Corona-Deals: Wo bleibt die Transparenz?
Die EU-Kommission hat erneut einen Vertrag mit einem Impfstoff-Hersteller geschlossen. Die Vereinbarung mit einer Tochter des US-Konzerns Johnson & Johnson sieht die Bereitstellung von Dosen für 200 Millionen Menschen vor. Das klingt gut – doch wo bleibt die Transparenz?
„Bisher haben wir Null Transparenz”, klagt der Chef des Umweltausschusses im Europaparlament, P. Canfin. So sei weder bekannt, wie viel die EU-Kommission für den erhofften Impfstoff zahlen will, noch zu welchen Konditionen, etwa bei der Haftung.
Die Behörde habe zwar informelle Gespräche angeboten, so Confin. Doch offiziell hat sich ihre Position nicht verändert, dass alles dem Geschäftsgeheimnis unterliegt und sie keine Details veröffentlichen darf.
“Deshalb werden wir weiter Druck machen – auf die Kommission, aber auch auf die beteiligten Pharmalabore.“
P. Canfin, liberaler MEP
Unzufrieden sind auch die Lobbywatcher von CEO (Corporate Europe Observatory). Sie haben Auskunft und Akteneinsicht bei der EU-Kommission beantragt. Nach den EU-Regeln hätte die Brüsseler Behörde bis zum 6. Oktober antworten müssen.
„Ich glaube allerdings nicht, dass uns die Kommission sofort alle Infos aushändigt“, sagt CEO-Forscher Olivier Hoedeman. „Die Schlacht um Aufklärung wird Monate dauern“. Zur Not will Hoedeman auch den Europäischen Bürgerbeauftragten einschalten.
„In dieser Lage, mitten in einer Pandemie, kann die Kommission sich nicht mit Geschäftsgeheimnissen herausreden, das wäre ein sehr schlechtes Zeichen“.
O. Hoedeman, CEO
Nach Informationen von CEO verlangen die Pharmakonzerne mehr als 100 Euro pro Impfdose. Zudem wollen sie eine weitgehende Befreiung von der Haftpflicht.
Um ihre Ziele durchzusetzen, scheuen die Konzerne weder Kosten noch Mühe. Nach Angaben von CEO geben die zehn größten Pharmafirmen jährlich zwischen 14,75 und 16,5 Millionen Euro pro Jahr für Lobbying in Brüssel aus. Die gesamte Branche beschäftigt rund 175 Lobbyisten, um die EU-Gesetzgebung zu beeinflussen.
Damit gehört “Big Pharma” zu den größten “Influencern” in Brüssel…
Siehe auch “Noch ein Deal mit Big Pharma – und der Steuerzahler haftet”
Michael Josef Rittel
14. Oktober 2020 @ 13:42
Ich halte es für sehr bedenklich, wenn mit der Gesundheit der Mensch Profit gemacht wird. Meine Bedenken vergrößern sich sogar, wenn die Entwicklung eines Impfstoffs mit staatlichen Mitteln finanziert wurde. Welche Absprachen oder Dokumente müssten denn geheimgehalten werden, wenn das Profitstreben entfällt?
Kleopatra
9. Oktober 2020 @ 09:25
Jeder Unternehmer wird früher oder später in Situationen kommen, in denen er mit einem wichtigen Kunden Konditionen vereinbart, die er aus guten Gründen nicht gleichzeitig allen möglichen Kunden anbieten will. Und wenn vorläufig nicht alle Bedingungen fix sind, gilt das erst recht. Wie hätte sich also die Kommission verhalten sollen, wenn ein Impfstoffhersteller zwar zu Verhandlungen bereit ist, aber nur unter der Voraussetzung, dass Aussagen, die er in den Verhandlungen als “geheim” bezeichnet, auch geheim gehalten werden? Soll die Kommission riskieren, als ein unzuverlässiger Partner zu gelten, auf dessen Zusagen man sich nicht verlassen kann?
Gerade in der gegenwärtigen Situation, wo viele bereit wären, gegen COVID-19 alles in Kauf zu nehmen und Johnson & Johnson keine Schwierigkeiten haben dürfte, andere Abnehmer für seine Produkte zu finden, kann man der Kommission kaum Vorwürfe machen, wenn sie auf derartige Forderungen eingeht. Die EP-Abgeordneten können aber natürlich über die Frage diskutieren, ob die EU vielleicht lieber auf die Beschaffung von Impfstoffen verzichten sollte, als sich solchen Forderungen zu unterwerfen; in diesem Fall würden die einzelnen Mitgliedstaaten direkt mit Johnson & Johnson verhandeln, dabei wären viele in einer viel schlechteren Position als die Kommission als potentieller Großkunde, aber das Parlament könnte sich als Vorkämpfer fürTransparenz aufspielen.