Jetzt droht ein langer Krieg – mit EU- und Nato-Beteiligung
In der Ukraine haben sich die Kriegsziele erneut verschoben. Präsident Selenskyj will nun das gesamte Land befreien, was Jahre dauern könnte. Zudem kommt wieder ein Nato-Beitritt ins Spiel.
In einer Fernsehansprache kündigte Selenskyj an, zunächst den Süden des Landes zu befreien, einschließlich der gerade verlorenen Stadt Mariupol. Das Kriegsrecht wird um 90 Tage verlängert – bis zum 23. August.
Doch das ist noch nicht alles. Ein Präsidenten-Berater sagte, sein Land werde keinen Waffenstillstand akzeptieren, solange die russischen Streitkräfte nicht vollständig aus der Ukraine abgezogen seien.
Ein “Minsk 2.0” werde es nicht geben, sagte er. Wenn das ernst gemeint ist, geht es um den gesamten Donbass sowie um die Krim. Die Kämpfe könnten dann Monate oder gar Jahre dauern.
Die Ankündigungen sind erstaunlich – denn in Mariupol hat die Ukraine gerade ihre bisher schwerste Niederlage erlitten – auch wenn die ukrainische Propaganda das Gegenteil behauptet. Auch im Donbass kommt Russland voran.
Zudem gibt es nun keinen Zweifel mehr, dass die Ukraine pleite ist und ohne westliche Hilfe nicht überleben kann. Das Land benötigt in etwa 15 Milliarden Euro, um in den nächsten drei Monaten liquide zu bleiben.
Die G-7 soll die Lücke füllen, sagte Finanzminister Lindner. Die EU hat schon 9 Mrd. EUR zugesagt, auch die USA will in die Taschen greifen. Der Stellvertreter-Krieg wird nun auch noch vom Westen finanziert.
Gleichzeitig wird wieder der Ruf nach einem Nato-Beitritt laut. Vor Beginn des Kriegs hatte Kanzler Scholz noch erklärt, das sei für die nächsten Jahre kein Thema. Nach Kriegsbeginn rückte Selenskyj von der Nato ab.
Doch nun, angefeuert und ausgerüstet von den USA und der EU, preschen die Hardliner vor. Nach dem deutschen Diplomaten Ischinger wagt sich nun auch der ukrainische Botschafter Melnyk aus der Deckung.
“Klar ist: Wir wollen schnell in die Nato. Das kann genauso rasch gehen wie im Fall von Schweden oder Finnland. Es bräuchte nur eine rein politische Entscheidung, um die Ukraine zügig ins Bündnis zu integrieren“, sagte Melnyk.
Das ist zwar Unsinn, zeigt aber, wohin die Reise geht: Russland soll alles verlieren, die Nato soll den Krieg gewinnen. Damit ist die nächste Eskalation programmiert…
Siehe auch “EUropa verliert im Stellvertreter-Krieg” sowie Falsche Prämissen, fehlende Strategie: EUropa verliert sich im Drei-Fronten-Krieg
P.S. Die Eskalation hat schon begonnen. Die USA wollen Insidern zufolge der Ukraine fortgeschrittene Anti-Schiffs-Raketen zukommen lassen, damit sie die russische Blockade ihrer Häfen am Schwarzen Meer brechen kann, meldet Reuters aus Washington…
Alexander
23. Mai 2022 @ 15:41
“Was nun (auch) kommen könnte” oder “mal eben zwei Schritte voraus gedacht”:
https://www.youtube.com/watch?v=qaVukx7EyLI
bzw.
https://www.youtube.com/watch?v=Q8UKTPZhoIs
Kann jemand außer mir mit dieser Art des Vortrages etwas anfangen? 😉
Kleopatra
20. Mai 2022 @ 09:09
Wenn ich Ihre Kommentare zusammen betrachte, würden Sie einen Waffenstillstand und nachfolgende Friedensabkommen auf der Grundlage der gegenwärtigen Frontverlaufs befürworten. Dann hätte wir allerdings eine territoriale Verteilung wie zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei Ende 1938; und wie seinerzeit ist die Seite, die die andere umfasst, eine, die demonstriert, dass sie auf territoriale Expansion aus ist; es müsste also unterstellt werden, dass Russland jederzeit die Absicht hat, zur “Frontbegradigung” die Ukraine wieder massiv zu überfallen (wie Hitler im März 1939 die Tschechoslowakei). Bei einem solchen “Partner” müssten zur Absicherung des Friedens massivste Garantien für die Sicherheit der Ukraine abgegeben werden, bis zur Androhung eines massiven Schlages (massive retaliation), ggf. auch atomar. Das wäre letztlich mit einer Expressaufnahme der Ukraine in die NATO gleichbedeutend.
ebo
20. Mai 2022 @ 10:40
Mir geht es um Analysen, nicht um Kommentare.
Erst einmal gilt es festzuhalten, dass gegenwärtig beide Seiten – der Aggressor RUS und die UKR – unzufrieden mit den Kriegsverlauf sind und weiterkämpfen wollen. Die UKR glaubt, ab dem Sommer ein Übergewicht zu haben – dank westlicher Waffen – und dann die Besatzer vertreiben zu können. RUS hat einen ersten Teilsieg errungen (Mariupol) und will das Momentum nutzen.
Insofern ist ein Waffenstillstand unrealistisch. Er wäre im März möglich gewesen, als beide Seiten auch am Verhandlungstisch saßen. Derzeit sehe ich das nicht.
Ebenso wenig sehe ich eine Aufnahme in die Nato oder in die EU. Münkler hat dazu gerade ein gutes Interview in der NZZ gegeben. Hier werden gefährliche Illusionen geschürt, die nirgendwohin führen, aber leicht in eine Eskalation des Krieges münden können.
Je mehr sich EU und Nato einmischen, desto mehr wird der Konflikt zum Stellvertreterkrieg. Derzeit sieht es so aus, dass die USA praktisch alle Waffen liefern (die Produktion der UKR ist zusammengebrochen) und die EU den Staatshaushalt am Laufen hält. Aus eigener Kraft wäre die UKR nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen.
Insofern sehe ich den Lead auch nicht in Kiew, sondern in Washington und – was die Finanzen und die Sanktionen betrifft – in Brüssel. Erst wenn der Abpfiff aus Washington kommt, kann dieser sinnlose Krieg enden.
Kleopatra
20. Mai 2022 @ 11:51
Sinnlos ist dieser Krieg nur aus unserer übergeordneten Perspektive. Für Putin wäre eine Okkupation großer Teile der Ukraine eine “Frontbegradigung” gegenüber der Situation von vor Februar 2022 (daher ist m.E. der Vergleich mit Hitler im Herbst 1938 bzw. März 1939 naheliegend). Für die Ukraine ist ein Zugang zum Schwarzen Meer für ihre wirtschaftliche Existenz essenziell; von diesem abgeschnitten, wäre sie ein Staat, der zwar viel produziert, seine Produkte aber nicht exportieren kann bzw. den Russen prohibitiv hohe Preise für die Durchfahrt zahlen müsste. Russland hat außerdem offen klargestellt, dass es in der Ukraine einen Genozid anstrebt (RIA Novosti ist schließlich eine staatliche Nachrichtenagentur), und schon das ist Grund genug für die Ukraine, sich mit “Zähnen und Klauen” zu verteidigen. Außerdem ist die Ukraine vielleicht wirtschaftlich zur Verteidigung nicht aus eigener Kraft in der Lage, personell aber offenkundig sehr wohl; und die allerbesten Argumente für das Weiterkämpfen liefern die Russen selbst durch das widerwärtige Verhalten ihrer Armee. Warum unterstellen Sie immer, dass alles hinterlistig von den USA gesteuert wird?
ebo
20. Mai 2022 @ 12:09
Weil alle Fakten dafür sprechen – vom abhörsicheren US-Satellitentelefon für Selenskyj bis hin zur neuen, rekordverdächtigen Finanzhilfe: The Senate overwhelmingly approves $40 billion in aid to Ukraine, sending it to Biden. Schon vor Beginn des Krieges wurde die UKraine von den USA bewaffnet und trainiert, nun bereiten die Amerikaner eine Seeschlacht im Schwarzen Meer vor: Die USA wollen Insidern zufolge der Ukraine fortgeschrittene Anti-Schiffs-Raketen zukommen lassen, damit sie die russische Blockade ihrer Häfen am Schwarzen Meer brechen kann.
ebo
20. Mai 2022 @ 12:12
Zum angeblichen “Genozid” sagt der australische Historiker Christopher Clark:
“Putin ist kein Hitler. Er will keine Bevölkerungsgruppe ausmerzen. Die Behauptung, er würde in der Ukraine Genozid verüben, ist schlicht falsch. Seine Streitkräfte begehen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber keinen Genozid. Ich würde dafür plädieren, dass wir die Sache ein wenig differenzierter und mit kühlem Kopf beurteilen.”
Kleopatra
20. Mai 2022 @ 12:59
Für die Beurteilung als Völkermord ist die Absicht erforderlich, “eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören”. Wenn diese Absicht vorliegt, ist nach der einschlägigen Konvention auch bereits die “Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe” oder die “gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe” Teil des Tatbestands. Dafür ist keine Tötung notwendig, weshalb die Feststellung, Putin wolle die Ukrainische Bevölkerung nicht “ausmerzen”, den Vorwurf genozidaler Absichten nicht widerlegt. Die Absicht, die Ukrainer als eigenständige Nation zu zerschlagen (also sie als nationale Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören), wurde beispielsweise in dem unsäglichen Artikel von Sergincev auf der Novosti-Website formuliert. Die russischen Truppen erklären auch offen, dass Ukrainer, die keine Russen sein und sich “befreien lassen” wollen, für sie “Nazis” sind, für die keine Tötungsverbote gelten.
Damit eine Tat zum Völkermord gerechnet wird, ist somit nur die spezifische, gegen die Existenz einer Gruppe als solcher gerichtete Absicht erforderlich. Für diese Absicht gibt es Belege. Leider gibt es in der russischen Kultur, auch in der russischen Hochkultur, eine verbreitete Tendenz, anderen slavischen Nationen das Existenzrecht abzusprechen (so beispielsweise A. Puschkin in Bezug auf die Polen und in neuerer Zeit Iosif Brodskij für die Ukrainer).
european
20. Mai 2022 @ 13:20
@ebo
Wir sollten immer extrem wachsam sein, wenn wieder einmal irgendwo auf der Welt ein neuer “Hitler” ausgerufen wird. Das ist meistens ein Ablenkungsmanöver und Mittel zum Zweck und nahezu immer steht dahinter ein Kampf um Rohstoffe und geopolitische Interessen. Gerade dann sollte man denjenigen, die den neuen Hitler benennen, ganz genau auf die Finger sehen.
Es gibt ganz fürchterliche Despoten auf dieser Welt, jedoch hat bisher jeder Krieg dagegen zu wesentlich mehr Toten geführt, siehe Libyen, Irak, Syrien etc.
Alexander
19. Mai 2022 @ 18:08
“Das ist zwar Unsinn, zeigt aber, wohin die Reise geht: Russland soll alles verlieren, die Nato soll den Krieg gewinnen.”
Bevor das Imperium einen Sieg verkünden und sich endlich dem Endgegner zuwenden kann, dürfte aber noch zu einer Generalmobilmachung Russlands und dem Einsatz aller verfügbaren Waffen kommen!
Inzwischen scheint ebenfalls fraglich, wie lange das Imperium noch ausreichende Stabilität wahren kann. Ich wundere mich, dass es hier dazu noch keinen Artikel gibt:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=84024#h02
(“Größtmögliche Blamage für die EU-Kommission und Bundesregierung – insbesondere Die Grünen.”)
Thomas Damrau
19. Mai 2022 @ 14:51
Damit biegt der Krieg auf die Straße zu der Eskalation ein, vor der in den letzten Wochen viele Beobachter gewarnt haben. Genauer: Der weitere Verlauf steuert auf einen Catch22 zu (You are dammed if you do and you are dammed if you don’t):
1) Falls die Ukraine mit der Rückeroberungs-Offensive Erfolg hat, wird die russische Führung vor der endgültigen Niederlage die nächste Eskalationsstufe zünden (ABC-Waffen). Ich kann mir schwer vorstellen, dass Putin diesen Krieg mit einem “dann eben nicht” abbrechen wird.
2) Falls die ukrainische Offensive scheitert, wird die Ukraine dabei so hohe Verluste erleiden, das sie auch ihre bisher so erfolgreichen defensiven Fähigkeiten verliert. Dann muss die NATO an der Eskalationsschraube drehen.
Und natürlich der Faktor Zeit: Wie in LostInEu schon an anderer Stelle ausführlich beschrieben, rückt zunehmend die Frage “Wer soll das bezahlen?” in den Vordergrund. Die FDP hat sich heute schon klar positioniert ( https://assets.deutschlandfunk.de/2d801eb1-0770-4769-bc8f-e89c577a5bf4/original.pdf ). Wenn die Bundesbürger verstehen, was die FDP mit “durch Konsolidierungen finanziert werden” meint, wird die Begeisterung für immer neue Finanzhilfen an die Ukraine schnell abflauen.
european
19. Mai 2022 @ 14:41
Und jetzt kommt Erdogan daher und lässt alles platzen. Ebenso wie Orban das Ölembargo verhindert.
Man kommt in die völlig bizarre Situation, dass man über diese Reaktionen Erleichterung verspürt, bzw. sich fast schon freut. Wie verrückt ist das denn?