Arbeit infrage – sondern auch viele linksliberale Medien, die sein – ziemlich mediokres – Buch noch vor einem Jahr in den Himmel schrieben.
Die “taz” zieht sogar eine Parallele zum Fall Relotius vom “Spiegel”:
Bei Menasse ist das Versagen noch eklatanter: Der Historiker Heinrich August Winkler begründete schon im Oktober 2017 in einem Spiegel-Essay, warum er die Hallstein-Zitate für falsch hielt. Niemand reagierte. Weder Menasse noch seine zeitweilige Co-Autorin Ulrike Guérot, weder der „Spiegel“ selbst noch andere Medien oder andere Institutionen im Kulturbetrieb.
Menasse hielt weiter Lesungen, ohne dass er auf die falschen Zitate angesprochen wurde. “Weite Teile des linksliberalen Betriebs fühlen sich derzeit im Kulturkampf gegen Rechts”, erklärt die “taz” den Blackout.
Deshalb seien sie kaum noch in der Lage, “Fälschungen im eigenen Lager” zu erkennen. Allerdings würde ich diese Kritik noch ein wenig ausweiten – auf die EU-Kommission und das Europaparlament in Brüssel.
Denn auch dort hätte man erkennen müssen, dass Menasse sich ein ideales, föderales EUropa zurechtlegt, das so nie existiert hat, und den “Gründervater” Hallstein – einen Deutschen – für seine Zwecke vereinnahmt.
Doch auch in Brüssel sind alle Sicherungen durchgebrannt. Bei diversen Lesungen und Podiumsdiskussionen wurde Menasse lauthals beklatscht. Vor allem EU-Beamte waren von seinen Thesen begeistert.
Die EU-Kommission hat nun (beim letzten EU-Gipfel( zwar einen Feldzug gegen “Fake News” aus Russland gestartet – doch Fälscher in den eigenen Reihen erkennt sie offenbar nicht…
Siehe auch “Wo Guérot irrt” sowie Update hier
Peter Nemschak
5. Januar 2019 @ 11:22
ebo Nicht jeder Bürger in der EU ist der Meinung, dass es die Aufgabe der die EU sei, ein sozialdemokratisches Europa schrittweise herzustellen. Solange die Besteuerungskompetenz bei den Nationalstaaten liegt, wird sich in der EU kein einheitliches Sozialstaatsmodell – selbst wenn man es wünschen würde – herstellen lassen. Das zeigt sich schon bei der diskutierten, bisher aber nicht verwirklichten europäischen Arbeitslosenversicherung. Allein bei der Frage, was unter unverschuldet in Not gekommenen Mitgliedsstaaten zu verstehen ist, werden sich die Geister scheiden. Der größte gemeinsame Nenner innerhalb der EU ist eben die Wirtschaftsgemeinschaft.
Peter Nemschak
4. Januar 2019 @ 21:25
@ebo die EU sollte die Bürger nicht mit der Vision eines europäischen Bundesstaats überfordern. Die Stärke Europas liegt in nationaler Vielfalt, die es zu respektieren gilt. Vielmehr sollten jene Projekte schmackhaft gemacht werden, die man besser gemeinsam als jeder für sich lösen kann. Beim Klimaschutz wären gemeinsame Ziele und Umsetzungskontrolle durch die EU sinnvoll. Wie jeder Mitgliedsstaat diese Ziele erreichen kann, sollte im nationalen Ermessen bleiben. Es muss und wird in Zukunft auf unterschiedlichen Politikfeldern unterschiedliche Integrationsgeschwindigkeiten geben. Man soll den Bürgern nichts aufzwingen, was sie nicht wollen.
ebo
4. Januar 2019 @ 21:47
@Nemschak Wer redet denn von einem europäischen Bundesstaat? Das ist eine deutsche Idee, die nicht einmal mehr von Merkel vertreten wird! Menasse mag ihr nachhängen, doch ihm klatschen nur einige EU-Beamte Beifall. Das Problem ist, dass auch die Nationalstaaten zunehmend versagen, wie wir am Beispiel von UK, BE und FR sehen. Wir sind zwischen Baum und Borke – was weder Macron noch Juncker oder gar die AfD und andere Rechte verstehen wollen!
Peter Nemschak
4. Januar 2019 @ 21:52
Dass die Nationalstaaten versagen, kann man nicht der EU anlasten. Die Kritik sollte sich an die zuständige Adresse richten. Mehr Europa ist eine Leerformel und bewirkt nichts.
ebo
4. Januar 2019 @ 22:05
Doch, dass muss man sogar der EU anlasten. Denn sie hat durch ihre einseitige Fixierung auf den Markt und seine “Liberalisierung” erheblich dazu beigetragen, die Mitgliedstaaten zu schwächen. Der Euro und seine absurden Regeln und Schengen ohne Grenzen sind weiter Beispiele für diese “negative Integration” (F. Scharpf)
felinette
4. Januar 2019 @ 08:51
Menasse ein Phantast aus der linksliberalen Schickeria? Also mal ehrlich, dieses In-die-Tonne-treten erscheint mir zumindest vorschnell. Ich habe den Roman seinerzeit gern gelesen, habe ihn nicht als Verherrlichung der Brüsseler Kommission empfunden und fand den utopischen Silberstreif bedenkens- und erstrebenswert. Im übrigen denke ich, dass Kleopatra Recht hat: Menasse hat fiktionale Literatur geschrieben und nie etwas anderes behauptet. Also, vielleicht ein bisschen sensibler draufhauen…
ebo
4. Januar 2019 @ 09:54
Sorry felinette, ihr habt natürlich recht, es ist ein Roman. Da muss man es mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Menasse die Sache mit Hallstein nie richtig gestellt hat, und dass ihm in Brüssel niemand widersprach.
Kleopatra
4. Januar 2019 @ 13:32
Es ist wirklich ein Problem, wenn der Autor eines historischen Romans bzw. in diesem Fall eines Romans aus der politischen Gegenwart über seine der Realität entnommenen Figuren spricht und dabei nicht jedesmal deutlich macht, ob er z.B. über den realen Hallten spricht oder über den von ihm erfundenen (alle Figuren eines fiktionalen Textes sind Schöpfungen seines Autors). Meint Melasse, wenn er über “Hallstein” spricht, seine fiktionale Figur oder die reale historische Person? Das muss im Grund jedesmal geklärt werden.
ebo
4. Januar 2019 @ 13:42
Korrekt. Das eigentliche, politische Problem scheint mir aber, dass Menasse versucht, einen neuen EU-Gründungsmythos zu erfinden. Ihm reicht nicht das “Friedensprojekt” – nein, es muss auch noch Auschwitz sein. So falsch überhöht, macht er die reale EU noch angreifbarer. Die EU muss sich heute neu erfinden, statt auf falsche bzw. überholte Mythen aus der Vergangenheit zu rekurrieren.
Kleopatra
4. Januar 2019 @ 07:45
Menasses Buch wird als Roman bezeichnet. Somit handelt es sich um fiktionale Literatur, auch wenn darin reale Personen auftreten. Deshalb ist es irrelevant, ob die beschriebenen Geschehnisse so wirklich passiert sind und ob die Äußerungen so wirklich getätigt wurden. Eher im Gegenteil: der Autor legt den Figuren Worte in den Mund, die ihrem Charakter entsprechen, so wie der Autor ihn sieht. (Ähnliche Überlegungen gelten z.B. für historische Romane).
Im Unterschied dazu ist Relotius mit dem erklärten Anspruch aufgetreten, reale Tatsachen zu beschreiben. Ihm ist es vorzuwerfen, dass er fiktionale Literatur geliefert hat, Menasse nicht.
Peter Nemschak
3. Januar 2019 @ 20:46
Die Lesungen müssen solche bei freiem Eintritt gewesen sein, Selbstvermarktung eines Phantasten aus der linksliberalen Schickeria. Viele wollen bei solchen Anlässen einfach gesehen werden. Der kulturelle Gehalt ist dabei sekundär.