Gelbwesten: Drückt Brüssel ein Auge zu?
Die EU verdammt die Rechtsstaats-Verstöße in Polen und Ungarn. Doch gegen die Gewalt-Exzesse der Polizei in Frankreich sagt sie nichts. Dahinter stecke zweierlei Maß, meinen viele – drückt Brüssel ein Auge zu? – Ein Faktencheck.
Fest steht, dass Präsident Macron und seine Regierung mit exzessiver Gewalt gegen die Proteste der Gelbwesten vorgegangen sind. Noch am letzten Samstag wurde einer der Anführer, J. Rodriguez, in Paris schwer am Auge verletzt.
Die französische Regierung fürchtet nun Racheakte und eine weitere Eskalation der Proteste – und ist deshalb um Aufklärung bemüht. Auch die Medien nehmen sich zunehmend der Übergriffe und Verletzungen an (eine Liste der Opfer findet sich hier).
Doch für die EU in Brüssel ist das Ganze kein Thema. Sie geht gegen die Rechtsstaats-Verstöße in Polen und Ungarn vor, doch zu Frankreich sagt sie nichts. Allerdings ist das nur scheinbar ein Widerspruch.
Denn für Polizeigewalt interessiert sich die EU-Kommission generell nicht. Dies hat man zuletzt bei den G-20-Protesten in Hamburg gesehen. Sogar kriegsartige Szenen haben Brüssel nicht aufgerüttelt.
Der Grund liegt darin, dass es sich aus EU-Sicht um einmalige, befristete Aktionen der Exekutive handelt – und nicht um strukturelle und auf Dauer angelegte Vorstöße der Legislative. Es geht also nicht um Gesetze, die den Rechtsstaat berühren.
Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den Vorgängen in Frankreich auf der einen und Polen oder Ungarn auf der anderen Seite. Es geht um Gesetze, nicht um einzelne Übergriffe. Allerdings gibt es da immer noch ein Problem.
Denn zum einen kann die Polizeigewalt, wenn sie dauerhaft und systematisch eingesetzt wird, sehr wohl zu einem Problem für den Rechtsstaat werden. In Frankreich ist das nicht mehr völlig auszuschließen.
Zum anderen gibt es strukturelle und dauerhafte Probleme mit dem Rechtsstaat auch in anderen EU-Ländern – z.B. in Spanien (inhaftierte Separatisten aus Katalonien) oder in Großbritannien (Fall Assange).
Auch da sollte die EU genauer hinsehen, gerade vor der Europawahl. Denn sonst könnte sich am Ende doch noch der Eindruck verfestigen, dass Brüssel mit zweierlei Maß misst und letztlich parteiisch ist…
Siehe auch: “Die Gelbwesten spalten Frankreichs Linke”
Hein Tirol
29. Januar 2019 @ 15:02
Ungarn, Polen, Russland, Venezuela – überall will man sich einmischen, fordert demokratisches Handeln, tritt eigenes Demonstrationsrecht mit Füßen und beteiligt sich an der Destabilisierung autarker Staaten. Weil die reicher sind oder der große Lehrer überm Teich das fordert?
Peter Nemschak
29. Januar 2019 @ 20:17
Wer tritt eigenes Demonstrationsrecht mit Füßen? Wenn Sie Frankreich meinen, umfasst das Demonstrationsrecht nicht massive Sachbeschädigungen, wie sie während der Gelbwestendemonstrationen vorgekommen sind.
Oudejans
29. Januar 2019 @ 09:04
>>”Das bürgerliche Frankreich hat die Randale mittlerweile satt und will sich nicht von einer Minderheit wie den Gelbwesten tyrannisieren lassen.”
Wo Sie satt sagen – das ging Marie Antoinette ganz ähnlich.
Thomas
29. Januar 2019 @ 08:27
@ P.Nemschak
Die EU ist taub für die Probleme des kleinen Volkes.
Wehe den Anfängen, die Gelbwesten stören dramatisch das Weltbild der Eliten und alle Hebel werden in Bewegung gesetzt die Symtome einer mittlerweile als ansteckend erkannten “Krankheit” zu tilgen. Ohne Mea Culpa und Ohr für die wirklichen Probleme der Menschen wird diese Bewegung weitere Anhänger finden und die etablierten Parteien schwächen, mein Gefühl.
Helmut Ott
29. Januar 2019 @ 07:51
Herr Niemschak,
da muß ich Ihnen energisch widersprechen. Mittlerweile gibt es bereits über 100 Verletzte und einen Toten unter den Gelbwesten. Den Exzessen der Staatsgewalt, die jegliche Verhältnismäßigkeit missen läßt, ist energisch entgegenzutreten. Wir dürfen nicht zulassen, daß Europa in weiten Teilen zu einem autoritären Polizeistaat mutiert.
“Die Diktatur ist nicht ganz ausgereift, sie übt noch.
Wer ihren Atem spürt, duckt sich schon präventiv.
Und nur der Narr ist noch nicht ganz erstarrt, er übt noch
und wagt zu träumen, deshalb nennt man ihn naiv.”
(Konstantin Wecker)
Peter Nemschak
29. Januar 2019 @ 09:28
Offenbar sympathisieren Sie und ebo mit der linken Anarchoszene. Ähnliche Töne hat man 1967/68 aus linken Sympathisantenkreisen gehört, als die deutsche Polizei gegen revoltierende Studenten, die große Sachschäden verursachten, einschritt. Aus dem von manchen befürchteten Polizeistaat ist nichts geworden: kein Grund zur Aufregung.
Ute Plass
30. Januar 2019 @ 14:44
“Aus dem von manchen befürchteten Polizeistaat ist nichts geworden: ..”
Und warum? Weil die von Ihnen gescholtene 67/68er Generation mit ihren Protesten dafür gesorgt hat, dass die “schwarze Pädagogik”, u. der ‘1000jährige Muff unter den Talaren” auf den Prüfstand kam.
Meine, ich hätte Ihnen schon mal Heitmeyers “Autoritäre Versuchungen”
anempfohlen?!
Peter Nemschak
28. Januar 2019 @ 20:58
Nachdem die Gelbwesten nicht für Ordnung in ihren Reihen sorgen konnten, ist der Polizeieinsatz zum Schutz des Eigentums voll gerechtfertigt. Offenbar hält es ebo mit der anarchischen Szene. Das bürgerliche Frankreich hat die Randale mittlerweile satt und will sich nicht von einer Minderheit wie den Gelbwesten tyrannisieren lassen. Es gibt keinen Grund für Aufregung in Brüssel. Als ob die EU keine anderen Sorgen hätte
Ute Plass
29. Januar 2019 @ 20:39
“Nachdem die Gelbwesten nicht für Ordnung in ihren Reihen sorgen konnten, ist der Polizeieinsatz zum Schutz des Eigentums voll gerechtfertigt.”
Der Schutz des Eigentums hat da seine Grenzen, wo dieses als Herrschaftsinstrument
über Mensch und Mitwelt benutzt wird.
Frei nach Daniela Dahn: Wenn die Würde des Menschen unantastbar sein soll, dann muss das Eigentum antastbar sein”.
Ein interessantes Dokument zum Aufstand in Frankreich:
„Aufruf der ersten Generalversammlung der gelben Westen“
https://www.nachdenkseiten.de/?p=48777