Nach „Friedensgesprächen“ droht Krieg
Im Russland-Ukraine-Konflikt geht die Woche der Wahrheit – und der Diplomatie – zu Ende. Die Bilanz ist beängstigend. Nach den „Friedensgesprächen“ droht Krieg.
Noch nie stand Europa in den letzten 30 Jahren so nah am Rande eines Kriegs, warnt der polnische Außenminister Zbigniew Rau, der derzeit die OSZE leitet. Dabei sollten diverse Gesprächsrunden doch Entspannung bringen.
Es gab ein bilaterales Treffen USA-Russland, den Nato-Russland-Rat, eine OSZE-Sitzung sowie eine informelle Tagung der EU-Verteidigungs- und Außenminister in Brest (Frankreich). Doch die Diplomaten wiederholten nur dieselben unvereinbaren Botschaften.
Moskau fordert ein Ende der Nato-Osterweiterung sowie umfassende Sicherheitsgarantien, der Westen sagt Nein. Damit dieses Nein nicht allzu hart rüber kommt, wird es mit Floskeln zum „nützlichen Dialog“ verbrämt.
„Dialog und Härte“ heißt das bei Annalena Baerbock. Aber es bleibt ein Nein. Und zwar ein Nein ohne Alternativen. Während Moskau einen Vertragsentwurf vorgelegt hat, kamen von den USA, der Nato und der EU nur warme Worte.
Die schlechteste Figur macht dabei die EU, die in der größten europäischen Krise seit dem Ende des Kalten Kriegs nur noch eine Statisten-Rolle einnimmt. Sie lässt sich von den USA und der Nato informieren, das war’s.
Man wolle nicht unter Druck verhandeln, begründet der EU-Außenbeauftragte Borrell seine Passivität. In Wahrheit sind sich West- und Osteuropäer nicht einig. Deutschland und Frankreich wollen direkt mit Moskau reden, Polen und Balten sind dagegen.
Am Ende verabschiedeten die Minister in Brest einen Zehn-Punkte-Plan, der für jeden etwas enthält – aber keine neuen Ideen und schon gar keine Vorschläge für eine neue europäische Sicherheitspolitik.
Derweil wachsen die Spannungen immer mehr an. Die Ukraine beschuldigt Russland, hinter einer großangelegten Cyberattacke zu stehen. Der Angriff solle eine Militärinvasion vorbereiten, heißt es in Kiew.
In Moskau wiederum scheint man die Geduld – und die Nerven – zu verlieren. Man erwarte bis nächste Woche eine schriftliche Antwort, sagte Außenminister Lawrow. Seine Stellvertreter bringen sogar Truppen auf dem amerikanischem Kontinent ins Spiel.
Kuba-Krise 2.0
Er könne die Möglichkeit weder bestätigen noch ausschließen, dass Russland militärische Anlagen auf Kuba und in Venezuela stationiere, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Es klingt wie eine Kuba-Krise 2.0.
Und in Washington heißt es, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Im Falle einer russischen Invasion könne man sogar den ukrainischen Widerstand unterstützen, heißt es in der „New York Times“.
Das klingt nicht so, als hätten in der „Woche der Wahrheit“ die Diplomaten gesprochen – sondern so, als bereiteten sich alle auf einen großen Krieg vor, nicht nur in der Ukraine. Wirklich beängstigend…
Siehe auch „Brest bringt keine Bewegung“ sowie meinen Beitrag für piqd: „Die Selbstgefälligkeit des Westens“
P.S. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat einen Dreiergipfel mit den Präsidenten der USA und Russlands vorgeschlagen. Von der EU ist keine Rede. Das unterstreicht, wie sehr „wir“ schon in der Bedeutungslosigkeit versunken sind…
Weber
17. Januar 2022 @ 10:13
Es ist kein einfaches Hin und Her, sondern die NATO verfolgt seit 1945 das „Containment“ der UdSSR/Russland (gemeint ist Einkreisung durch Aufmarschgebiete der NATO). Siehe https://www.nachdenkseiten.de/?p=78459 Nachdem Gorbatschow sich naiv von den „Menschenrechtlern“ hat überrumpeln lassen und die bisher von der SU besetzten Gebiete aufgegeben hat, ist die NATO entgegen Absprachen in diese „Lücken“ vorgestoßen und will mit der Ukraine das letzte Glied in der Kette bilden. Russland mag zwar militärisch „gut“ dastehen, hat aber nicht annähernd die ökonomische Power, wie die NATO-Bande, inklusive Verbündete in Fernost. Selbst Wolfgang Ischinger hat das vor wenigen Tagen zu- und zu Bedenken gegeben. Auch in Afghanistan ging es in erster Linie um eine Bastion gegen Russland und Iran. Brecht: „Wenn die Ob’ren vom Frieden reden, weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt“ (…) „Wenn die Ob’ren Nichtangriffspakte schließen, kleiner Mann, mach dein Testament.“ Leider will das heute keiner mehr wissen. Stattdessen glaubt man der terroristischen Indianerkillernation mit Sklavereigeschichte und Rassismus bis heute, daß ausgerechnet diese Menschenfreunde einen „Krieg gegen den Terror“ führen. Da müßten die USA sich selbst bombardieren, um den größten Terroristen auf Erden zu beseitigen.
Holly01
16. Januar 2022 @ 18:48
@ Kostas Kipuros:
“ Die Welt befindet sich im Umbruch von einer US-dominierten unilateralen Ordnung weg hin zu einer multipolaren Ordnung mit mehreren zum Teil gleich bedeutenden Zentren. “
Da ist nur ein Problem:
Das Geldsystem ist unipolar.
Es ist völlig egal wo Sie hin kommen, Sie treffen immer auf die Weltwährung.
Egal ob als Kredit, Vor- oder Zwischenfinanzierung, als Ware oder als Transport, dahinter steht immer die Weltwährung.
Es gibt nur eine Weltwährung.
Das Problem der Chinesen und der Russen ist recht simpel. Ja sie haben eigene Währungen. Aber die sind komplett in die Weltwährung eingebunden. Ihre Wirtschaften sind komplett eingebunden.
Ja. Die Weltwährung kann wechseln. Aber die Weltwährung kann nur wachsen.
Es gibt genau ein Land wo die Weltwährung hin wachsen kann.
China.
Für die USA ist das existenziell.
Als die Briten die Pfunddominanz aufgeben mussten, wurden die saniert.
Durch die USA natürlich und auf Kredit natürlich.
Offiziell haben die die letzten Raten iwann in den 2010ern bezahlt. Tatsächlich hört das nie auf und da der Zinsabstand bei der Ex-Weltmacht noch schlechter ist, als bei allen anderen (das Geld fließt immer zur Weltwährung).
Die Existenzfrage ist: Können die USA den Dollar als Weltwährung stabilisieren?
Die Antwort lautet: Nein.
Der Rest ist Automatismus der aus dem Monetarismus kommt.
Alle anderen (außer den USA und China) sind Zuschauer.
Da sind Stellvertreterkriege drin.
Da sind Komplikationen drin.
Die USA können Krieg führen. Die USA können den Krieg nur nicht gewinnen.
Einen Krieg gewinnt man nur, wenn man Geld hat.
Die USA haben nur Schulden und Waffen.
Also lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die show.
Ich gehe davon aus, das China nach Norden expandiert und alles was UdssR war und östlich vom Ural liegt übernimmt.
Wenn die USA ganz lieb sind, dürfen die vielleicht auch nach 100 Jahren die letzte Rate zahlen.
Aber was sollten die machen, um den Übergang zu moderieren?
Einen Idioten zum Präsidenten machen der das Land spaltet?
Eine Krankheit lostreten, die überall die Kriegstauglichkeit reduziert?
Die Verbündeten schwächen, indem man sie spaltet?
Ist ja Alles nicht realistisch.
Also müssen wir abwarten.
Kostas Kipuros
16. Januar 2022 @ 12:29
Es ist richtig, in der Debatte um den Ukraine-Konflikt auf die enormen Risiken und Gefahren eines großflächigen Krieges zu verweisen – schon deshalb, um das Bedeutungsverhältnis zwischen Friedenspolitik auf der einen und die gesellschaftliche Fokussierung auf Genderdebatte, Frauenquote in Dax-Vorständen oder pro und contra Elektroautos (so wichtig diese Themen in Einzelnen auch seien mögen) auf der anderen Seite wieder in ein objektives Lot zu bringen. Dennoch ergibt sich bei genauerem Hinsehen ein möglicherweise differenzierteres, nicht ganz so pessimistisches Bild.
Erstens: Es ist ausgeschlossen, dass die russische Führung mit der umgehenden Annahme ihrer Vorschläge durch die USA gerechnet hat. Daraus folgt logischerweise zweitens, dass Russland mindestens über einen Plan B, sehr wahrscheinlich sogar über einen Plan C verfügt. Da es nur sehr wenige vertrauenswürdige und nachprüfbare Quellen gibt, lässt sich über Plan B nur spekulieren, die vorliegenden Nachrichten lassen jedoch zumindest vermuten, dass dieser in der Disslozierung russischer atomarer Hyperschall-Waffen in adäquater Reichweite und Zeit zu Washington besteht, wie US-Raketen vom ukrainischen Territorium aus Moskau erreichen könnten – eventuell wäre dies Kuba, alternativ Venezuela. Da diese Waffensysteme erfolgreich auf See getestet wurden, käme zusätzlich die Option ins Spiel, diese in internationalen Gewässern in Reichweite zu den USA zu stationieren. Möglich ist dies, da Russland derzeit über ein (begrenztes) Zeitfenster der militärischen Überlegenheit im Hochtechnologiebereich verfügt. Erste (inoffizielle) Reaktionen – die üblichen Wortblasen sind zu vernachlässigen – aus Washington lassen eine Rezeption der neu entstanden Lage vermuten.
Drittens ist es sehr wahrscheinlich, dass Russland seine Strategie mit China abgesprochen hat und von dort auch Rückendeckung erhält. Die Erklärung dafür ist simpel: Da China noch vor Russland ins Visier der geostrategischen Politik der USA geraten ist, bedeutet jede Schwächung Russlands zugleich eine potenzielle Schwächung Chinas – und vice versa Russlands. Peking könnte die Taiwan-Karte „spielen“ und Washington damit in eine „heiße“ globale Zwei-Fronten-Konfrontation treiben. China ist ökonomisch der bedeutendere Faktor, militärisch ist es Russland. Diese Kombination der Potenzen wird jeder US-Politiker, der halbwegs bei Sinnen ist, in Rechnung stellen.
Viertens haben es die USA zwar in der Tat geschafft, Russland in eine Situation zu bringen, da Putin nur die Wahl zwischen schlechten Optionen hat – aber: Sie sind definitiv unterschiedlich schlecht. Russland könnte sich der Nato-Aufnahme der Ukraine beugen, was zum einen bedeuten würde, in letzter Instanz der Stationierung atomarer Raketen zuzustimmen, die in ca. fünf Minuten Moskau erreichen könnten, zum anderen wäre dies eine Einladung der Nato, sich weiter auszudehnen – etwa auf Georgien, Kasachstan etc. Diese Option ist für Russland definitiv das Worst-Case-Szenario, da schlicht existenzbedrohend. Selbst wenn Putin darauf einginge, würde das Militär die Handlung übernehmen – eine Aussicht, die auch für die USA alles andere als wünschenswert erscheint. Die Verhinderung dieser Option würde im Umkehrschluss aus russischer Sicht zwangsläufig bedeuten, die Ukraine – mit welchen Mitteln auch immer – als Aufmarschgebiet der Nato auszuschließen. Der Preis für diese Option wäre für Russland (aufgrund westlichen Gegenreaktionen – Sanktionen etc.) immer noch sehr hoch, gleichwohl im Verhältnis zur ersten nicht existenzbedrohend, ganz abgesehen von der Frage, ob sich – noch dazu nach dem schmählichen Ende des Afghanistaneinsatzes – amerikanische Strategen entschließen würde, nun auf ukrainischem Territorium einzugreifen.
Entscheidend ist die Frage, wie der Westen insgesamt sowie die USA im Einzelnen und Besonderen auf diese Lage reagieren. Man könnte endlose Expertisen anfertigen, deshalb nur kurz: Die Welt befindet sich im Umbruch von einer US-dominierten unilateralen Ordnung weg hin zu einer multipolaren Ordnung mit mehreren zum Teil gleich bedeutenden Zentren. Das bisherige Denken im Westen ist zwar noch immer von der Hybris nach dem Sieg im Ost-West-Konflikt geprägt, das heißt, die Vorstellung einer epochalen Zeitenwende wird von westlichen Funktionseliten (inklusive Medien) noch immer negiert. Der Aufstieg Chinas sowie die russische Entschlossenheit und FÄHIGKEIT, eigene Interessen wahrzunehmen (etwa Verhinderung von Regimewechseln in Venezuela, Kasachstan, Syrien), stellen jedoch den Westen vor eine neue Situation, die sich nicht mehr mit althergebrachten Gewissheiten oder Mitteln zu seinen Gunsten gestalten lässt. Conclusio: Man kann nur hoffen, dass die Zahl und Bedeutung der Entscheidungsträger von Washington bis Brüssel, die sich dieser Realität stellen, jene überwiegt, die im derzeitigen Russland den failed State unter Jelzin und im derzeitigen China das bäuerliche China Mao Tse Tungs sehen.
ebo
16. Januar 2022 @ 16:13
Das sind interessante Überlegungen! Mir scheint die Variante „Kubakrise 2.0“ auch wahrscheinlicher als ein offener Krieg um die Ukraine. Dass dieser drohe, wird bisher ohnehin nur durch dubiose US-Quellen belegt, die sich nicht nachprüfen lassen.
Von den Szenarien, die Sie ansprechen, liest man in den amerikanischen Medien nichts – aus verständlichen Gründen…
Holly01
15. Januar 2022 @ 18:10
Obwohl.
Es wäre ja schon verlockend, die Pfeifen aus Berlin zu sehen, wie die jetzt, wo die Impfkampagne zusammenbricht und die Wut so richtig hochkocht, vor den Kameras stehen und sagen:
„Hey sorry, aber wir brauchen noch ein paar tausend Idioten die sich für die Amis umbringen lassen.“
Hm. Wäre es das wert? Die Amis komplett los werden?
…..
Jemand da der mir Kyrillisch beibringen kann und etwas Russisch?
Holly01
15. Januar 2022 @ 17:58
Da sehe ich im Moment keine Gefahr.
So lange Corona so schön ablenkt, brauchen wir (noch) keinen Krieg.
Das wäre doch was. Die EU/NATO im Krieg gegen einen Gegner. Bisher war das ja nur boxen gegen 3 Jährige.
Haben wir dieses Mal Munition? Nicht so wie in Lybien?
Oder auch nur Waffen? Nicht so wie die Polen im Irak?
Wird die royal Navy dieses Mal tatsächlich Schiffe haben? Nicht so wie bei den Falklands?
Wird es die Bundeswehr aus den Kasernen raus schaffen oder die Bundesmarine mehr als ein U-Boot flott kriegen?
Naja, die Ukraine ist ja direkt da wo die Musik spielt. Keine Anreise, keine Probleme, direkt mitten drin statt nur dabei.
Ein Krieg jetzt ist fast do dämlich wie aus der EU austreten. Wer würde das tun?
Industrie im Umbruch.
Schulden.
Euro.
Zerstritten.
Was noch?
Abgesehen davon würde in Schland die Unterstützung für einen US Krieg eher gering ausfallen.
Ne, ne echt nicht.
european
15. Januar 2022 @ 13:28
Frau von der Leyen war heute in den Medien mit der Forderung nach einer EU-weiten Frauenquote in den Dax-Vorständen. Soviel zu den Prioritäten der EU.
Ansonsten läuft es so, wie seinerzeit im Kosovo. Die Doku „Es begann mit einer Lüge“ kann man immer noch sehen. Die Kriegstrommelei geht nicht von Russland aus. Die Aggressoren sitzen im Westen.
Es ist beängstigend. Ich hatte mir vom Regierungswechsel einen Wechsel in der Ostpolitik erhofft. Aber wir sitzen ja nicht mal am Katzentisch.
Ulli Joßner
15. Januar 2022 @ 08:55
Ich schätze Ihre Kommentare ja sehr. Aber wie kommt es, dass sie nicht mehr an den Kosovo-Krieg denken?
ebo
15. Januar 2022 @ 10:45
Doch, natürlich denke ich daran. Erst gestern, als im deutschen FErnsehen über die Kulturhauptstadt Novi Sad berichtet und das Wichtigste „vergessen“ wurde:
Nato-Flugzeuge haben bei Luftangriffen 1999 die historische Donau-Brücke in der nordserbischen Stadt Novi Sad zerstört. https://www.deutschlandfunkkultur.de/kosovo-krieg-vor-20-jahren-der-tag-an-dem-die-nato-eingriff-100.html
Das THema kam auch beim Nato-Russland-Rat zur Sprache. Es ging nicht nur ums osovo, sondern auch um Libyen und Afghanistan, wo die Nato kaputte Landschaften hinterlassen hat – ohne dass irgend jemand zur Rechenschaft gezogen wurde…
Die Nato wiederum verweist auf Georgien, Moldau, die Krim…
Man hält sich gegenseitig Kriege und Völkerrechtsverstöße vor, um den nächsten vorzubereiten, scheint es!?