Appeasement in Bratislava
Es ist ein Trauerspiel: Während in der Türkei eine neue Säuberungswelle läuft, klatschen die EU-Außenminister bei einem informellen Treffen in Bratislava Beifall – sie freuen sich über niedrigen Besuch.
Sultan Erdogan hatte nämlich freundlicherweise seinen Europaminister Celik nach Bratislava geschickt. Der hat zwar nichts zu melden, durfte aber die Früchte der türkischen Drohpolitik ernten.
Von CDU-Außenpolitiker Brok bis SPD-Außenminister Steinmeier übten sich alle in Appeasement. Er hoffe, „dass wir aus der Phase des Übereinanderredens wieder eintreten in die Phase des Miteinanderredens“, so Steinmeier.
Allerdings möchte man nicht etwa über die türkische Schriftstellerin Erdogan reden, die im Gefängnis sitzt und „zur Terroristin gemacht“ wird (so der Tagesspiegel). Nein, es geht um Wichtigeres.
Es geht um die Frage, wie man den Streit um die türkischen Anti-Terror-Gesetze so beigelegen kann, dass die Visapflicht für alle (!) Türken entfallen und der deutsche Flüchtlingspakt fortbestehen kann.
Die beispiellosen Säuberungen und Verhaftungen in der Türkei hingegen möchte Steinmeier an den Europarat in Straßburg delegieren. Die „Wertgemeinschaft“ EU will damit nichts mehr zu tun haben…
Reinard Schmitz
4. September 2016 @ 11:21
Dass der Weg für „Moralisten“ fast stets bergab führt, heißt noch lange nicht, dass der andere der richtig ist, Sie alter Zyniker. Immer die Leser ärgern…
ebo
4. September 2016 @ 11:57
Genau. Mit Moralismus hat die Verurteilung Erdogans übrigens nichts zu tun. Der Sultan führt Krieg in Syrien – gegen die Kurden-Milizen, die Deutschland bewaffnet und die die USA mit Bomben unterstützen. Er stützt sich dabei auf „moderate Rebellen“, die dem IS oder Al Kaida in nichts nachstehen. Gleichzeitig zieht er eine Säuberungswelle durch, die wir in Europa seit dem Nazireich (und dem Stalinismus) nicht mehr gesehen haben. Deswegen auch der Titel zur Reaktion der EU-Außenminister: Appeasement – München lässt grüßen!
Peter Nemschak
4. September 2016 @ 19:13
Ich glaube nicht, dass die Türkei für Europa eine Bedrohung darstellt. Ein Vergleich mit den Geschehnissen in der Sowjetunion oder in Nazideutschland ist bezüglich seiner Auswirkungen auf die EU meines Erachtens überzogen. Der Krieg ist ein regionaler Bürgerkrieg, wobei sich die Interessen der Streitparteien teilweise überlappen. Die großflächigen Säuberungen in der Türkei werden diese und nicht die EU schwächen. Den Verlust an intellektuellem Potenzial wird die Türkei nicht so leicht wegstecken können.
bluecrystal7
5. September 2016 @ 05:39
So sehe ich es auch @Reinard Schmitz.
Peter Nemschak
3. September 2016 @ 20:55
Realpolitik par excellence. Was ist daran so schlecht, so ferne die Türkei den Flüchtlingspakt erfüllt? Das will die Mehrheit bei uns. Die Moralisten waren immer schon eine langweilige Minderheit (siehe Robespierre contra Danton, der beim Volk unbeliebter als Letzterer war).