Die “Gelbwesten” spalten Frankreichs Linke
Während S. Wagenknecht im “Gilet jaune” vor dem Kanzleramt posiert, ist in Frankreich ein heftiger Streit über die “Gelbwesten” entbrannt. Linken-Chef Mélenchon flirte mit der Rechten, so die Kritik.
Anlass ist ein Facebook-Eintrag Mélenchons, in dem dieser einen prominenten Aktivisten der “Gelbwesten”, E. Drouet, mit einem Revolutionär des 18. Jahrhunderts, Jean-Baptiste Drouet, vergleicht.
Er empfinde “große Faszination” für die Protest-Bewegung, so der Chef von “La France insoumise”. Sie habe “fürchterliche Gegner”, gegen die sie sich mit “bloßen Händen” wehre, heißt es in Mélenchons Hommage.
Allerdings ist besagter Drouet alles andere als ein bekennender Linker.
Der Lastwagenfahrer bezeichnet sich selbst als “unpolitisch”. Er hat dazu aufgerufen, den Elysée-Palast – den Sitz von Präsident Macron – zu “besuchen” und muss sich wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor der Justiz verantworten.
Auch andere führende “Gelbwesten” haben nicht viel mit der Linken gemein. Neuerdings richten sie ihre Aktionen gezielt gegen Journalisten und Medienhäuser, die als “Kollaborateure” verunglimpft werden.
Politisch nutzt dies vor allem M. Le Pen und der harten Rechten, wie Umfragen zeigen. Mélenchon droht ins Hintertreffen zu geraten – und scheint sich genau deshalb an die Bewegung hängen zu wollen.
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Das vermutet jedenfalls B. Hamon, der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Sozialisten. Mélenchons Positionen seien nicht mehr nachzuvollziehen – oder wenn, dann nur als “kleine Wahlkampfmanöver”.
“Auf jeden Fall hat er das linke Ufer verlassen”, so Hamon. Mit diesem Urteil steht er nicht allein. Manch einer vergleicht die “Gelbwesten” und ihre Anhänger schon mit den Anfängen der “Fünf-Sterne”-Bewegung in Italien.
Die kam (auch) von weit links, hat sich mittlerweile aber mit der rechten Lega verbündet. Ähnliches könnte auch in Frankreich bevorstehen, fürchtet mancher. Mir scheint das zwar noch längst nicht ausgemacht.
Doch klar ist, dass die “Gelbwesten” zunehmend auf der Klaviatur der Rechten spielen und die Linke spalten…
Siehe auch “Gelbwesten – Putsch oder Revolution?”
Armin Christ
3. Januar 2019 @ 07:16
Es ist anscheinend auch bei euch ein beliebtes Spiel soziale (=linke) Forderungen in die rechte Ecke zu stellen. Spalte die Linke wo Du kannst ! Und das Geschrei um die Gewalt ! Natürlich sind spontane (diffuse) Bewegungen nicht die Sache von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären; die müssen sowas ja ablehnen, denn ansonsten gäben sie zu gepennt zu haben oder sowas garnicht auf der Tagesordnung zu haben.
Erinnern wir uns an das Geschrei bei der Gründung der Grünen: Rechts unterwandert, Distanziert euch von Gewalt…..(Heute schreien die Grünen, daß brennende Barrikaden die Feinstaubbelastung erhöhen).
Frei nach ignazius von Loyola (Jesuitengründer): Man muss die Menschen da abholen wo sie stehen.
ebo
3. Januar 2019 @ 11:33
Naja, ich beziehe mich auf das, was in Frankreich passiert. Im Unterschied zu einigen anderen lese ich dabei französische Originalquellen. Heute hat “Marianne” einen sehr interessanten Beitrag zu Mélenchons Strategie: https://www.marianne.net/politique/les-dessous-du-coup-de-foudre-de-jean-luc-melenchon-pour-eric-drouet-le-gilet-jaune – Kurz zusammengefasst: M. muss sich entscheiden, ob er für ein Bündnis der Linken eintritt, oder ob er den Volkstribun geben will, der den Populisten hinterherläuft (“Entre populisme et union de la gauche”). Offenbar hat er sich für Letzteres entschieden…
Daniel Jacob
2. Januar 2019 @ 21:41
Sehr geehrter Herr Bonse!
Ich verfolge Ihren Blog seit ugf. 2 Jahren (seit 2016) und möchte zum Thema “Macron” noch einige Anmerkungen machen, vor allem im Bezug auf Ihre Darstellungen. Wenn man Ihre letzten Beiträge zu diesem Thema durchliest hat man den Eindruck, dass Macron ein armes Opfer der bösen “Gelbwesten” sei, die ihn am liebsten lynchen wollen!
Das eigentliche Problem ist dabei noch nicht einmal im Ansatz erfasst! Macron hat immer wieder klar gemacht wie wenig er von seinem Volk hält. Was hat er gemacht?
– Die Vermögenssteuer abgeschafft
– Die Renten (und andere Sozialleistungen) gekürzt
– Eine vermeintliche “Ökosteuer” auf Benzin erhoben, um die Benzinpreise empfindlich steigen zu lassen!
Sein Vorgänger Hollande sagte über ihn (übersetzt): “Er ist kein Präsident der Reichen – er ist ein Präsident der Superreichen!”
Wenn man jetzt noch bedenkt, dass ein nicht gerade kleiner Teil der “Gelbwesten” Rentner, Pendler, Handwerker u.ä. sind, die von den oben genannten wirtschaftspolitischen “Reformen” betroffen sind, ergibt sich ein ganzheitliches Bild über die Unzufriedenheit der “Gelbwesten”. Sie als “Rechts” zu titulieren ist in meinen Augen eine Frechheit sondergleichen! Dass politische Rattenfänger (seien es nun LePen oder Melenchon) ihren Nutzen daraus ziehen wollen, ist irgendwo logisch, schließlich sind die “Gelbwesten” ja potenzielle Wähler, nicht wahr?
Die politische und ideologische Linke, insbesondere Ihr veehrter Herr Gysi, kann nur eines sehr gut: Sich in der eigenen ideologischen Filterblase zu bespaßen!
Noch etwas zum Thema Ökologie: Hätte Macron von Anfang an dringlichere Probleme in Angriff genommen: z.B. Agrarsubventionen in der EU für Bayer (Monsanto), Dow, Nestlé etc. streichen; die Reedereien besteuern (schließlich sind riesige Frachtschiffe zehnmal unökologischer als alle Autos Frankreichs!) eine ernsthafte Müllvermeidungs- und bekämpfungspolitik (Stichwort: Plastik im Meer) Umstrukturierung der heimischen Landwirtschaft durch u.a. schwere Strafen für die Verwendung von Glyphosat und Neonikotinoiden, die einen schweren Schaden an heimischen Nutztieren wie Bienen und Florfliegen etc. anrichten.
Schon komisch, davon habe ich bei der Relotius-Presse und auch bei Monsieur Macrons Presseaussendungen nichts gehört, was bedeutet: “Öko” ist zu einem Label verkommen ungefähr so wie bei den GRÜNEN wo das Image die Botschaft ausmacht und sonst gar nichts! Die “Gelbwesten” haben das Verstanden und daraus ihre Konsequenzen gezogen.
MfG
Daniel Jacob
ebo
2. Januar 2019 @ 21:54
Danke für die Anmerkungen! War zum Teil aber auch hier schon zu lesen – z.B. in Macrons Krise und Merkels Beitrag, Zitat: “Gelbwesten, Gewerkschaften und andere Kritiker wenden sich vielmehr gegen die neoliberale Politik, die Macron knallhart durchzieht. Und zwar “auf Geheiß von Brüssel und Berlin”, wie viele Franzosen glauben. Tatsächlich sind die Arbeitsmarkt-Reformen, mit denen Macron seine Amtszeit begonnen hat, in Deutschland abgeschaut und von der EU-Kommission abgesegnet worden. Berlin will Hartz loswerden, Paris importiert ihn.”
Daniel Jacob
2. Januar 2019 @ 22:51
Vielen Dank für Ihre rasche Antwort!
Worauf ich eigentlich hinauswollte war eher in die Richtung: Es gibt gewisse Linke die es nicht lassen können (durchaus legitimen) Protest als „Rechts“ zu klassifizieren.(1) Liegt Gewalt bei den Gelbwesten in der Luft? Meiner Einschätzung nach gibt es ein Gewaltpotential bei manchen Protestierenden. Das heißt aber nicht das der Protest der „Gelbwesten“ INSGESAMT gewalttätig ist.
Im Frühjahr 2016 gab es schon gewerkschaftliche Proteste gegen Hollandes „Sozialreform“ nach deutschem Vorbild. Und auch diese Proteste arteten zum Teil in Gewalt aus. Da habe ich von diesen Linken aber nichts dergleichen gehört, von wegen, dass seien Rechte gewesen!
Mich beschleicht viel eher das Gefühl, die Linke hat angst vor einer Form des Protests, der nicht aus ihren eigenen Reihen (sprich Gewerkschaften oder linksgerichtete Initiativen) stammt. Schließlich haben die „Gelbwesten“ keinen solchen Hintergrund, obwohl die Forderungen der Gelbwesten jener der materialistischen Linken sehr ähnlich ist.
(1) Die Reaktionen von Cohn-Bendit und Quatremer, die sie in Ihrem Blog veröffentlichten sprechen Bände: https://lostineu.eu/gelbwesten-putsch-oder-revolution/
ebo
3. Januar 2019 @ 00:47
Die Linke und die Gewalt – in Frankreich ist das seit der Revolution ein großes Thema. Aber Macron ist nicht Louis XIV, und E. Drouet ist nicht Jean-Baptiste Drouet. Wenn die französische Linke das Momentum der Gelbwesten nutzen will, dann muss sie sich selbst offensiv einbringen und progressive Inhalte propagieren – anstatt der Bewegung hinterherzulaufen und einzelne Akteure zu glorifizieren, wie Mélenchon. – Das Hauptproblem scheint mir aber, dass die Gelbwesten selbst keinen Plan haben. Sie lassen sich vereinnahmen und instrumentalisieren – und da ist die Rechte viel “besser” als die Linke…
Peter Nemschak
2. Januar 2019 @ 17:21
Was wir hier erleben, wird nicht dazu beitragen, dass Frankreich zum ebenbürtigen Partner Deutschlands wird und eine Vorbildrolle für die EU ausüben kann. Die illiberalen Demokratien können auf ihre Fahnen schreiben, dass sie ihren Bürgern Stabilität anbieten können. Das zählt außerhalb der intellektuellen Elite bei den Bürgern mehr als liberale Werte.
Andreas Müller
2. Januar 2019 @ 17:16
“Auf jeden Fall hat er das linke Ufer verlassen”, so Hamon.
Wer war gleich nochmal dieser ‚Hamon‘?
Ni de droite, ni de gauche – bien au contraire!
ebo
2. Januar 2019 @ 18:30
Mais non, Hamon hat jetzt seine eigene linke Bewegung “Génération.s”. Früher gehörte er zum linken Flügel des Parti Socialiste, den sogenannten Frondeurs, der Opposition gegen Hollande und Valls innerhalb der Partei und deren Parlamentsfraktion, die insbesondere die Wirtschaftspolitik der Regierung als zu liberal kritisiert. Im Gegensatz zu Mélenchon ist Hamon im November auch zum Kongress der Linken nach Bilbao gekommen. Genosse M. befand es nicht einmal für nötig, auf die Einladung zu reagieren…