Von Verdun nach Versailles?
Im Krieg um die Ukraine häufen sich die historischen Reminiszenzen. Die Schlacht um Bachmut erinnert an Verdun, nun planen die EUropäer auch noch ein zweites Versailles.
Oder wie soll man den Vorstoß des Europarats verstehen? Die 46 Mitgliedstaaten wollen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine zur Rechenschaft ziehen. Auf ihrem Gipfeltreffen in Island wollen sie am Mittwoch den Startschuss für die Einrichtung eines Schadensregisters zum Ukraine-Krieg beschließen.
Darin sollen alle von Russland in der Ukraine verursachten Schäden festhalten werden, heißt es in dem Entwurf der Gipfel-Erklärung. Das Register soll der erste Schritt auf dem Weg für mögliche Entschädigungszahlungen werden.
Reparationen – das hatten wir doch schon mal. Sie mussten aufgrund des Kriegsschuldartikels 231 des Versailler Vertrages von 1919 durch Deutschland gezahlt werden, heißt es auf “Wikipeda”.
Die endgültige Höhe und Dauer der Reparationen waren im Versailler Vertrag nicht festgelegt, sondern sollten von einer mit weitreichenden Kontrollfunktionen ausgestatteten Reparationskommission ohne deutsche Beteiligung festgesetzt werden.
Das nun geplante “Schadensregister” erinnert fatal an an die Reparationskommission von Versailles, oder? Wenn dem so ist, dann sollten sich unsere Führer auch an die Folgen von Versailles erinnern.
Die Reparationen waren ein idealer Nährboden für Revanchismus und Faschismus in Deutschland – und führten am Ende in den 2. Weltkrieg…
Siehe auch Ein Jahr Ukraine-Krieg: Fragwürdige historische Parallelen
P.S. Ich fürchte ja, dass unsere Führer die historischen Parallelen nicht erkennen. Sie ziehen ständig Vergleiche zwischen Selenskyj und Churchill sowie zwischen Putin und Hitler – beziehen sich also auf den 2. Weltkrieg. Der wurde allerdings ohne Reparationen beendet – aus gutem Grund…
Thomas Damrau
18. Mai 2023 @ 09:48
Je mehr sich der Krieg auf dem Schlachtfeld in die Unbeweglichkeit hineinfrisst (Verdun), desto intensiver versucht die westliche Wertegemeinschaft, auf dem moralischen Schlachtfeld zu punkten. Und malt sich aus, wie man den Gegner nach dem ultimativen Sieg demütigen wird (Versailles).
Wie schon seit langem üblich: Symbolik statt Politik.
WBD
18. Mai 2023 @ 09:29
@Helmut Höft / RAND Leitfaden zur Destabilisierung Russlands
Das ist ein starkes Stück, was sich der ‚Denk-Panzer‘ Rand da leistet! Man hört allerdings, Washington wäre voll von solchen Firmen, die Konzepte zur Destabilisierung anderer Länder entwickeln.
Nach den mir bekannten Regeln wäre das eine nicht-völkerrechtskonforme Einmischung in innere Angelegenheiten, oder sollte man es schon ‚Anleitung zum Wirtschaftskrieg‘ nennen?
Danke für den link!!!
Hekla
17. Mai 2023 @ 19:24
@Horst: ohne es mit Fakten untermauern zu können, gehe ich davon aus, dass Russland sich niemals, von niemandem zu Reparationszahlungen zwingen lassen würde; zumal Russland nach russischer Lesart auch keinen Krieg führt. Auch dass Russland in eine Lage gebracht werden könnte, zahlen zu müssen, ist schier unvorstellbar – ich glaube nicht, dass eine Nuklearmacht, wenn sie nur noch die Wahl hat, unterzugehen/vernichtet zu werden oder die nukleare Karte auszuspielen, sich still und demütig für Ersteres entscheiden würde.
Ich fürchte, dass Sie mit Ihrer Einschätzung recht haben: das sollte bloss eine weitere, unrealistische Daumenschraube Richtung Russland sein, die das angebliche, “gerechte” Ziel niemals erreicht, dafür aber jede friedliche Lösung immer schwerer, praktisch unmöglich macht.
Die Europäer sind derzeit – um mich mal an Mephisto zu vergreifen – Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.
Helmut Höft
17. Mai 2023 @ 18:55
@ebo 17. Mai 2023 @ 11:34
s. hier: https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_briefs/RB10000/RB10014/RAND_RB10014.pdf “Overextending and Unbalancing Russia” Diese öffentlich zugängliche Agenda der RAND Corp. wird minutiös abgearbeitet.
Helmut Höft
17. Mai 2023 @ 18:49
Kompliment zu diesem Post.
Off-topic: Ich will mal mein Problem hier posten, mal sehen, ob ich tatsächlich der einzige Fall bin, den Steady immer wieder mit Zugangsbeschränkungen belästigt und den Zugang zu Deiner Seite erschwert. Hierunter fällt auch das “Du kommentierst zu schnell …” das ein anderer Leser auch schon kommentiert hat.
Letzte Bemühungen meinerseits: Zu FF (mein Standard seit Jahren) als zweiten Browser Konqueror installiert: Selbes Ergebnis. NB runtergefahren, jetzt geht’s wieder, wie lange?? Steady ist sehr unsteady (war wohl ‘ne überbezahlte Weichware? 😉 ) Sry, aber ich bin höchst unzufrieden mit “UnSteady”!
ebo
17. Mai 2023 @ 19:40
Sorry, ich werde mich mal bei (Un-)Steady beschweren!
european
17. Mai 2023 @ 17:28
Ich bin nicht optimistisch, was den Lerneffekt anbetrifft. Wenn wir etwas aus den Kriegen gelernt haetten, waere man anders mit der Finanzkrise umgegangen. Eine der Lehren war, dass man nie in eine Krise hineinsparen darf und exakt das haben auch noch die Deutschen vorangetrieben. Gegen jede Vernunft und Erkenntnis. Den Aufstieg von Rechts in der EU, insbesondere der Eurozone, hat die deutsche Politik zu vertreten.
Red Rabbit
17. Mai 2023 @ 16:57
“Der 2. Weltkrieg wurde ohne Reparationen beendet”…äh…WHAT??? Bitte auch noch mal kurz diesen Wikipedia-Artikel lesen, danke…
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Reparationen_nach_dem_Zweiten_Weltkrieg
ebo
17. Mai 2023 @ 17:02
Ok, aber der Unterscheid zu Versailles wird klar herausgearbeitet:
Anders als die deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Kriegsschuldartikels im Vertrag von Versailles (Art. 231) bestanden die Reparationsverpflichtungen nicht auf friedensvertraglicher Grundlage. Sie erfolgten nach Kriegsende auch nicht in Geldzahlungen von deutscher Seite, sondern in Demontagen durch die Siegermächte, der Beschlagnahme deutschen Auslandsvermögens sowie dem Einsatz deutscher Zwangsarbeiter.
european
17. Mai 2023 @ 16:21
@KK
Der chronische Lehrermangel frisst sich durch alle Schulen und alle Faecher. Diese Studie wurde 2018 veroeffentlicht und seit dem ist nichts passiert. Wenn man sich die olivgruenen Kriegstreiber ansieht, dann duerften die Wissensluecken in der Regierung angekommen sein.
https://www.sueddeutsche.de/politik/judenverfolgung-nie-vom-holocaust-gehoert-1.4231485
Ganz davon abgesehen habe ich mich bei unseren Kindern immer gefragt, warum man Geschichte nicht rueckwaerts lehrt, also in der Gegenwart anfaengt und damit zumindest sicherstellt, dass die juengste Geschichte und ihr Einfluss auf die Gegenwart besprochen wird. Was nuetzt es, wenn die Kinder wissen, dass am Anfang das Feuer war, aber nichts den Bezug zur aktuellen Politik und der juengsten Geschichte herstellt.
KK
17. Mai 2023 @ 11:54
Interessant auch in diesem Zusammenhang, dass währenddessen offenbar sowohl China, die Arabische Liga und auch einige afrikanische Staaten gerade jeweils eigene Friedensinitiativen starten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=97925#h03
KK
17. Mai 2023 @ 11:48
Nach dem, was ich so vom Nachwuchs im Bekanntenkreis mitbekomme, findet ja auch seit vielen Jahren kein Geschichtsunterricht in den Schulen mehr statt, der den Namen verdienen würde. Alle paar Jahre mal ein Semester eingeschoben – dann wird aber nicht kontinuierlich abgehandelt, sondern im Schweinsgalopp kreuz und quer durch die Epochen mäandert. Wie sollen die Schüler da noch lernen und – ganz wichtig – verstehen, dass historisch alles aufeinander aufbaut und jede Gegenwart immer in der Vergangenheit gründet?
Ohne Feudalismus keine Verarmung des dritten Standes und ohne diese keine französische Revolution… um nur ein Beispiel zu nennen, das sonst ja durchaus demnächst wieder Schule machen könnte.
Und ich vermute: Genau diese Unkenntnis ist gewollt…
Horst Schiermeyer
17. Mai 2023 @ 11:27
Nun, dass es zu Reparationen Russlands an die Ukraine kommen wird, glauben vermutlich auch die Initiatoren des Schadensregisters nicht. Auch die USA, GB und andere westliche Länder haben nach ihren Kriegen keine Reparationen gezahlt.
Das Deutsche Reich hatte den Versailler Verträgen zugestimmt, weil es nach Kriegsende nicht mehr in der Lage war, Nein zu sagen mit der Konsequenz, den Krieg wieder zu beginnen. Dass die Russische Föderation in eine vergleichbare Lage kommen könnte, selbst wenn es der Ukraine gelingen sollte, große Teile des Donbass zu erobern, ist doch ziemlich unwahrscheinlich. Denkbar wäre ein Friedensschluss, in dessen Rahmen sich Russland zur wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine verpflichtet z.B. in Form vergünstigter Erdgas- und Erdöllieferungen.
Zu befürchten ist eine andere Intention der antragstellenden Regierungen: Die Hürden für eine diplomatische Lösung des Konflikts weiter zu erhöhen, um weiter auf einen “Siegfrieden” von NATO und ukrainischen Nationalisten setzen zu können …
Stef
17. Mai 2023 @ 11:08
Das ist in vielfacher Hinsicht Irrsinn.
Verdun und Bachmut unterscheiden sich hinsichtlich der Dimension dramatisch.
Der Europarat lenkt vom eigenen Versagen ab und pfeift im Walde, wenn er mit diesem Manöver den Eindruck zu erwecken versucht, Russland stünde vor einer Niederlage. Ich sehe eher für den gegenteiligen Fall Indikatoren.
Für solche Reparationsforderungen wäre eine schlichte Niederlage Russlands nicht ausreichend. Eine solche wäre m.E. gegeben, wenn Russland seine Kriegsziele nicht erreicht. Um eine Art Versailler-Vertrag zu diktieren, müsste Russland nach einer Niederlage auch noch militärisch und politisch wehrlos am Boden liegen. Mir fehlt bei einer Atommacht die Phantasie, wie das gehen soll.
Last but not least offenbaren unsere europäischen Regierungen damit unfreiwillig, dass es ihnen im Kern um ein neues, geläutertes und “auf Normalmaß reduziertes” Russland geht (Regime-Change). Das geht meilenweit über den nachvollziehbaren Wunsch hinaus, die Ukraine vor einer völkerrechtswidrigen Invasion zu schützen. Damit simuliert der Europarat imperiale Ambitionen in einer Zeit, in der die imperiale Impotenz Europas für jeden Blinden ersichtlich geworden ist.
Kurzum: Die Verzweiflung im Europarat muss epochal groß sein.
ebo
17. Mai 2023 @ 11:34
Vielleicht ist es ja das Ziel, Russland zu Fall zu bringen – nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch?
Alexander Hort
17. Mai 2023 @ 10:40
Die Frage der Reparationen ist in der historischen Rückschau eigentlich ganz interessant.
Denn obwohl die Sieger des ersten Weltkrieges zunächst auf die planmäßige Tilgung bestanden, wurden die Konditionen für das damalige Deutschland auf betreiben der Amerikaner einige Jahre später gelockert: die USA hatten Frankreich und UK selbst Kriegskredite zur Verfügung gestellt, und fürchteten einen Ausfall dieser, wenn die Briten und Franzosen die Deutschen in die Zahlungsunfähigkeit trieben (die Rückzahlung der sog. inter-alliierten Kriegskredite hing offenbar auch von den deutschen Reparationen ab). Adam Tooze beschreibt das in “Wages of Destruction” sehr gut.
Die Moral der Geschichte: auch wenn die Gläubiger anfangs kompromisslos sind, kann man am Ende dann doch über vieles Verhandeln.
Den angeschlagenen Griechen während der Eurokrise scheint das allerdings nichts genützt zu haben.