Zehn bewährte Methoden, die EU-Reform zu torpedieren
Flüchtlinge, Euro, Brexit: Auch beim letzten EU-Gipfel des Jahres wurden alle großen Probleme vertagt. Das hat Methode. Vor allem Kanzlerin Merkel versteht sich aufs Bremsen – hier ein paar „bewährte“ Methoden.
- Man lässt britische Reformwünsche abprallen. – Erledigt. Ex-Premier Cameron ist mit seinen Wünschen gescheitert, die Zugeständnisse an London waren minimal (Camerons erste Rede war schon 2013!).
- Man ignoriert die Forderung nach einem Neustart. – Erledigt. Seit dem Brexit-Referendum herrscht in Brüssel wieder Business as usual, das Europaparlament wurde übergangen (Sommer 2016).
- Man vertagt Reformen auf Sondergipfel, die nichts beschließen. – Erledigt. Der Sondergipfel in Bratislava (September 2016) ist Geschichte, niemand redet mehr davon.
- Man legt Expertenberichte und Weißbücher in die Dauerablage. – Erledigt. Die Fünf-Präsidenten-Berichte zur Euro-Reform sind ebenso vergilbt wie das Weißbuch der Kommission zur Zukunft der EU.
- Man lässt französische Reformwünsche abprallen. – Erledigt. Macrons Rede in der Sorbonne wurde beklatscht, dann vergessen. Beim EU-Gipfel fand sich (fast) nichts davon wieder.
- Man übergeht Vorschläge der EU-Kommission. – Erledigt. Juncker „Roadmap“ zur Euro-Reform wurde von den Staats- und Regierungschefs nur zur Kenntnis genommen, das war’s wohl.
- Man erfindet neue Formate, die nichts entscheiden können. – Erledigt. Über den Euro wird neuerdings mit 27 EU-Staaten gesprochen, auch Nichtmitglieder der Währungsunion dürfen bremsen.
- Man kündigt an, nichts entscheiden zu wollen. – Erledigt. Beim Dezember-Gipfel gab es nur unverbindliche Beratungen zur Euro-Reform, Beschlüsse wurden auf März vertagt.
- Man gründet einen Arbeitskreis. – In Arbeit. Nun sollen die Finanzminister über die Euro-Reform reden. Wetten, dass sie sich in technischen Details und perversen Prozessen verbeißen?
- Man stellt neue Hürden auf. – In Arbeit. Die Bankenunion wird so schon seit fünf Jahren verschleppt. Zuletzt hat sich Berlin wieder neue Hürden für die Einlagensicherung ausgedacht.
Angesichts dieser „bewährten“ Methoden wäre es fast schon ein Wunder, wenn – wie offiziell geplant – im Sommer 2018 noch irgend eine tief greifende EU-Reform beschlossen würde.
Vermutlich wird alles auf die Zeit nach der Europawahl vertagt – see you then im Herbst 2019. Das wäre also sechs Jahre nach Camerons berühmt-berüchtigter Reform- und Referendums-Rede…
Siehe auch „Der Euro spricht deutsch, Monsieur Macron“
Claus
17. Dezember 2017 @ 11:29
Naja, wir sollten mal nicht so defätistisch sein über die vermeintliche, vermutlich nur als solche wahrgenommene Uneinigkeit in der EU. Und außerdem gibt es ja Gott sei Dank auch eine sichtbare Geschlossenheit im existentiell wirklich wichtigen Thema, nämlich die anthropogene Erderwärmung, wie sie von Computermodellen befürchtete wird, einfach wegzuregieren.
EU-Klimapapier: „Die Erderwärmung gegenüber der Durchschnittstemperatur in vorindustrieller Zeit muss auf weniger als 2 °C begrenzt werden, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels und möglicherweise katastrophale Veränderungen der globalen Umwelt zu verhindern.“
Das ist doch endlich mal eine klare Ansage, die auch von Macron in seinem privaten Klimagipfel gerade wieder bekräftigt wurde.
PS: Wollte gerade wissen, wie das Klima in 1 Woche (Weihnachten) ist, aber da mochte sich noch kein Dienst so richtig festlegen.
Peter Nemschak
17. Dezember 2017 @ 12:09
In dem Maß als der Kampf gegen die anthropogene Erderwärmung finanziell für alle Akteure, Unternehmen und Konsumenten, attraktiv wird, steigen auch die Chancen, dass er gewonnen wird. Im übrigen wird die Klimaerwärmung weiter gehen, auch wenn das Wetter zu Weihnachten bei uns frostig sein sollte.
Dixie Chixie
22. Dezember 2017 @ 11:42
In Sachen Klima und Wettervorhersage wenden Sie sich am besten an jene, die es planen, machen und auch die Memos an die Meteorologen durchstechen: Raytheon.
Deren Tech Support kann Ihnen genau sagen, welche Jacke Sie am besten mitnehmen. Sie müssen ihnen nur das genaue Datum und Uhrzeit, sowie Ihre dann voraussichtliche Geolocation mitteilen. Da die Geoingenieure auch mit 5-Jahres-Plänen arbeiten, haben Sie bis Ende 2022 vollkommene Planungssicherheit.
Frohe Festtage an alle 🙂
Kleopatra
16. Dezember 2017 @ 13:54
Einverstanden mit allem. Nur ein Problem bleibt: Über eine Reform muss man sich einigen, und das heißt, sie ist nur möglich, wenn man zu gemeinsamen Standpunkten kommt. In vielen Punkten gibt es eben Standpunkte, die ihre Vertreter nicht aufgeben wollen. Der deutsche Standpunkt zur Währungsunion, nur als Beispiel, mag widersinnig sein, aber er folgt logisch daraus, wie die Währungsunion der deutschen Öffentlichkeit schmackhaft gemacht wurde.
ebo
16. Dezember 2017 @ 14:17
@Kleopetra Na klar, auf eine Reform muss man sich einigen. Das eigentliche Problem ist aber, dass sich mittlerweile die drei größten EU-Länder außer Deutschland – UK, Frankreich und Italien – nicht mehr wohl in dieser (deutschen) EU fühlen. die Briten gehen raus, die Franzosen fordern einen Neustart, die Italiener schmollen und wenden sich ab – wie genau, sehen wir bei der Wahl im nächsten Jahr.
Kleopatra
16. Dezember 2017 @ 18:02
Die Einschätzung, dass Briten, Franzosen und ltaliener sich in der gegenwärtigen EU unwohl fühlen, dürfte leider zutreffen. Die Frage, die ich mir ernsthaft stelle, ist die, ob die jetzt sinnvollste Lösung eher ein Aus- oder eher ein Teilrückbau gemeinsam verwalteter Politikbereiche ist. Kann in den Bereichen, wo man sich nicht einigen kann, eine selbständige Politik je nach nationalem Gusto vielleicht dazu beitragen, dass das Verhältnis zueinander besser, weil entspannter, wird?
Peter Nemschak
17. Dezember 2017 @ 10:11
Ob die Briten wirklich die EU verlassen, wird man sehen. Heute ist eine Mehrheit gegen den BREXIT. Frankreich und Italien sind zwar unzufrieden, aber auch für sie ist die EU alternativlos. Die Bürger sind zwar grundsätzlich für Reformen, aber nur so lange sich für sie nichts ändert und sie keinen Unbequemlichkeiten und Belastungen ausgesetzt werden. So geht es allen Reformen, nicht nur jenen, welche die EU betreffen. Per saldo bringt die EU für alle Vorteile, auch für EU-skeptische Eliten, und sei es bloß als Reibebaum.
Ein Europäer
17. Dezember 2017 @ 10:09
@Kleopatra, das ist das Konzept eines Europa a la carte oder das Modell des Europa der zwei oder der drei Geschwindigkeiten. Solange ich mich erinnern kann, Großbritannien hat seit Mitte der 80er das EU a la carte Konzept wiederholt vorgeschlagen. D und FR waren stets dagegen. Noch Fragen?
Kleopatra
18. Dezember 2017 @ 09:37
Ich habe nicht eine komplexe Zusammenarbeit in jeweils wechselnden Konstellatinen vorgeschlagen, sondern eher die Frage aufgeworfen, ob eine generelle Rücknahme von Unionskompetenzen per se schlecht sein müsse. (Wenn man darüber in einem Bundesstaat wie Deutschland diskutieren kann, sollte man dieselbe Frage auch in der EU offen ndiskutieren können).
ebo
18. Dezember 2017 @ 09:59
@Kleopatra Hier in Brüssel beobachte ich ein Paradox: Diejenigen, die am lautesten nach Rücknahme von Unionskompetenzen schreien, schustern der EU gleichzeitig immer neue Kompetenzen und Kontrollen zu. Ich denke insbesondere an die Deutschen, die die EU-Kommission zu einem „Big Brother“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik aufbauen wollen – neuerdings auch noch mit Fiskalpakt, Reformverträgen und EU-subventionen, die vom „Europäischen Semester“ abhängig gemacht werden sollen. Die Fäden ziehen ein deutscher Kommissar und ein deutscher Kabinettschef, beide stehen Kanzlerin Merkel nahe…
Peter Nemschak
17. Dezember 2017 @ 14:13
Man darf nicht vergessen, dass deutscher Nationalstolz, Stolz auf das nach dem Krieg erarbeitete Wirtschaftswunder mit dem Symbol DM verbunden war. Dieses Symbol nationaler Identität, mit dem nach wie vor Emotionales verbunden ist, will man durch den „weichen“ Umgang mit dem EURO durch andere Staaten, die es wirtschaftlich nicht so weit gebracht haben wie Deutschland, nicht zerstören lassen. Die deutsche Wirtschaft bzw. ihre Wahrnehmung durch die Bürger ist untrennbarer Teil der heutigen deutschen Identität, ein Ersatz nach den vorausgegangenen politischen und militärischen Katastrophen.
MichaelE
16. Dezember 2017 @ 12:23
Viel besser kann man es nicht zusammenfassen.
Wir mögen bei den Ideen für die nötigen Reformen der EU völlig unterschiedliche Vorstellungen haben aber diese zehn Punkte gelten unabhängig davon und sind absolut treffend.