Legendenbildung um den EU-Beitritt

Rund um den Beitrittsantrag der Ukraine zur EU und den Krieg gegen Russland werden fleissig Legenden gestrickt. Auch Kanzler Scholz und Kommissionschefin von der Leyen setzen auf irreführende Erzählungen.

“Für den Status als EU-Beitrittskandidat zahlen wir den höchsten Preis”, behauptet V. Klitschko, der Bürgermeister von Kiew. Die Ukrainer würden mit ihrem Leben bezahlen.

Dabei hat Präsident Selenskyj den Beitrittsantrag erst am 28. Februar unterschrieben, vier Tage nach Beginn des Krieges. Russland hat seine Aggression nicht mit dem EU-Beitritt begründet, sondern mit der Annäherung an die Nato.

Zar Putin hat sich sogar ausgesprochen entspannt zum möglichen EU-Beitritt geäußert. “Wir haben nichts dagegen. Es ist die souveräne Entscheidung jedes Landes, Wirtschaftsbündnissen beizutreten oder nicht beizutreten.”

“Eine positive Antwort der Europäischen Union auf den ukrainischen Antrag zur EU-Mitgliedschaft kann eine positive Antwort auf die Frage sein, ob es überhaupt eine Zukunft des europäischen Projekts gibt”

Präsident Selenskyj

Doch nicht nur Klitschko strickt an der Legende, im Krieg gehe es um den Beitritt zur EU – oder sogar um die Zukunft der EU (siehe Zitat Selenskyj). Auch EU-Kommissionschefin von der Leyen macht mit.

In einem Tweet behauptete sie, die Ukraine müsse aus einem simplen Grund “durch die Hölle” gehen: Weil sie der EU beitreten will. Das ist offensichtlich falsch. Zu Beginn des Krieges hat niemand vom EU-Beitritt gesprochen, nicht einmal in Brüssel.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nur weil die Ukraine durch die Hölle geht, bekommt sie jetzt – fast vier Monate nach Beginn des Krieges – den EU-Status.

Unter normalen Umständen wäre das undenkbar gewesen, denn Kiew erfüllt nicht ansatzweise die Kopenhagener Kriterien. Sie trägt nolens volens den Krieg in die EU, statt die Union um einen sicheren und friedlichen Partner zu erweitern, wie bisher üblich.

Und die EU spielt dieses gefährliche Spiel auch nur mit, weil die Nato nicht zur Verfügung steht. Sie ist, was die Beitrittswünsche der Ukraine betrifft, zweite Wahl – und wandelt sich nun in eine Art “Wirtschafts-Nato”, wie auch die Sanktionen gegen Russland zeigen.

Womit wir bei Kanzler Scholz wären: Der SPD-Politiker, der lange wohltuend besonnen und zurückhaltend agierte, ist nun offenbar auch unter die Geschichtenerzähler gegangen.

Der russische Präsident scheine Angst davor zu haben, “dass der Funke der Demokratie auf sein Land überspringen könnte”, sagte er dem “Münchner Merkur” . “Deshalb betreibt er seit Jahren eine Politik, die eine Auflösung von Nato und EU zum Ziel hat.” 

Das ist nun wirklich eine Legende – oder ein Narrativ, wie man heute sagt. War es etwa Putin, der den Brexit herbeigeführt hat? Ist es Putin, der den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands blockiert? Wer hat eigentlich vom “Hirntod” gesprochen?

Unseren EU-Politikern sind offenbar die Argumente ausgegangen, auch mit den Fakten nehmen sie es nicht mehr so genau. Umso lieber vertrauen sie auf Umfragen, die rein zufällig immer genau das Gewünschte zur passenden Zeit sagen.

So kam pünktlich zum EU-Erweiterungsgipfel eine Eurobarometer-Umfrage heraus, derzufolge fast zwei Drittel (65 %) der Europäerinnen und Europäer die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache halten. Dies sei der höchste Wert seit 2007, als er bei 58 % lag.

Das Europaparlament veröffentlichte das Ergebnis unter der Schlagzeile: “Unterstützung für EU wächst angesichts des Krieges in der Ukraine.” Noch Fragen?

Siehe auch: “Kriegerische Kommunikation”