Macron vs. Merkel: Der Kampf um die Deutungshoheit

Die EU hat eine neue Führung, das Postengeschacher ist beendet. Nun beginnt ein neuer Streit: Der Kampf um die Deutungshoheit. Präsident Macron hat dabei die besseren Karten – vorerst.

„Reformallianz oder Blockadegemeinschaft“ – was können Deutschland und Frankreich in der EU bewegen? Darüber ließ die Böll-Stiftung in Frankfurt diskutieren. Ein spannendes Thema nach den deutsch-französischen Konflikten um Spitzenkandidaten, EU-Erweiterung und Nato-Reform.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verloren. Der selbst ernannte Erneuerer wird nicht nur zuhause angefeindet – mit der größten sozialen Bewegung seit 1995 – sondern auch in Brüssel und Berlin. Macron-Bashing ist schwer en vogue.

Tatsächlich konnte Macron keine seiner großen Visionen für die EU umsetzen. Das Euro-Budget ist auf eine Lachnummer geschrumpft, ein Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung wird es nicht geben, und nicht einmal die Digitalsteuer ließ sich gegen Berlin durchsetzen.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch ein anderes Bild.

Macron hat nicht nur die neue EU-Führungsriege geprägt – Kommissionschefin von der Leyen war seine Wahl, EZB-Präsidentin Lagarde ebesno – sondern der EU auch sein Programm aufgedrängt. Europa spricht französisch, aufs Wort.

Plötzlich sind bisher verpönte französische Begriffe wie „L’Europe qui protège“, die europäische Souveränität, die Geopolitik oder die Industriepolitik in aller Munde. Macron hat den „European Green Deal“ vorangetrieben (gegen Widerstand aus Berlin) und die Verteidigungsunion ersonnen.

Auf französischem Ticket

Von der Leyen und Lagarde laufen auf einem französischen Ticket, Merkels neoliberale Politik und ihr blasser Spitzenkandidat Weber sind Schnee von gestern. Kein Wunder – denn Weber hatte kein Programm, und Merkel hat keinen Plan. Selbst der „Aufbruch für Europa“ ist nur heiße Luft.

Hat Macron also gewonnen? Nein, so einfach ist es nicht. Denn jetzt beginnt die nächste Phase des deutsch-französischen Duells: der Kampf um die Deutungshoheit. Es geht darum, die Ideen mit Inhalten zu setzen und das meiste aus dem neuen EU-Programm herauszuholen.

Und da geben sich Kanzlerin Merkel & Co. noch längst nicht geschlagen. In der Geopolitik haben sie mächtige Alliierte in der Nato, die gegen Macrons „strategische Autonomie“ kämpfen. In der Industriepolitik versuchen sie, den deutschen Führungsanspruch zu erneuern und Marktanteile zu halten.

Von der Leyen setzt sich von Macron ab – zumindest verbal

Auch von der Leyen versucht, sich von Macron zu emanzipieren – zumindest verbal. Ihre „geopolitische Kommission“ will an der „transatlantischen Freundschaft“ festhalten – die USA bleiben Nr. eins, trotz Handelskrieg. Auch in der Frage der EU-Erweiterung setzt sie sich von Macron ab.

Und dann ist da noch der Streit um das künftige EU-Budget für 2021-2027. Hier wird sich letztlich entscheiden, ob das neue Programm umgesetzt werden kann – vom „Green Deal“ bis hin zur Aufrüstung der EU. Das letzte Wort dürfte Merkel haben – beim deutschen EU-Vorsitz ab Juli 2020.

Der deutsch-französische Kampf um die Hegemonie ist noch längst nicht entschieden. Der Streit hat gerade erst begonnen – in aller Freundschaft, natürlich…

Siehe auch „Die Führungskrise geht weiter – Merkel verliert“ und „Wird von der Leyen zur Lame Duck?“