Lost in Ukraine, Streit über Russland-Strafen – und Justizpanne in Portugal

Die Watchlist EUropa vom 16. November 2023

Vor einer Woche hat die EU-Kommission empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu eröffnen. Man sollte meinen, Brüssel sei darauf gut vorbereitet. Doch dem ist nicht so, im Gegenteil. Die letzten Tage haben gezeigt, wie planlos die EU vorgeht – sie ist “Lost in Ukraine”.

Das fängt schon damit an, dass niemand sagen kann, wie man mit einem Land verhandeln soll, das sich im Krieg befindet und auf Hilfe von außen angewiesen ist. Beitrittsgespräche im Krieg seien ausgeschlossen, hieß es noch beim Sonder-EU-Gipfel in Versailles im Frühjahr 2022.

Eineinhalb Jahre und unzählige Kriegs-Tote später sollen die Gespräche nun angeblich zum Frieden beitragen. Doch wie? Niemand kann es erklären. Kein Wunder – denn Frieden ist kein Gegenstand der Beitrittsgespräche. Die EU hat Kriterien für alles mögliche – nur dafür nicht.

Kein Fahrplan für Reformen

Wie “lost” die EU ist, zeigt auch die Debatte über Waffenlieferungen. Die Verteidigungsminister mussten gerade erst den Offenbarungseid leisten – und einräumen, dass sie nicht genug Munition liefern können und auch nicht wissen, wie sie mehr Waffen finanzieren sollen.

Normalerweise müsste dies dazu führen, dass man vom unmöglichen Ziel eines “Sieges” der Ukraine ablässt und eine Verhandlungslösung mit Russland sucht. Doch die EU hat auch keinen diplomatischen Plan B, und sie will Kiew nicht brüskieren. Sie steckt in der Falle.

___STEADY_PAYWALL___

Dies zeigt sich auch bei der Debatte über EU-Reformen. Erweiterung und innere Reformen müssten Hand in Hand gehen, heißt es in Brüssel. Doch dafür gibt es nicht einmal einen Fahrplan – den soll die belgische EU-Präsidentschaft erst im nächsten Jahr erarbeiten.

Angst vor den Bürgern

Man stürzt sich also in ein Abenteuer, auf das man selbst nicht vorbereitet ist. Man macht den zweiten Schritt vor dem ersten und bringt sich selbst in Zugzwang. Dabei ist jetzt schon klar, dass der Beitritt der Ukraine die Agrarpolitik überfordern und das klamme EU-Budget sprengen wird.

Die EU wird nach den geopolitisch motivierten Erweiterungs-Plänen nicht mehr dieselbe sein. Auch Deutschland wird nicht mehr sein, wie es ist. Die Politiker in Brüssel und Berlin sollten den Bürgern deshalb reinen Wein einschenken und sagen, was auf sie zukommt. Doch das tun sie nicht.

Bei allen Diskussionen über die Ukraine und die Erweiterung auf bis zu 35 Länder (“fit for 35”) habe ich nie gehört, wie EUropa künftig aussehen soll. Vor allem aber habe ich nie gehört, dass die Bürger ein Wörtchen mitzureden hätten. Sie kommen bei den EU-Plänen schlicht nicht vor…

Siehe auch “Sie fürchten Kriegsmüdigkeit – und Wahlen”

P.S. Wie “lost” auch Deutschland ist, zeigt der Streit ums Geld. Nach dem 60-Milliarden-Euro-Debakel beim Klimafonds will Berlin überall sparen – nur nicht in der Ukraine. Außenministerin Baerbock will die Hilfe sogar massiv aufstocken. Fast könnte man meinen, der Krieg sei der Grünen-Politikerin wichtiger als das Klima…

News & Updates

  • Bauindustrie warnt vor “Worst Case” in Ukraine. Da es keine gemeinsamen Standards gebe, laufe man Gefahr, dass der Wiederaufbau zwar von den Europäern finanziert, aber von Firmen aus China, den USA, Japan oder der Türkei realisiert werde, hieß es bei einem Pressegespräch in Brüssel. „Dies wäre der Worst Case“, sagte ein Sprecher. Die USA hätten sich eine günstige Ausgangsposition gesichert. „Sie setzen ihre Leute in entscheidende Positionen in Kiew und arbeiten dann ein Memorandum of Understanding aus“ – mit US-Firmen. – Mehr im “Europe.Table” (Paywall)
  • Flüchtlingskrise: Aus für die Ruanda-Lösung. Asylverfahren in Ruanda: Auf diese (Schnaps-)Idee war zuerst Großbritannien gekommen, dann haben sie CDU/CSU in Deutschland propagiert. Doch nun lässt ein Londoner Gericht die Illusion platzen. Derweil hofft Kanzler Scholz auf den türkischen Sultan Erdogan – ausgerechnet. – Mehr im Blog
  • Weiter Streit über das 12. Sanktionspaket. Wie erwartet, hat die EU ein neues Maßnahmenbündel gegen Russland geschnürt. Doch es wurde nicht veröffentlicht – offenbar gibt es hinter den Kulissen weiter Streit. Nach Agenturmeldungen geht es vor allem um ein Embargo auf russische Diamanten. – Siehe auch “Neues vom Wirtschaftskrieg” (Blog)

Das Letzte

Folgenreiche Justizpanne in Portugal. Der portugiesische Premierminister Costa ist offenbar Opfer einer Justizpanne geworden. Der angebliche Beweis, dass der Sozialist in Korruptionsfälle bei der Vergabe von Lizenzen für Lithiumbergewerke und andere Großprojekte verstrickt ist, beruht auf der fehlerhaften Abschrift eines abgehörten Telefongesprächs. Dort war nicht – wie behauptet – von Premier António Costa die Rede, sondern von Wirtschaftsminister António Costa Silva. Doch der Premier ist schon zurückgetreten, im März gibt es Neuwahlen. Offenbar gibt es nicht nur in Ungarn Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat…

Siehe auch “Wegen Kritik an Israel: Habeck “cancelt” Portugal”

Mehr Newsletter hier

___STEADY_PAYWALL___