Inflation: Die USA reagieren, die EU nicht – warum?
Die Inflation in Deutschland liegt bei fast acht Prozent. Dennoch hält Kanzler Scholz unbeirrt am geplanten Ölembargo gegen Russland fest, das die Preise weiter in die Höhe treiben dürfte. Die USA dagegen stehen auf der Bremse – warum?
Ganz einfach – in den USA stehen Zwischenwahlen bevor. Präsident Biden befürchtet eine Wahlschlappe, wenn die Inflation bis November weiter ansteigt. Schon jetzt sind seine Umfragewerte im Keller. Deshalb vermeidet er alles, was die Preise antreiben könnte.
Ganz anders Scholz. Der SPD-Politiker sackt zwar auch in den Umfragen ab. Dennoch hält er unbeirrt am Ölembargo gegen Russland fest, das nach Ansicht der Experten den Ölpreis und damit auch die Inflation anheizt.
Warum ist das so? Wieso beschließt die EU Sanktionen, die die Inflation antreiben – und letztlich zum Boomerang werden? Warum reagieren die EU-Politiker nicht auf schlechte Umfragen und drohende Wahlschlappen?
Dafür gibt es viele Gründe. Die EU ist kein Staat, und sie hat auch keinen gewählten Präsidenten wie die USA. Das demokratische System ist, im Vergleich zu Nationalstaaten, immer noch unterentwickelt.
Selbst große nationale Wahlen haben kaum Einfluß auf die Europapolitik. So hat Frankreichs Präsident Macron die letzte Wahl im Mai nur knapp gewonnen – seine Gegnerin Le Pen holte mit dem Thema Inflation mehr als 40 Prozent der Stimmen.
Dennoch hat sich nichts geändert.
Denn für EU-Beschlüsse braucht es Einstimmigkeit. Macron hat das Thema Inflation zwar schon vor Monaten auf die Brüsseler Agenda gesetzt, doch Scholz und einige andere stehen auf der Bremse.
Der Kanzler muß auf die FDP Rücksicht nehmen, die jeden Eingriff in den Markt anblehnt – und auf die Grünen, denen die Preise für Öl und Gas nicht hoch genug sein können. Schließlich sind das fossile Brennstoffe…
…und so kommt es, dass sich auf EU-Ebene so gut wie nichts bewegt. Auch beim Sondergipfel am Montag und Dienstag in Brüssel erwarte ich keine großen Beschlüsse, obwohl das Thema “Energiepreise” auf der Tagesordnung steht.
Auch dafür gibt es einen einfachen Grund: Die meisten Staats- und Regierungschefs sind nicht einmal bereit, den Zusammenhang zwischen ihren Sanktions-Beschlüssen und der Preisentwicklung zuzugeben.
Für sie ist “Putin” an allem schuld…
Siehe auch Der “Wirtschaftskrieg” geht nach hinten los. Mehr zu den EU-Sanktionen hier
P.S. Österreichs Kanzler Nehammer sagt, seine erste Pflicht sei es, für die Sicherheit und den Wohlstand seiner Bürger zu sorgen. Es dürfe keine Benzinknappheit geben. Ein Embargo dürfe nicht leichtfertig beschlossen werden. Immerhin!
Art Vanderley
1. Juni 2022 @ 21:43
Vor dem Kippen der Einstimmigkeit sei gewarnt, das kommt mir zu häufig aus fragwürdigen Kreisen, die eine Art Demokratur der Mehrheit umsetzen wollen, immerhin hat das jetzt die EU gezwungen, auch auf Ungarn einzugehen.
„…auf die Grünen, denen die Preise für Öl und Gas nicht hoch genug sein können. Schließlich sind das fossile Brennstoffe…“
Da gibt es- gerne in den Speckgürteln der Ballungsräume wohnend- eine Klientel, die weit über Teile grüner Wähler hinausgeht. Aufgewachsen in stetem Wohlstand- auch im Studium- fern von auch nur kurzen Phasen materieller Knappheit, glauben da viele, der Wohlstand käme auf immer und ewig aus der Steckdose, und, davon ausgehend, könne man sich dann alle möglichen Experimente leisten, die keine Auswirkungen auf jenen Wohlstand haben.
Infantil und gefährlich, bei vielen auch Klassendenken, öko wird da nur vorgeschützt.
Außerdem ist es nicht nur ökologischer, sondern auch ökonomischer Voll-Stuß, daß gut, was teuer ist, und schlecht, was nicht so teuer.
european
31. Mai 2022 @ 14:59
Die Ampel war von Anfang an mit einer heißen Nadel genäht und die FDP wird diese Regierung auch scheitern lassen.
Bemerkenswert ist für mich, dass in Bezug auf die Bundeswehr einheitlich, also auch medial, nur noch vom Sondervermoegen und nie von Schulden gesprochen wird. 😉
Ich kann mich noch sehr gut an den Wahlkampf erinnern als Lindner sich über Habeck lustig machte, weil er vorschlug, statt von Schulden (was das Wort Schuld beinhaltet) doch besser von Krediten zu sprechen. Bei jemandem Kredit zu haben, bedeutet eine gute Bonität zu besitzen. Womit er übrigens Recht hat.
Wir saegen uns nicht nur den Ast ab, auf dem wir sitzen, sondern auch die darunter, die uns fangen könnten. Preistreiberei durch blinde (nicht mal mehr kurzsichtige) Sanktionitis, Zinserhoehungen trotz Investitionsflaute und hoher Arbeitslosigkeit in der Eurozone, Schuldenbremse und Lohnzurueckhaltung (sagt das Finanzgenie Lindner). Was könnte man denn noch schlechtes und kontraproduktives in diesen toxischen Hexenkessel werfen? Nicht mal die Ruestungsauftraege bleiben in Europa.
Hauptgewinner ist die US Ruestungsindustrie, soviel steht fest. Vielleicht auch noch Biden in den midterms (evtl. Mit Fragezeichen). Von den explodierenen Energiepreises profitieren die Lieferanten, einschl. Russland, Saudi-Arabien, Katar, USA, uvm.
Herr Bonse, Sie haben zu Recht kritisiert, dass von Dohnanyi in seinem Buch zu wenig Europa erwähnt hat. Die Zielgruppe für sein Buch ist aber primär Deutschland und selbst die erreicht er nicht.
Man fragt sich, was die wohl rauchen. Was immer es ist, sie sollten es lassen. 😉
Zum Schluss noch eine sehr lesenswerte Polemik von den Nachdenkseiten. Sehr bissig, aber zutreffend
https://www.nachdenkseiten.de/?p=84137
Thomas Damrau
31. Mai 2022 @ 12:46
Bisher war die Wirkung der Sanktionen gegen Russalnd eher enttäuschend. Und wie schlechte Strategen nun mal leider agieren, heißt die Devise “mehr vom Selben” – wo fünf Asprin die Kopfschmerzen nicht vertrieben haben, hilft ja vielleicht das sechste.
Daher sucht die EU krampfhaft nach Sanktions-Ideen, um “den Russen auf die Knie zu zwingen”. Zunehmend auf Kosten der EU-Bürger. Und auf Kosten der Akzeptanz der Maßnahmen.
Dazu kommt, dass es in der EU keine Währungspolitik gibt – schon allein die völlig unterschiedlichen Entwicklungsgrade der einzelnen Volkswirtschaften erschweren eine konsistente Geldpolitik.
Daher hat sich die EZB inzwischen ganz gemütlich eingerichtet:
1) Sie lässt sich als Retterin der EU feiern (“Whatever it takes”). Dabei behandelt die EZB die Eurozone nun seit über einem Jahrzehnt mit einem sehr toxischen Kombinationspräparat aus niedrigen Zinsen und Anleihekäufen. Aber dieses billige Geld hat Nebenwirkungen: Preisexplosion auf den Immobilienmarkt, Erzeugung einer gigantischen Aktienblase. Auch hier gilt das Prinzip “Mehr vom Selben”: Da eine Krise die andere jagt, wird die Medikation beibehalten und nach Wegen gesucht, die Dosis zu erhöhen. Auch wenn manchmal angedeutet wird, die Anleihekäufe könnten vielleicht doch irgendwann unter bestimmten Umständen zumindest graduell … Am Ende läuft die EU-Wirtschaft nicht ohne billiges Geld.
2) Entsprechend entspannt ist die Haltung der EZB zur Geldentwertung. Der wahre Teufel ist für die EZB die Deflation. Begründung: Wenn die Preise nicht steigen, wartet der Bürger mit dem Kaufen, bis alles noch billiger wird. (Wer so argumentiert, unterstellt den Bürgern, dass sie den Schrott, den sie täglich kaufen ja in Wirklichkeit ja gar nicht brauchen.)
3) Um die EU-Bürger zum Kaufen zu animieren, braucht es laut EZB eine “gesunde” Geldentwertung von 2%. Diese Zahl wird wie eine große wissenschaftliche Erkenntnis verkauft, ist aber genauso reines Glaubensbekenntnis wie andere wirtschaftsliberale Dogmen.
4) Ein bisschen mehr Inflation kann aus Sicht der EZB auch nicht schaden, weil sie hochverschuldeten Ländern beim Schuldenabbau helfe. Diese Idee “Schuldenschnitt durch Inflation” wurde vor einigen Jahren von der EZB als Denkanstoss losgelassen – und verschwand wegen mangelnder Likes in den Medien wieder im Giftschrank.
5) Dass durch die Kombination aus Niedrigzins und Geldentwertung die viel-gepriesene private Altersvorsage der Bürger ad absurdum geführt wird, stört die industrie-hörigen Eurokraten wenig.
Bei dieser Geisteshaltung wundert mich im Augenblick nichts.
Holly01
30. Mai 2022 @ 18:52
” Warum ist das so? Wieso beschließt die EU Sanktionen, die die Inflation antreiben – und letztlich zum Boomerang werden? Warum reagieren die EU-Politiker nicht auf schlechte Umfragen und drohende Wahlschlappen? ”
Weil:
Die Inflation in den USA und in Europa nur bedingt mit den Sanktionen zusammen hängt.
Das ist eine politische Inflation, bei der durch Preistreiberei ein gigantischer Gewinn gemacht wird.
So wie niemand ernsthaft gefragt hat, warum sich das Vermögen der 0,1% durch Covid-19 verdoppelt hat, so wagt es natürlich niemand genauer hinzusehen, an welchen Stellen die Preise hoch gehen und warum.
Das Stichwort ist “Zwischenhandel”.
Wenn wir von Inflation reden dann nur im Zusammenhang mit “Rohstoffpreisen”, “Erzeugerpreise” und “Energiepreise”.
Die Ursachen für die Warengruppen werden NIE betrachtet.
CO² Abgaben, Umweltauflagen, EU-Recht und Klimamaßnahmen werden NIE angesprochen, um darauf hinzuweisen, welche Kosten das verursacht.
Beim Gas waren die deutschen Speicher leer, weil Polen mit versorgt wurde. Polen hatte vor dem EUGH gegen Russland geklagt, weil es für Gas weniger zahlen wollte. Im Urteil hat der EUGH (ganz wunschgemäß für Polen) geurteilt, der Gas preis müsse von Russland an den Ölpreis gekoppelt werden. Dann ging der Ölpreis rauf und Polen konnte sich das Gas nicht mehr leisten (aka wollte es nicht bezahlen). Polen hat dann das Gas in Deutschland gekauft, aus den Lagern, zu den alten (vorgerichtlichen) Konditionen plus “X”.
Das wir kein Speiseöl haben liegt auch nicht an dem Ukraine Krieg. Die Ukraine hat vor dem Krieg kaum in die EU geliefert. Die Lieferketten laufen ganz anders.
Böse Zungen schreiben von “deutschem” Salatöl in spanischen Verkaufsregalen.
Die ganzen Lieferketten und die Probleme da sind ein Thema das niemand angeht.
Da wurden ganze Berge von Containern gemietet und so vom Markt genommen.
Ja. Das war dann der Chinese. Die Amis würden so etwas erpresserisches ja nicht tun.
Die wollen nur ihren Fracking Mist verkaufen und ihren geographischen Nachteil kompensieren.
Die USA sind quasi eine Insel, wenn es um Handel geht. Kanada und Mexiko per LKW, der gesamte Rest mit dem Schiff.
Die eurasische Landmasse ist aber Bahnverkehr und je mehr das ausgebaut wird, desto größer der strategische Nachteil.
Die USA haben einen massiven Standortnachteil gegenüber Europa.
Dazu kommen die Kosten der Hegemonie und der Weltwährung und das ruiniert die.
Wir haben also primär Inflation weil die USA einen Wirtschaftskrieg gegen den wirtschaftlichen Hauptkonkurrenten führen, das ist die EU im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen.
Das Deutschland relativ günstige Energie per Pipeline direkt aus Russland bekommt, sind grob 10-15% Preisvorteil gegen über den USA.
10-15% auf jeder Herstellungsstufe !
Frankreich und der Rest von Zentraleuropa wären mit Northstream 2 versorgt gewesen.
Das wäre für das UK und die USA im Bereich der Produktion das “AUS” gewesen.
So. Ich habe sehr stark vereinfacht, da fällt inhaltlich so einiges vom Teller, aber ich denke das grobe Bild stimmt.
Die USA quetschen Europa über den Zwischenhandel und die Spekulation aus, weil die wirtschaftlich im Abseits stehen.