Von der Leyen in der Tunesien-Falle
Mal schnell nach Lampedusa fliegen und vage Versprechen machen: So hat EU-Chefin von der Leyen auf die neue Flüchtlingskrise in Italien reagiert. Doch damit kommt sie nicht weit. VDL sitzt in der Tunesien-Falle.
“Die irreguläre Immigration ist eine Herausforderung, die eine europäische Antwort benötigt”, sagte von der Leyen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der rechtsradikalen italienischen Regierungschefin Meloni auf Lampedusa.
Zudem legte sie einen Zehn-Punkte-Plan vor, der eine Umverteilung der Boatpeople auf andere Länder (vermutlich vor allem Deutschland), mehr Rückführungen und eine stärkere Überwachung der EU-Außengrenzen vorsieht.
Doch das ist alles nur weiße Salbe; die Ursachen der jüngsten Krise werden nicht behoben. Sie liegen in dem bigotten EU-Tunesien-Deal, den von der Leyen und Meloni in Tunis ausgehandelt haben, und der nun zu einer Massenflucht führt.
Der Widerstand wächst
Die Migranten – zum größten Teil wohl Wirtschaftsflüchtlinge – wollen nach EUropa, bevor der Tunesien-Deal umgesetzt wird. Bisher ist das nicht der Fall; Tunis wartet wohl noch auf die versprochenen Geldzahlungen aus Brüssel.
Gleichzeitig wächst in der EU der Widerstand gegen den Deal. Ende letzter Woche hatte die tunesische Regierung einer Delegation von EU-Abgeordneten die Einreise verweigert. „Das Tunesien-Abkommen war ein Fehler, der rückgängig gemacht werden muss“, erklärte daraufhin die Chefin der sozialdemokratischen Fraktion, Iratxe García.
Zudem kündigte die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly eine Prüfung an. Sie fordert von der EU-Kommission Auskunft über die Achtung der Menschenrechte in Tunesien.
Meloni fordert Marine-Einsatz
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Von der Leyen müsse erklären, wie sie sicherstellen wolle, dass die Grundrechte bei den vereinbarten Maßnahmen – etwa bei der Unterbindung von Schiffsreisen nach Lampedusa – gewahrt werden.
VDL sitzt in der Tunesien-Falle, die sie selbst gebaut hat – zusammen mit ihrer rechtsradikalen Freundin Meloni und einem gewissen Herrn Rutte, der sich nun aufs Altenteil zurückziehen will.
Meloni fordert nun, unter Druck ihrer rechtsradikalen Wähler, einen Marine-Einsatz, der die “Invasion” aus Afrika stoppen soll. Da reicht ein vager Zehn-Punkte-Plan wohl nicht mehr aus…
Mehr zur neuen Flüchtlingskrise hier
P.S. Die EU-Kommission ist wegen ihres Tunesien-Deals massiv unter Beschuss geraten. Er sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, die Kommission habe den Rat übergangen – und es gebe Zweifel, dass er jemals funktioniert, heißt es in Brüsseler EU-Kreisen. Bisher funktioniert er überhaupt nicht, wie sich auf Lampedusa zeigt…
KK
18. September 2023 @ 11:36
Sorry, aber den Begriff „rechtsradikal“ für eine Faschistin finde ich viel zu harmlos – „rechtsextremistisch“ wäre das mindeste. Alles andere ist verharmlosende Augenwischerei!
Karl
18. September 2023 @ 13:49
@ KK zu rechtsradikal, rechtsextremistisch – das erste ist der politische und der zweite der Geheimdienstbegriff. Letzterer ist in der Definition seiner Details den Geheimdiensten überlassen (Bock und Gärtner …). Deshalb bevorzuge ich ‘rechtsradikal’.
KK
18. September 2023 @ 16:07
@ Karl:
“@ KK zu rechtsradikal, rechtsextremistisch…”
Deswegen mein “mindestens”; Meloni und ihre Partei stehen nun mal in der traditionm des italiensichen Faschismus, und warum soll man das nicht so benennen?
european
18. September 2023 @ 15:41
@KK
Ich bin weder rechtsradikal noch faschistisch, habe aber einen engen familiaeren Bezug nach Italien, besonders in den wunderschoenen Sueden des Landes, dorthin, wo doch alle so gern Urlaub machen. Alle die, die sich ueber die Italiener so ereifern, sollen einfach mal hinfahren und sich das dort vor Ort ansehen und dann mit einer zuendenden Idee ankommen, wie man dieses Problem loesen kann.
Zum Aufstieg der Rechtsradikalen in Europa hat nicht zuletzt die Austeritaetspolitik der Schwaebischen Hausfrau nach der Finanzkrise beigetragen. Hohe Arbeitslosigkeit, Kuerzung der Sozialpolitik und des Gesundheitswesens verbunden mit dem Verbot von staatlichen Investitionen. Die Brueningschen Spargesetze haetten uns eine Warnung sein muessen, niemals in eine Krise hineinzusparen und genau das haben wir wieder veranlasst. Das Ergebnis folgt auf dem Fuss.
Arte hat mal eine Doku darueber gemacht, u.a. ueber eine franzoesische Putzfrau. Es bleibt gut im Ohr wie sie foermlich beschwoert: „Ich hoffe, dass beim naechsten Mal die Marine LePen gewinnt und dann raeumt die endlich mal da auf.“
https://youtu.be/BpWdND8rq8g?si=27eqyfGzj6e3mNoR
Wo steht die AfD gerade? Bei 21-23% je nach Institut?
KK
18. September 2023 @ 16:15
@ european:
“Ich bin weder rechtsradikal noch faschistisch, habe aber einen engen familiaeren Bezug nach Italien…”
Ich hatte auch explizit Meloni, von der im Artikel die Rede war, gemeint, und nicht sie; ich ereifere mich auch nicht über Italien oder die Italiener – Dublin war eine Sauerei der Mittel- und Nordeuropäer gegenüber den Mittelmeeranrainern, die das ausbaden müssen. Einige der rechten Führungspersönliochkeiten wie Salvini udn zunehmend auch Meloni agieren aber menschenverachtend in ihren Massnahmen (durchaus auch unter dem Beifall leider nicht weniger Italiener), und das ist durchaus kritikwürdig!
Aber es ist eine ebensolche Sauerei der Osteuropäer und anderer, einige wenige Länder jetzt diese Lasten mit den Mittelmeeranrainern teilen zu lassen und sich selbst nen schlanken Fuss zu machen. Den Polen zB werden ja auch die zunächst willkommen geheissenen weissen Christen aus der Ukraine inzwischen zuviel – wohl weil sie dachten, die seien nach ein paar Monaten wieder weg…
european
18. September 2023 @ 19:40
@KK
Sie haben Recht, aber es war diese Politik, die diese Salvinis und Melonis erst groß gemacht hat. Und jetzt wundert man sich, dass die Leute so wählen wie sie wählen. Die haben vorher z.T. die 5-Sterne-Bewegung gewählt. (Das sind die, worüber unser Ex-Finanzminister Steinbrück im Fernsehen sagte: Italien wird jetzt von einem Clown regiert“)
Ich muss zugeben, dass ich diesbezüglich mittlerweile etwas dünnhäutig und ungeduldig geworden bin. Es ist einfach nur beschämend, was sich da abspielt. Man weiß das seit Jahren, was auf Lampedusa und auch an den Küsten Italiens los ist.
Arthur Dent
18. September 2023 @ 11:14
@Thomas Damrau
“Tunesien kann die EU bitten, die Migranten einem EU-Asylverfahren zu unterwerfen “… – Jeder weiß, dass 95 – 99 Prozent der Migranten keinen Anspruch auf Asyl haben. Sie werden in der Regel nicht politisch oder religiös durch die eigene Staatsmacht verfolgt – Sie wollen lediglich (verständlicherweise) ein “besseres Leben”. Sie versuchen es aber auch nicht über eine geregelte Arbeitsmigration. Vermutlich fehlt es ihnen an Kenntnissen und Fähigkeiten, die in europäischen Ländern auf dem Arbeitsmarkt gefordert werden. Die meisten von ihnen werden also ihr Leben lang auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sein.
Wolfgang Sachsenroeder
18. September 2023 @ 09:56
VDL wird am 8. Oktober 65! Ab in den Ruhestand!
Thomas Damrau
18. September 2023 @ 09:14
Der “Tunesien-Ansatz” hat schon etwas Kindlich-Naives. Er verschiebt das ursprüngliche Problem nur weiter nach Süden: Wenn die Migranten ankommen,
– [Patrouillieren] kann Tunesien sie an der Überfahrt nach Europa hindern. Sofern die Migranten nicht im Meer sterben, muss er sie auf tunesisches Staatsgebiet zurückbringen. Und dann …
– [Push-Back] kann Tunesien sie gleich wieder Richtung Süden zurückschicken – mit substantieller Wahrscheinlichkeit in den Tod. Bilder von in der Wüste verdursteten Migranten möchte die EU nicht …
– [Repatriierung] kann Tunesien sie in Lager pferchen und versuchen herauszufinden, woher sie kommen und sie in ihre Heimat zurückschicken. Daran ist schon die EU gescheitert.
– [Zwischenpuffern] kann Tunesien sie in Lager pferchen, und die EU bitten, die Migranten einem EU-Asylverfahren zu unterwerfen und entsprechend dem Ergebnis des Verfahrens entweder in der EU aufzunehmen oder in die Heimat zurück zu fliegen. Da die EU möglichst wenige Migranten aufnehmen möchte und die Rückführung schwierig ist, werden die Lager (die Tunesien noch gar nicht gebaut hat) voll laufen. Das wird zu einer menschenunwürdigen Unterbringung führen, die die EU-Medien dann mit Abscheu dokumentieren werden.
Egal, was Tunesien macht: Es müsste als Outsourcing-Dienstleister die Schweinereien begehen, an denen sich die EU nicht die Finger schmutzig machen möchte.
european
18. September 2023 @ 15:45
@Thomas Damrau
Voellig richtig. Es ist eine Verdraengung des Problems und libysche Verhaeltnisse sind absehbar. Von Griechenland spricht schon keiner mehr.
Arthur Dent
17. September 2023 @ 17:58
Was macht eigentlich das milliardenteure Frontex?
Urlaub?
ebo
17. September 2023 @ 18:23
Gemeine Frage… Frontex soll jetzt die Überwachung im Mittelmer ausbauen, heißt es unter Punkt 5 bei von der Leyen. sie waren zwisxchenzeitlich wohl ein wenig abgetaucht…
Step up border surveillance at sea and aerial surveillance including through Frontex, and explore options to expand naval missions in the Mediterranean. Furthermore, we will speed up supply of equipment and increase training for the Tunisian coast guards and other law enforcement authorities.
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_4503