Neue EU-Mediengesetze: Big Brother aus Brüssel?
Mit den Internet-Gesetzen DSA und DMA und dem “Medienfreiheits-Gesetz” will die EU weltweit Maßstäbe setzen. Doch statt mehr Freiheit und Demokratie kommt erstmal eine zentrale Kontrolle.
Mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Pluralismus – das verspricht die EU von ihren neuen Internet- und Mediengesetze. Kurz vor der Europawahl wächst jedoch die Sorge, dass DSA, DMA und das Medienfreiheits-Gesetz nicht mehr, sondern weniger Freiheit bringen könnten.
Der Pluralismus und die Unabhängigkeit der Medien haben in vielen EU-Ländern nicht zu-, sondern spürbar abgenommen. Die EU-Kommission hat ihre neuen Instrumente und Kontrollrechte nicht genutzt, um diesen bedenklichen Tendenzen entgegenzuwirken, sondern sie noch verstärkt.
Selbst im Europaparlament ist von „EU-Zensur“ und einem „Big Brother in Brussels“ die Rede. „Aus Medienregulierung ist noch nie mehr Medienfreiheit entstanden“, warnte der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger vor dem EU-Gesetz zur Medienfreiheit.
Auf der anderen Seite fordern Frankreich und Polen, noch härter gegen „Desinformation“ vorzugehen. Auch Bundesinnenministerin Faeser verlangt mehr Einsatz. Russische „Einflussaktivitäten“ zielten darauf ab, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Deshalb müsse Brüssel aktiver werden.
Reichen die neuen europäischen Gesetze immer noch nicht aus? Oder gehen sie schon zu weit? Bereiten DSA, DMA und der Media Freedom Act das Feld für einen „Big Brother“ aus Brüssel? Oder können sie helfen, Freiheit und Demokratie zu schützen, wie die EU-Kommission verspricht?
Klar ist, dass sich die EU auf einem schmalen Grat zwischen Liberalisierung, Regulierung und Zensur bewegt. Die neue europäische Digital- und Medienpolitik wirft bisher mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Dies ist ein Auszug aus der Einleitung für eine Studie, die ich für das Institut für Medienverantwortung angefertigt habe. Die gesamte Analyse steht hier (PDF)
Arthur Dent
27. April 2024 @ 13:24
Am 17.02.2024 trat der DSA in vollem Umfang als EU-Verordnung in Deutschland in Kraft. Der Begriff „Desinformation“ ist zwar im DSA nicht definiert, die EU-Kommission hat aber bereits 2018 klargestellt, dass Desinformationen u.a. solche Informationen sind, die „öffentlichen Schaden“ anrichten können. Dabei bestimmt sie, unter öffentlichen Schaden seien zu verstehen „Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungsfindung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit „der Umwelt und der Sicherheit“.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass falsche, irreführende oder gar unbequeme Eintragungen nicht(!) rechtswidrig sein müssen. Dennoch können sie auf Grundlage des DSA jederzeit als rechtswidrig erklärt werden. Das Maß, an dem die Beurteilung als Desinformation ausgerichtet ist, wird von der EU-Kommission gesetzt. Das aber heißt, dass politisch unliebsame Meinungen, ja sogar wissenschaftlich argumentierte Positionen (von Plattformen) gelöscht werden können. Und bei einer Einstufung als rechtswidrig drohen soziale Konsequenzen. So wird der Bürger sich oft selbst einer inneren Vorzensur unterwerfen, sich einem politisch vorgegebenen Meinungskorridor anpassen. Ende der Meinungsfreiheit, wie wir sie kannten.
Thomas Damrau
26. April 2024 @ 17:08
Bewertungen wie “Desinformation” nehmen stillschweigend an, es gebe die eine “korrekte” Information, die man/frau unbeschadet konsumieren kann, während abweichende Information falsch und daher schädlich ist.
Oder anders ausgedrückt: Die (un-)mündigen BürgerInnen müssen in ihrem Erkenntnisprozess ( https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnistheorie ) bei der Hand genommen werden (betreutes Denken), auf dass die Schäfchen nicht auf der falschen Weide grasen.
Nun hat sich die Philosophie jahrtausendelang abgemüht, den richtigen Weg zur Wahrheit zu finden. Das Fazit all dieser Denkbemühungen blieb:
— es gibt Annahmen, die mehr oder weniger plausibel sind: 0,001 % bis 99,999% wahrscheinlich, selten 0% oder 100%
— es gibt Schlussfolgerungen “falls die Annahmen A, B, C, … richtig sind, ist auch Z wahr” (A und B und C und … ~> Z). Diese Schlussfolgerungen können
—- logisch (erlaubt) sein
—- unlogisch (nicht erlaubt) sein
—- mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angemessen sein “in x% der Fälle ist die Folgerung korrekt” (das nennt man dann oft Korrelation, https://de.wikipedia.org/wiki/Korrelation ).
In der Weltgeschichte waren es die Religionen und totalitäre Systeme, die für sich in Anspruch genommen haben, Annahmen mit den Labeln “wahr” und “falsch” versehen zu können und die erlaubten Schlussfolgerungen zu kennen.
In einem demokratischen Staat sollte es keine Zensurbehörde geben ( https://redfirefrog.wordpress.com/2023/10/14/das-langstrumpf-prinzip-2-boses-netz/ ), die wahr/falsch und zulässig/unzulässig ex cathedra verkündet. Stattdessen müssen sich die mündigen BürgerInnen selbst die Mühe machen, die Nachrichtenflut in plausibel/wenig plausibel zu unterteilen. Leider sind an mündigen BürgerInnen weder Google oder Facebook, weder die politischen Populisten noch die Radikale Mitte ( https://redfirefrog.wordpress.com/2024/03/02/das-glaubensbekenntnis-der-radikalen-mitte/ ) interessiert. Den einen würden mündige BürgerInnen das Geschäftsmodell verhageln, den anderen den Weg zur Macht versperren.
Übrigens: Google und Facebook ist es völlig wurscht, ob jemand behauptet, die Erde sei eine Scheibe, ein Würfel, eine Pyramide oder eine Kugel (alles vier ist übrigens falsch, https://www.welt.de/wissenschaft/article148864/Die-Erde-ist-keine-Kugel-aus-der-Naehe-betrachtet.html): Hauptsache, die Leute schauen sich die Werbung an und rücken ihre persönlichen Daten raus.
ebo
26. April 2024 @ 17:54
So ist es. Und dagegen tut die EU – nichts!
KK
26. April 2024 @ 21:56
“In der Weltgeschichte waren es die Religionen und totalitäre Systeme, die für sich in Anspruch genommen haben, Annahmen mit den Labeln “wahr” und “falsch” versehen zu können und die erlaubten Schlussfolgerungen zu kennen.”
Korrekt – früher waren es jahrhundertelang die Pfaffen, die den Schäfchen von der Kanzel eintrichterten, was sie für wahr halten und glauben sollten. Jetzt, nachdem der Klerus kaum noch Einfluss hat (und er kleine Rest wird von den deutschen Bischöfen auch noch zur Kriegshetze genutzt), sind es unsere Regierungen, die diesen Job auch noch übernehmen wollen…
Hätten wir Wissings Wochenendfahrverbote bekommen, wäre bestimmt auch noch das dann kaum noch vermeidbare “Wort zum Sonntag” von der Regierungsbank gewsprochen worden… aber was nicht ist…
Helmut Höft
27. April 2024 @ 09:16
@Thomas Damrau
“Bewertungen wie “Desinformation” nehmen stillschweigend an, es gebe die eine “korrekte” Information …”
Die viel gerühmte/gesuchte Objektivität/Neutralität gibt es nicht – “reine” Objektivität ist der Versuch eine Beobachtung ohne Beobachter zu machen, “neutral” berichten der Versuch zu berichten ohne Berichterstatter.
Unn nu? Das hilft nur insofern weiter in dem man sich selbst klar macht, dass man immer am Zeitgeschehen, möglichst breit, dran sein sollte und selber denken/handeln muss. Kant lässt grüßen: “Sapere aude” https://de.wikipedia.org/wiki/Sapere_aude … und hier schließt sich der Kreis: Das geht nur, wenn man “am Ball ist”, z.B. LostinEurop lesen und mitdenken. 🙂
Skyjumper
26. April 2024 @ 11:06
Wie so vieles aus der EU-Sphäre klingt es gut. Allein die Erfahrungen lehren, dass es sich wohl um weiteren orwell‘schen Neusprech für‘ s unmündige Volk handelt.
Jedoch muss man bei aller Skepsis hinsichtlich eines guten Willens zugestehen, dass der Grad zwischen Zensur und Schutz tatsächlich auch objektiv gesehen verdammt schmal ist. Ich beneide diejenigen nicht, die sich damit (guten Willens, also nicht Faeser und Co.) beschäftigen.
ebo
26. April 2024 @ 11:10
Es geht nicht um klassische Zensur, denn die EU-Kommission ist keine Zensurbehörde. Dafür hätte sie auch keine Kapazitäten.
Allerdings versucht sie, den Internt-Plattformen immer mehr Vorschriften zu machen, was “illegal” ist und was nicht. Dabei geht sie von einem sehr weiten und offensichtlich geopolitisch motivierten Begriff von “Desinformation” aus (vereinfacht: alles was aus Russland und China kommt, ist Fake). Desinformation aus Israel, der Türkei, dem UK oder den USA wird natürlich nicht erfasst…
Wird alles in meiner Analyse erläutert 🙂
WBD
26. April 2024 @ 11:53
Lieber ebo, hier “die EU-Kommission ist keine Zensurbehörde” muss ich Ihnen widersprechen. Die komplette Abschaltung russischer Medien (RT, Sputnik, …) kommt von der EU-Kommission, und das ist nun mal ZENSUR.
Gerne zitiert: Artikel 5 Grundgesetz: EINE ZENSUR FINDET NICHT STATT
ebo
26. April 2024 @ 12:39
Stimmt, aber das war auch nicht von EU-Recht gedeckt. Natürlich habe ich den Vorfall auch in meiner Studie erwähnt. Hat sich seitdem aber nicht wiederholt…
KK
26. April 2024 @ 13:54
” Desinformation aus Israel, der Türkei, dem UK oder den USA wird natürlich nicht erfasst…”
Ganz zu schweigen von der Desinformation aus Brüssel!