Ukrainische Getreide-Exporte spalten die EU
Den ganzen Sommer hatte die EU-Kommission Zeit, um den Streit über ukrainische Getreideexporte zu lösen. Doch ihre “Lösung” – die Aufhebung temporärer Einfuhr-Beschränkungen – führt nicht zur erhofften Entspannung. Im Gegenteil: Sie spaltet die EU. Polen, Ungarn und die Slowakei wollen nun nationale Lösungen, um ihre Märkte zu schützen. Die drei Länder sollten “konstruktiv” sein, heißt es nun in Brüssel. Doch die Fronten sind verhärtet, bis zur Wahl in Polen am 15. Oktober ist keine Einigung in Sicht…
P.S. Die Ukraine will die drei Neinsager offenbar verklagen und Schadensersatz verlangen. Dies meldet “Politico”, das immer ein offenes Ohr für die Wünsche der Ukrainer hat. Allerdings bleibt offen, auf welcher Grundlage Kiew tätig werden will. Es ist ja kein EU-Mitglied, und für den Handel ist die EU-Kommission zuständig…
european
19. September 2023 @ 07:41
Die BBC schreibt heute, dass die Ukraine die EU Länder vor der WTO verklagt, die sich dem Getreideimport verweigern.
https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-66849185
„Ukraine has filed lawsuits to the World Trade Organization (WTO) against Slovakia, Poland and Hungary over their bans on food imports from Kyiv. It said such restrictions were a violation of international obligations by Ukraine’s EU neighbours.“
Da stellt sich das neue EU Mitglied gleich von der richtigen Seite aus vor. Bulgarien und Rumänien wurden nicht erwähnt. Die sagen schon nichts mehr. Sie verlieren sowieso immer.
ebo
19. September 2023 @ 08:06
Das hatte ich gestern schon im Blog, wenn auch nur als Fußnote. Meines Wissens gibt es keinen Rechtsanspruch auf Exporte in die EU. Politisch ist eine Klage auch unklug, wenn man Mitglied werden will…
KK
18. September 2023 @ 11:40
Den von der Ukraine geforderten „Schadensersatz“ können wir ja mit den bislang gewährten Milliardenhilfen verrechnen.
An Dreistigkeit ist dieses kleptokratische ukrainischen Regime wirklich nicht mehr zu übertreffen!
Katla
18. September 2023 @ 09:39
P.S.: Die Ukraine will jetzt eine Klage bei der WTO gegen die genannten Länder einreichen: https://www.politico.eu/article/ukraine-will-sue-poland-hungary-and-slovakia-over-agricultural-bans/
Besonders schön ist hierbei diese Aussage von Taras Kachka, ukr. Handelsbeauftragte: ““I think that all the world should see how member states in the EU behave towards trade partners and their own Union, because it can influence other states as well.”
Thomas Damrau
18. September 2023 @ 10:21
@Katla
In der Klage vor der WTO geht die Ukraine davon aus, das es eine vertragliche Regelung zwischen der EU und der Ukraine über die Einfuhr von Agrar-Gütern gibt, gegen die Polen, Ungarn und die Slowakei verstoßen. Die gibt es meines Wissens nicht -> siehe meinen ursprünglichen Kommentar. Es gibt lediglich eine Ausnahmeregelung über den Transport von Agrargütern über EU-Gebiet. Oder habe ich das falsch verstanden …
Aber die ukrainische Führung lebt eh in einem Parallel-Universum: Nach aktuellen Meldungen verbreitet Selenskyj mal wieder die These, wenn die Ukraine Russland nicht vernichtend schlage, werde der dritte Weltkrieg ausbrechen, weil …
… nach einem “Sieg” Russlands über die Ukraine (der genauso wenig in Sicht ist wie der “Sieg” der Ukraine über Russland) die Russen versuchen würden, als nächstes den Rest der EU zu erobern.
Solche extrem unwahrscheinlichen Prophezeiungen werden in unseren Medien einfach unkommentiert rausgeblasen.
Katla
18. September 2023 @ 16:04
@Thomas: m.W. auch nicht. Die EU hat 2022 die Importzölle und die Einfuhrbeschränkungen aufgehoben, „als Zeichen der Solidarität und zur Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft.“ Ein Vertrag existiert dazu m.W. nicht, es war „goodwill“ und das ist nicht einklagbar.
Arthur Dent
18. September 2023 @ 08:31
Das „Problem“ sind sicherlich sinkende Verbraucherpreise durch Vergrößerung des Angebots. Also eigentlich der (offizielle) Sinn des Kapitalismus und der Globalisierung. Die EU hat auch Handelsabkommen mit Nicht-EU-Ländern abgeschlossen, warum dann nicht auch mit der Ukraine? Oder geht es im Kern um Protektionismus und Schutz der Profite der Bauern?
Thomas Damrau
18. September 2023 @ 09:27
@Arthur Dent
Natürlich könnte man ein Abkommen mit der Ukraine über die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte schließen. Aber
– die Aushandlung solcher Abkommen braucht Zeit – vor allem, weil es bei diesem Thema innerhalb der EU sehr unterschiedliche Interessen gibt. Das zu lösende Problem ist jedoch akut.
– die Aufnahme solcher Verhandlungen würde das Narrativ “Nur noch ein paar Siege gegen Russland, dann wird die Ukraine eh EU-Mitglied” untergraben.
– Melnyk & Co. werden die EU-Kommission mit einem Shit-Storm überziehen, wenn die bisher praktizierte Freizügigkeit in Frage gestellt wird (haben sie schon in der Vergangenheit getan).
Thomas Damrau
18. September 2023 @ 08:20
Wir sollten das Problem beim Namen nennen:
– Ursprünglich war die Idee „Da der Transport über das Schwarze Meer nicht mehr möglich ist, transportieren wir ukrainische Agrar-Produkte über den Landweg zum nächsten europäischen Hafen und verschiffen es von dort zum ursprünglichen Ziel.“
– Inzwischen heißt das Motto zumindest zum Teil „Lasst uns die Agrar-Produkte gleich innerhalb der EU auf den Markt bringen: Das spart Transportkosten und ermöglicht höhere Gewinne.“
Dieser heimliche „Strategie-Wechsel“ bringt das hoch-empfindliche und hoch-subventionierte EU-Agrarsystem aus dem Gleichgewicht. Der Ruf nach einer „konstruktiven“ Einstellung macht es sich sehr einfach.
Katla
18. September 2023 @ 09:29
@Thomas Damrau: genau. Transporte für den Transit erlaubt zumindest Ungarn weiterhin, nur der Handel mit ukrainischen Getreide- und weiteren Agrarprodukten ist untersagt. Wenn es also wirklich um den Transit ginge, dann hätte die Ukraine allen Grund, zufrieden zu sein.
Hinzu kommt (aber das nur marginal), dass ukrainische Agrarprodukte keinen EU-Standards- und keiner Qualitätskontrolle unterliegen, so dass niemand weiß, ob sie genetisch verändert sind oder mit in der EU verbotenen Pestiziden behandelt wurden.
Ein weiterer Aspekt: die größten (9 von 10?) Getreideexporteure der Ukraine sind in Westeuropa, USA und in den arabischen Ländern ansässig. Es geht hier also keineswegs um das Überleben der kleinen Landwirte (worum es aber in Ungarn und Polen geht), sondern um die Durchsetzung von Großkapital-Interessen.
Hier stehen die Interessen von EU-Mitgliedstaaten gegen die Interessen des internationalen Großkapitals. Schon hochgradig verstörend, wessen Interessen die Kommission in dieser Frage durchsetzt.