Tusk räumt auf: Ist das “pro-europäisch”?
Polens neue Regierung hat die gesamte Führungsriege der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen. Der “Pro-Europäer” Tusk und seine Anhänger werfen den Medien vor, sie hätten unter der PiS-Regierung Parteipropaganda verbreitet. Brüssel schweigt.
Am Mittwoch hat Kulturminister Sienkiewicz die gesamte Führung der Öffentlich-Rechtlichen gefeuert. Dies betraf die Vorstandschefs und die Aufsichtsräte des Fernsehsenders TVP, des polnischen Radios sowie der Nachrichtenagentur PAP.
Die PiS-Führung um Jaroslaw Kaczynski protestierte, sprach von einem Staatsstreich und einem Anschlag auf Demokratie und Pressefreiheit. Tusks Kanzleichef versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Er rief die PiS dazu auf, ihr “aggressives Verhalten” einzustellen.
Aus Brüssel kam – nichts. Die EU hat sich zwar gerade erst auf ein neues Mediengesetz geeinigt, das staatliche Eingriffe begrenzen und Journalisten schützen soll. Doch es ist noch nicht in Kraft – und soll wohl in Polen nicht zum Einsatz kommen.
Schließlich gilt Tusk als “Pro-Europäer”. Dass er in den Medien aufräumt und den Rechtstaat wiederherstellt, dürfte die EU nicht stören. Dabei wirft Tusks Vorgehen viele Fragen auf, wie diese Presseschau von “Eurotopics” zeigt…
Siehe auch “Brüssel übernimmt Kontrolle über die Medien” sowie unseren Update Tusk bekommt Milliarden-Vorschuß
P.S. Der nächste Test ist die Asylreform. Die PiS-Regierung hat sie bekämpft – nun muß Tusk zeigen, dass er wahrhaft “pro-europäisch ist und auch Migranten aufnimmt, die über Griechenland oder Italien kommen – und nicht nur Ukrainer…
Martina
27. Dezember 2023 @ 23:49
Das staatliche Fernsehen in Polen war nicht besser oder schlechter als im europäischen Schnitt. Es ist klar, dass es halt regierungsfreundlich bleibt. Das hätte ich auch nicht anders unter Tusk erwartet. Nun hat er dazu Methoden der Übernahme, etliche Gesetze verachtend, gewählt, die man nicht einmal der PiS-Regierung zutrauen würde. Samt Gewalt. Die EU schweigt. Derweil fragt man sich, ob er bei Justizreform ebenfalls seine Macht ausspielen wird. Die meisten Medien Europas schweigen…
Skyjumper
28. Dezember 2023 @ 10:44
@Martina
Das nennt sich heutzutage regelbasierte Werteordnung. Ist was ganz tolles und muss unbedingt überall durchgesetzt und verteidigt werden. So lange man nicht auf die Idee kommt es zu hinterfragen, und mehr oder weniger zufällig auf der „richtigen“ Seite der Regeln steht.
Von weiter weg, betrachtet kommt man allerdings schnell auf die Idee es Doppelmoral zu nennen. Oder auch die Abkehr von missliebigen, opportunistisch gerade unpassenden Gesetzen und Vereinbarungen. Heuchlerisch.
Zynismus an:
Sollte einen aber nicht weiter zu denken geben. Das passiert heute überall. In großen, im kleinen und in größten Maßstab. Es kann also nur was Gutes sein. Millionen Scheisshausfliegen können nicht irren.
KK
28. Dezember 2023 @ 15:25
“Das hätte ich auch nicht anders unter Tusk erwartet.”
Ja, sein Vorname hätte alle stutzig machen und ein deja-vú auslösen sollen… 😉
european
22. Dezember 2023 @ 17:16
Ich wusste mal, was ich unter pro-europaeisch verstehe. Mittlerweile haben sich die Parameter so verschoben, dass das, was ich unter pro-europaeisch verstanden habe, offensichtlich nicht mehr gilt.
Das, wofuer die EU steht, scheint nicht mehr mit dem uebereinzustimmen, wofuer die Bevoelkerung Europas steht. Was also heisst “pro-europaeisch”?
KK
22. Dezember 2023 @ 19:41
Also bis 20919 war ich selbst auch noch „pro-europäisch“, und den Begriff hatte ich fast nur mit Positivem verbunden – inzwischen ist er für mich nur noch negativ besetzt.
Das haben die aktuell Verantwortlichen verteufelt schnell geschafft!
Stef
22. Dezember 2023 @ 14:29
Stellt man die von Tusk angewendeten Methoden in den Kontext, passen sie voll ins Bild. In den USA hat die Regierung Biden z. B. im Rahmen vo. Russiagate genau das gemacht, was sie Trump vorgeworfen hat. Hierzulande betreibt die Ampel eine Politik, nach der es auch im Fall eines Regierungswechsels kein zurück mehr geben kann. Es ist müßig, diese Methoden an demokratischen Maßstäben zu messen, sie sind im Ergebnis totalitär. Unsere Politik ist inzwischen so, wie wir sie den Russen und den Chinesen vorwerfen. Am deutlichsten ist dies bei den Lockdowns geworden, die wir uns in China abgeschaut haben und die einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu Gesicht stehen.
Nüchtern betrachtet wird Tusk seine versprochene Politik trotz Mehrheit nicht umsetzen können, wie es auch der Pis verwehrt war. Die Spielräume demokratischer Regierungen sind offensichtlich von „unsichtbarer Hand“ derart begrenzt, dass die Unzufriedenheit des Wählers endemisch wird. Damit verkommt der Unterschied zwischen Demokratie und autoritärem Staat zu einer rhetorischen Floskel.
Die neue Funktion des modernen Staates ist, dem verdeckten übergeordneten Willen zu dienen.
KK
22. Dezember 2023 @ 17:54
“Es ist müßig, diese Methoden an demokratischen Maßstäben zu messen, sie sind im Ergebnis totalitär. Unsere Politik ist inzwischen so, wie wir sie den Russen und den Chinesen vorwerfen.”
Korrekt; und dabei ist sie auch noch maximal heuchlerisch. Nicht nur dem Rest der Welt geht das so langsam auf…
KK
22. Dezember 2023 @ 13:01
Ich hatte nur mitbekommen, dass die PiS die öffentlich-rechtlichen Medien peu-a-peu mit ihr nahestehenden Köpfen besetzt haben und damit unter ihre Kontrolle gebracht haben soll. Dass das wieder korrigiert wird ist ja per se nicht verkehrt, aber es direkt nach der Machtübernahme auf allen Posten gleichzeitig zu tun (und dann diese womöglich alle mit der neuen Regierung nahestehenden Köpfen zu besetzen), ist ja im Prinzip dieselbe Methode, die vorher noch kritisiert worden war.
Arthur Dent
22. Dezember 2023 @ 12:21
So geht Demokratie heute – man ist sogleich Ankläger und Richter. Tusk / Sienkiewicz haben vermutlich zuviele Western gesehen.