Wo Karlsruhe Recht hat

Wachwechsel in Karlsruhe: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts A. Voßkuhle geht, sein Nachfolger S. Harbarth kommt – und sendet gleich Entspannungssignale in Richtung EZB. Doch der Streit um das jüngste EZBUrteil ist noch lange nicht ausgestanden.

Dies zeigte eine Videodebatte, die die Grünen im Europaparlament mit Prof. P. M. Huber organisiert haben. Der Richter des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts bekräftigte die Bedenken zum Anleihenkaufprogramm und zur Rolle des EuGH.

Die EZB habe beim Anleihenprogramm nicht ausreichend dargelegt, welche (Neben-)Wirkungen dieses Programm für die Wirtschaftspolitik habe. Und der EuGH habe das EZB-Programm allzu leichtfertig und ungeprüft durchgewunken, sagte Huber.

Beides ist umstritten.

Für die Grünen und viele EU-Politiker hat in diesen Fragen nur der EuGH etwas zu melden – die “überzeugten” Europäer empfinden die Urteile aus Karlsruhe als unerlaubte nationale Einmischung, wenn nicht als Angriff auf das EU-Recht und die Unabhängigkeit der EZB.

Zudem ist die Trennung zwischen Währungspolitik, für die die EZB zuständig ist, und “allgemeiner” Wirtschaftspolitik künstlich. Das räumte Huber auch ein. “Niemand weiß genau, wo Grenzlinie verläuft – das entbindet aber nicht davon, sie zu finden”, sagte er.

Zudem verwies der Richter auf ein Problem, über das man in Brüssel nicht so gerne spricht, das aber viele umtreibt: Die EU sei heute für alles zuständig, für das die Mitgliedstaaten auch zuständig sind – deshalb spiele die Kompetenzverteilung eine größere Rolle denn je.

Da hat der Mann Recht. Es gibt nichts, womit sich Brüssel nicht beschäftigt – und wenn die Kommission mal nicht zuständig ist, wie in der Gesundheitspolitik, ruft sie gleich nach neuen Kompetenzen. Deshalb fühlt sich in der Coronakrise auch niemand verantwortlich.

“Ein enormes Demokratieproblem”

Das Hauptproblem liegt aber noch woanders, und auch dieses Problem sprach Richter Huber an: Es sei ein „enormes Demokratieproblem“, wenn die EZB über Wirtschaftspolitik entscheidet, und nicht die dafür gewählten Minister, sagte er im Chat mit den Grünen.

Denn die Währungshüter von der EZB sind ebenso wenig gewählt wie die Kommissare der EUKommission. Und das Europaparlament tut sich überaus schwer mit der demokratischen Kontrolle dieser beiden Institutionen.

Aber wer weiß, vielleicht stellen sich die EU-Abgeordneten ja auf die Hinterbeine und erkämpfen neue Rechte. S. Giegold und anderen Grünen ist dies durchaus zuzutrauen. Im Moment ist allerdings die EU-Kommission am Zuge.

Sie verlangt erweiterte Kontrollbefugnisse über die nationale Wirtschaftspolitik – also genau das, was Richter Huber schon bei der EZB beanstandet hat…