Deutscher EU-Vorsitz: Lobby-Wächter schlagen Alarm

Welchen Einfluß hat die Industrie auf die deutsche Ratspräsidentschaft, wie geht es weiter beim „sozialen Europa“ – und warum erfüllt die EU die eigenen Vorgaben nicht? – Die Watchlist EUropa vom 23. Juni 2020.

In Brüssel wächst die Sorge, dass sich die Bundesregierung beim deutschen EU-Vorsitz ab dem 1. Juli von Industrieinteressen und Lobbyisten leiten lassen könnte. Fast hundert Europaabgeordnete haben deshalb einen Appell für mehr Transparenz veröffentlicht – bisher ohne greifbares Ergebnis. Nun schlagen die Lobbyismus-Kritiker von „Lobby-Control“ und „Corporate Europe Observatory“ (CEO) Alarm.

Die Coronakrise sei „eine gute Gelegenheit für Lobbyismus“, heißt es in einer neuen Studie („Die deutsche EURatspräsidentschaft: Industrie in der Hauptrolle?“), die am Dienstag veröffentlicht wird.

Nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Autoindustrie könnten versuchen, Kanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Auch die Pharmaindustrie wolle den sechsmonatigen deutschen EU-Vorsitz für ihre Zwecke zu nutzen. Als Beispiel wird der Streit um die deutsche Firma CureVac genannt.

Nachdem US-Präsident Donald Trump versucht hatte, sich eine exklusiven Zugang zu einem möglichen Corona-Impfstoff zu sichern, hat sich Berlin schützend vor CureVac gestellt.

Trumps Vorgehen schockierte viele, heißt es in der Lobby-Studie. Doch es sei auch riskant, die Lizenzierung von Medikamenten, Impfstoffen und Medizinprodukten nur Privatunternehmen zu überlassen.

„Während einer Pandemie gibt es gute Gründe, diese an öffentliche Stellen zu übertragen, um so die Herstellungskosten zu senken und eine möglichst gerechte Verteilung von Material zu gewährleisten.“

Berlin solle sich auch für die Möglichkeit einer Zwangslizensierung von Impfstoffen einsetzen, fordern die Autoren.

Bei der Arbeit an der EU-Arzneimittelstrategie müsse sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass ihre nationalen Bestimmungen zu Zwangslizenzen auch EU-weit umgesetzt werden und die Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit von Arzneimitteln zum Thema gemacht wird.

Sorgen machen sich die Lobbywatcher aus Brüssel und Köln auch um die Digitalsteuer. Trump war in der vergangenen Woche aus den Bemühungen der OECD in Paris ausgestiegen, sich auf internationale Steuersätze für Digitalkonzerne wie Apple oder Google zu einigen.

Daraufhin hat die EU-Kommission angekündigt, sich zur Not auch ohne die USA für eine europaweite Digitalsteuer einzusetzen. Doch bisher stand Berlin auf der Bremse.

„Kein Plan B“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz habe die EU-Steuer kurz vor der Europawahl 2019 gestoppt und dabei offenbar dem Drängen der des BDI nachgegeben, heißt es in der Studie.

„Durch seine Ablehnung des EU-Vorschlags hat Scholz jetzt aber keinen Plan B mehr, sollten die Verhandlungen um eine internationale Digitalsteuer scheitern.“

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Watchlist

Wie geht es weiter beim „sozialen Europa“? In der Coronakrise ist das Thema unter die Räder gekommen. Nun gibt es wieder einen Sozialgipfel mit Arbeitgebern und Gewerkschaftern. Die Vorfälle bei Tönnies in Gütersloh dürften reichlich Gesprächsstoff liefern. Da ist nämlich alles „Asoziale“ dabei: Corona, Lohndumping, Leiharbeit, Ausbeutung von EU-Ausländern usw. usf.

Was fehlt

Der Flop beim EU-China-Gipfel. Außer den üblichen Phrasen zu Menschenrechten und „Reziprozität“ konnten Kommissionschefin von der Leyen und Ratspräsident Michel nach einer Videokonferenz mit Peking am Montag nichts Greifbares vorweisen. Immerhin hofft Brüssel weiter auf ein Investitionsabkommen bis zum Jahresende. Doch das Klima war eher frostig…

Das Letzte

Die EU sagt allen, was sie zu tun und zu lassen haben – dabei erfüllt sie die eigenen Ansprüche nicht. Bei Fragen der Geschlechtergleichheit habe sich der Staatenbund in den vergangenen fünf Jahren sogar von den eigenen Zielen entfernt, heißt es einem Bericht zur nachhaltigen Entwicklung der EU.  Beim Klimaschutz habe es im selben Zeitraum keine Fortschritte gegeben…