Best of 2023 (6/10): Die Ukraine gerät in Erklärungsnot
Im Sommer 2023 konnte die Ukraine immer noch keine Erfolge vermelden. Präsident Selenskyj und seine Unterstützer in Deutschland gerieten in Erklärungsnot. Sie hält bis heute an.
Repost vom 10.08.2023. English version here
Lange wurde die Lage schön geredet. Doch nun sind die Zweifel am Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive auch im Mainstream angekommen, wie wir an mehreren Beispielen aus internationalen Medien gezeigt haben. In den letzten Tagen sind die Bedenken sogar noch lauter geworden. “Western allies receive increasingly ‘sobering’ updates on Ukraine’s counteroffensive”, berichtet CNN. “This is the most difficult time of the war” – die schwierigste Zeit des Krieges.
Auch in deutschen Medien schwindet die Hoffnung. So sagt der Russlandexperte Alexander Gabujew im “Spiegel“, dass die ukrainische Offensive wohl nicht ausreichen werde, um die russische Seite an den Verhandlungstisch zu bringen. “Es läuft alles auf einen jahrelangen Abnutzungskrieg hinaus.”
Wenn das so ist – und meine Quellen in Brüssel bestätigen diese Einschätzung – dann drängen sich einige ernste Fragen auf:
- Warum scheitert die Gegenoffensive, obwohl doch laut Nato-Generalsekretär Stoltenberg genug westliche Waffen geliefert wurden, um “Land zurückzuholen”?
- Was wurde aus den Leoparden, den Bradleys und anderen angeblich überlegenen Systemen? Bisher sind ca. 30 Prozent zerstört worden – wie ist das zu erklären?
- Warum will die Ukraine noch mehr Waffen, auch geächtete? Welchen Vorteil sollen Taurus-Marschflugkörper bringen, wo schon Storm Shadows im Einsatz sind?
- Was ist der Plan, um das Blatt zu wenden? Die Ukraine hat die Taktik immer wieder gewechselt, jedoch keinen operativen Durchbruch erzielt. Liegt es an der Strategie?
- Wieso werden westliche rote Linien überschritten – mit Angriffen auf zivile Ziele in Moskau und auf Öltransporte im Schwarzen Meer? Kann man Selenskyj noch trauen?
Die Ukraine gerät in Erklärungsnot. Im vergangenen Jahr konnte sie den Westen noch mit ihrer beeindruckenden Gegenwehr bei der Stange halten. Doch nun bleibt sie den Beweis schuldig, dass sich westliche Unterstützung weiter lohnt.
Auch Scholz muss sich erklären
Selenskyj ist in die Defensive geraten, das Bild des strahlenden Siegers verblasst. Noch versucht er, die Schuld für seine militärische Misere auf andere zu schieben und sich mit mangelnder Hilfe etwa aus Deutschland herauszureden.
Doch selbst die Taurus-Kampagne kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kiew im “Nebel des Krieges” steckt und nicht weiß, wie es wieder herauskommen soll. Es fehlt nicht nur an Waffen, es fehlt auch an Soldaten – und an einer (Exit-)Strategie.
Und das fällt mehr und mehr auf Deutschland zurück. Nicht nur Selenskyj ist in der Bredouille. Auch Scholz, Baerbock & Co müssen erklären, warum sie sich immer tiefer in den Schlamassel ziehen lassen – und wie lange das noch so weitergehen soll….
Siehe auch “Noch vier Jahre Krieg?” Mehr zum Ukraine-Krieg hier
Update
Selenskyj hat mittlerweile immerhin zugegeben, dass der Krieg nicht gut läuft. Von Scholz und den anderen EU-Chefs hingegen hört man gar nichts. Statt ihre Ukraine-Politik zu ändern und vielleicht sogar auf eine Verhandlungslösung zu drängen, machen sie den Krieg immer mehr zu ihrem eigenen. Dies ist brandgefährlich – 2024 wird ein ernstes Jahr für EUropa…
Monika
2. Januar 2024 @ 14:26
DIESES Ergebnis hätte man bereits im Frühjahr 2022 erreichen können, als die Ukraine und Russland miteinander verhandelt hatten. Ohne die 100.000 sende Tote.
Aus “psychologischen” Gründen wurden diese Leute ge”opfert”. So bleibt der Hass der Ukrainer auf alles Russische “länger haltbar”. Und darauf soll aus Sicht der internationalen Kriegsgewinnler gebaut werden, auf etwas “Unverzeihliches”, nur um den Status quo für diese skrupellosen Gierschlünde auf lange Sicht zu verstetigen. Genau wie in Israel/Gaza und vielen anderen “Brenn”punkten, die stetig am Glimmen, Glühen, Lodern gehalten werden, ganz nach Lust und Anlagestrategie…
Diesen monströsen Leuten sollte international und sehr gezielt ans Eingemachte gegangen werden.
Kreutz
2. Januar 2024 @ 12:32
Zur Beantwortung der Spiegelpunkt-Fragen nach Bewaffnung und militärischen Kräfteverhältnissen könnte beitragen:
https://www.eurasiareview.com/29122023-ukraine-who-lost-the-battle-and-who-will-win-the-great-war-analysis/
oder in DE: https://www.sozonline.de/2023/12/ukraine-2023-wer-hat-die-schlacht-verloren-und-wer-wird-den-grossen-krieg-gewinnen/
Der Autor Dejan Azeski, mazedonischer Historiker, Journalist und Publizist, ist Mitglied des Internationalen Instituts für Nahost- und Balkanstudien (IFIMES) mit Sitz in Ljubljana).
ebo
1. Januar 2024 @ 18:35
Aus meiner Sicht gibt es noch ein anderes Erklärungsdilemma: Die EU und die Nato müssten darlegen, warum sie der Ukraine weiter Hoffnung auf einen Sieg machen, obwohl er mit den verfügbaren Mitteln offenbar nicht zu erreichen ist.
KK
1. Januar 2024 @ 18:09
„Die EU und die Nato müssten darlegen, warum sie der Ukraine weiter Hoffnung auf einen Sieg machen, obwohl er mit den verfügbaren Mitteln offenbar nicht zu erreichen ist.“
Aus dem 1. Weltkrieg wurde auch in über 100 Jahren nix gelernt!
Das kann man den Wählern und Steuerzahlern gegenüber doch jetzt nicht eingestehen, wie stünde man denn dann jetzt da?
Skyjumper
1. Januar 2024 @ 17:21
Der Krieg läuft recht offensichtlich nicht gut aus ukrainischer Sicht. Aber auch die Russen taten sich von Anfang an schwer, und tun es noch heute. Propaganda auf beiden Seiten mal hin oder her.
All diejenigen die ein Abnutzungskrieg sehen liegen demnach richtig. Und keine Seite scheint – zumindest bisher – ein Mittel gefunden zu haben daran etwas ändern zu können, oder zu wollen.
Ein Abnutzungskrieg wird dann letztlich über die Ressource „Mensch“ gewonnen oder verloren. Und hier sieht es für die Ukraine recht düster aus.
Zu beginn des „richtigen“ Krieges hatte die Ukraine ~ 39,5 Mio. Einwohner, davon ca. 8,5 Mio in den heute besetzten Gebieten. Wieviele davon rechtzeitig geflüchtet (ein grosser Teil sind ja ethnische Russen) ist relativ unklar. Sagen wir mal 2 Mio. sind aus den Gebieten rechtzeitig weggegangen. Dann hat die Ukraine (auf selbst kontrollierten Gebiet) noch eine Bevölkerung von etwa 33 Mio. Menschen.
Davon haben wieviele das Land verlassen? Nach Polen, Deutschland etc.? In den EU-Staaten sind es laut Eurostat ca. 4 Mio., andere Organisationen kommen auf geringfügig niedriegere Zahlen. Unterm Strich dürften es also etwa 30 Mio. Menschen sein. Russland stehen dagegen 140 Mio. zur Verfügung. Unabhängig davon wie makaber eine solche Aufrechnung ist, dürfte dennoch klar werden wer hier in einen Abnutzungskrieg am längeren Hebel sitzen wird.
Am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass der derzeitige Status Quo die Basis eines eingefrorenen Krieges bleiben dürfte. Und wofür sind all die Kriegs-Gefallenen dann gestorben? DIESES Ergebnis hätte man bereits im Frühjahr 2022 erreichen können, als die Ukraine und Russland miteinander verhandelt hatten. Ohne die 100.000 sende Tote.
DAS ist das wahre Erklärungsdilemma vor dem heute die westlichen, wie auch die ukrainischen Führer, stehen. Und wahrscheinlich der Grund warum man bisher noch vor einer solchen Lösung zurückzuckt. Das Geseihere darüber, dass Russland anschließend als nächstes ein NATO-Land angreifen würde, halte ich persönlich für absolut unglaubwürdig. Auch Russland hat schwere Lücken in seinen Militär. Personell als auch Ausrüstungstechnisch. Viel wahrscheinlicher ist es, dass auch Russland nach einen Waffenstillstand (oder Frieden) erst einmal einige Jahre seine Wunden lecken muss.