Ein toxischer Wahlkampf, Macrons neue Visionen – und Draghi ante portas?
Die Watchlist EUropa vom 25. April 2024 – Heute mit versteckten Spitzenkandidaten und verengten Diskursräumen, einer Rede in der Sorbonne und Gerüchten aus Rom.
Der Europa-Wahlkampf ist schon beendet, noch bevor er richtig begonnen hat. Erst berichtete BILD, die CDU wolle ihre Spitzenkandidatin von der Leyen vor den Wählern “verstecken” und nicht auf Wahlplakaten zeigen – offenbar kommt sie selbst in den eigenen Reihen nicht gut an.
Dann entschied die AfD, ihren Spitzenkandidaten Krah ebenfalls zu verbergen – zum Wahlkampfauftakt am Samstag in Donaueschingen darf er nicht erscheinen. Berichte über einen angeblichen chinesischen Agenten in seinem Umfeld und der Vorwurf zu großer China-Nähe stören selbst die AfD.
Diese Berichte schaden aber nicht nur der AfD, sondern dem gesamten Wahlkampf. Er ist toxisch geworden – denn statt über Politik und Programme “diskutieren” Medien und Öffentlichkeit über Geheimdienst-Informationen und Verschwörungstheorien; sogar Innenministerin Faeser macht mit.
Plötzlich gilt schon eine Reise nach China als “Beweis” für Korruption und Landesverrat – dabei war Kanzler Scholz erst vor einer Woche selbst in Peking. Begleitet von einer Wirtschaftsdelegation, wollte er Geschäfte für Deutschland machen. Wer den Europa-Wahlkampf verfolgt, könnte glauben, dies sei verboten.
Kandidaten werden mundtot gemacht
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Russland und China werden in Brüssel zu “Feinden” aufgebaut. Die Beziehung zu den USA hingegen wird – trotz Trump – nicht hinterfragt. Auch die Nähe zahlreicher EU-Abgeordneter und -Kandidaten zu amerikanischen Politikern und Thinktanks ist kein Wahlkampfthema. Honni soit qui mal y pense.
Das Hauptproblem ist aber, dass die großen Schicksalsfragen der EU – von der Agrarpolitik über die Migration und die Schulden bis zur Ukraine – gar nicht erst diskutiert werden. Denn dazu wurden in Brüssel und Straßburg bereits bindende Beschlüsse gefasst, ohne das Votum der Wähler abzuwarten…
Nicht nur der Diskursraum ist verengt, auch der Entscheidungshorizont wird beschränkt. In Deutschland und Frankreich werden unerwünschte EU-Kandidaten sogar mit Reisesperren belegt oder als “Terror-Befürworter” verfolgt und mundtot gemacht.
Auch das zeigt: So toxisch wie 2024 war der Wahlkampf in EUropa noch nie!
Siehe auch Die gestohlene Europawahl
P.S. Der belgische EU-Vorsitz hat am Mittwochabend einen neuen Krisenreaktionsmechanismus ausgelöst. Dadurch sollen sich die 27 EU-Staaten stärker über mögliche ausländische Einflussnahme auf die Europawahl austauschen. Dreimal dürfen Sie raten, um welche Länder es geht…
News & Updates
- Macron hat neue Visionen für EUropa. Frankreichs Staatschef hält mal wieder eine Rede zur Zukunft der EU. Knapp sieben Jahre nach seiner berühmten Sorbonne-Rede tritt er am Donnerstag um 11 Uhr erneut in der Pariser Universität auf. Dummerweise fällt sein Vortrag mit den letzten wichtigen Abstimmungen des Europaparlaments in Straßburg zusammen. Französische EU-Abgeordnete haben deshalb lautstark protestiert. Ärger droht auch, weil Macrons “Renaissance”-Bewegung in den Umfragen meilenweit hinter Le Pens Nationalisten liegt. Böse Zungen behaupten, mit seiner Rede wolle er vor allem den Rückstand wettmachen…
- Oberster EU-General Brieger unter Druck. Der Vorsitzende des Militärausschusses ist nach einem Beitrag auf “Facebook” in die Defensive geraten. Er kommentierte wohlwollend den Eintrag eines ehemaligen Polizisten, der rassistische, antisemitische und revisionistische Inhalte sowie Holocaust-Leugnung enthielt, wie der “Standard” berichtet. Die EU-Kommission hat sich auf Nachfrage von Brieger distanziert.
- EU-Parlament besiegelt Ausstieg aus Energiecharta. Deutschland war bereits im Dezember vorangegangen, nun steigt auch die EU aus dem umstrittenen Vertrag zur Energiecharta aus. Dies bestätigte das Europaparlament mit großer Mehrheit in Straßburg. Die EU-Energieminister hatten den Ausstieg bereits im März angekündigt. – Mein Beitrag für die taz
Das Letzte
Draghi ante portas? Ein neues Gerücht macht die Runde in Brüssel: Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, könnte von der Leyen ablösen und nach der Europawahl die Führung der EU-Kommission übernehmen. Nach diversen Newslettern ist nun sogar die Nachrichtenagentur Bloomberg eingestiegen. Niemand Geringeres als “Königsmacher” Macron soll an der Ablösung seines “Geschöpfes” von der Leyen arbeiten; angeblich spricht er sich dabei mit der italienischen Regierungschefin Meloni ab. Allerdings pflegt die Post-Faschistin Meloni beste Beziehungen zu von der Leyen; die beiden Damen haben zuletzt gemeinsam einen Milliarden-Deal mit Ägypten eingefädelt. Zudem ist unklar, warum sie ihren alten Rivalen Draghi unterstützen sollte. Wahrscheinlicher erscheint eine andere Variante: Draghi wechselt zwar nach Brüssel – aber als Nachfolger von Charles Michel, dem ständigen EU-Ratspräsidenten. – So oder so: Das letzte Wort hat nicht der Wähler, sondern der EU-Gipfel, der gleich nach der Europawahl tagt…
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Helmut Höft
25. April 2024 @ 10:12
Das ist es: Tägliche Berichte über den Einfluss auf die Europawahlen seitens Putins oder der Chinesen oder der Aliens 😉 , Spione all’ überall … kaum ein Wort über das, was Politik in Europa künftig gestalten will/soll!
Warum das Ganze? Auch hier fehlt – selbstverständlich – ein Plan! “Honi soit qui mal y pense!”
KK
25. April 2024 @ 14:02
“…kaum ein Wort über das, was Politik in Europa künftig gestalten will/soll!”
Kein Wunder, denn die allermeissten Wähler hören das Wort “Krieg” höchst ungern! Denn das ist es doch, was Politik in EUropa offensichtlich künftig gestalten will!
Wenn nicht gegen andere Länder, dann wenigstens gegen die eigenen Bürger!