Tsunami in Griechenland
Der Währungskommissar präsentiert die Rechnung
Beim EU-Gipfel am Montag soll die Schuldenkrise in Griechenland keine Rolle spielen, sagt Kanzlerin Merkel. Falsch: Die EU-Kommission bereitet gerade ein neues milliardenschweres Notpaket vor, weil der geplante (und immer noch umstrittene) Schuldenschnitt nicht ausreicht. Nach einem Bericht der „SZ“ sollen dafür alle EU-Staaten geradestehen, auch Deutschland. Da Merkel neue Hilfen für überschuldete Länder ablehnt, wird sie darüber wohl oder übel auf dem Gipfel sprechen müssen!
Doch nicht nur Deutschland soll bluten. Noch viel schlimmer erwischt es die Griechen. Sie erleben nicht nur die schlimmste Rezession seit dem 2. Weltkrieg, sondern müssen auch noch für die Fehler der europäischen “Rettung” büßen. Gerade hat die so genannte Troika aus EU, EZB und IWF ein Liste mit knallharten Sparmaßnahmen vorgelegt, die das Land endgültig in Depression und Bürgerkrieg treiben könnten. Der Blog „keeptalkinggreece“ spricht von einem regelrechten „Tsunami“.
Mir fehlen die Worte, um das neue „Anpassungsprogramm“ der selbst ernannten Euro-“Retter“ zu beschreiben. Daher übernehme ich hier kurzerhand den Text meiner griechischen Blogger-Kollegen, in dem die wichtigsten Forderungen der Troika enthalten sind:
1. Restructuring of the public sector at central and local level. Reportedly revenues of at least 5 billion euros are expected from this intervention. It looks as if massive layoffs would be due.
2. Interventions to the specific wage rates of academics, judicial, military and security forces.
3. Changing the VAT refund scheme for farmers.
4. Cancel the heating allowance at least for 2012.
5. New taxation bill that would include some reductions in selected tax rates and elimination of tax exemptions and special regimes, removal of reduced VAT rates, simplifying property taxes, and closing of 200 tax offices by the end of 2012.
6. Padlocks or mergers for 11 large public companies and 35 smaller ones.
7. Measure equivalent of ‘labour reserve that ensures the rule 1 recruitment to 10 departures in the public sector.
8. Commitment to sell all the shares held by the state to utilities, ports and banks. The goal of privatization is 22 billion euro by 2015.
9. Complete the negotiations with social partners to Conclude National Tripartite Agreement, including wages, lower wages, the National Collective Agreement and the non-wage labor costs, including social insurance.
10. Plan for the settlement of arrears of more than 6.7 billion euro.
11. Further reduction in spending on hospital care and medicines.
12. Adoption of reforms to supplementary pensions and compensation in the public sector.
13. Decreases in basic pensions for farmers (OGA insurance fund), lowering the limits of pensions of other social security funds and tightening the pension criteria according to permanent residence.
14. Interventions in welfare benefits.
15. New criteria for disability, that will limit the number of recipients in a total of 10 percent.
16. New intervention in the pensions.
17. Decreases in defense spending.
18. Increases in revenues from tolls, fares, fees, royalties and other revenue sources.
19. Report on the operation of scheduled passenger transport (KTEL) which will present options for their “liberation”.
20. Clear political commitment by the parties to implement the measures.
Der letzte Punkt ist besonders pervers. Die Griechen sollen nicht nur ihr Land kaputt sparen, sondern auch noch dafür sorgen, dass alle politischen Parteien “mitmachen” und es keine andere Wahl mehr gibt. Das war übrigens eine ausdrückliche Forderung unserer ach so wohltätigen Kanzlerin…
P.S.: Siehe zu diesem Thema auch meine aktuelle Umfrage: “Wann geht Griechenland pleite?”
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Ariane
28. Januar 2012 @ 15:55
Richtig, ich halte das auch eher für innenpolitisches Geplänkel.Es könnte aber durchaus auch Auswirkungen darauf haben, wie so eine Pleite vonstatten geht. Also ob es irgendwie geplant und einvernehmlich vor sich geht (schlimm genug) oder in Unfrieden mit gegenseitigen Vorwüfen, evtl komplettem EU-Austritt, erst recht Panik bei Banken in der Peripherie. Oh und ein vermutlich komplett destabilisiertes Griechenland.Das mag ich mir gar nicht ausmalen und vor einem Jahr hätte ich auch gesagt, dass ja niemand so dumm sein kann, aber mittlerweile scheint schon fast alles möglich und Merkel würde so ihre “Politik der kleinen Schritte” erst recht vor die Füße fallen.
Eric B.
28. Januar 2012 @ 15:19
Hallo Ariane, ich stimme Dir voll zu. Es geht jetzt eigentlich nur darum, wer den Schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Aber wie ich hier schon öfters geschrieben habe, kann sich niemand so leicht aus der Sache rausstehlen:Selbst wenn man den Griechen die Schuld gibt, würde eine Pleite in Athen auch auf Berlin zurückschlagen…
Ariane
28. Januar 2012 @ 14:47
Da dies mein erster Kommentar ist: erstmal großes Lob an das Blog, habs erst vor kurzem entdeckt.Ich muss zugeben, dass ich mittlerweile die Hoffnung aufgegeben habe, dass irgendwer diesen Teufelskreis aus Sparen – Rezession = noch mehr sparen usw durchbrechen wird. :/ Ich glaube auch nicht, dass das noch lange funktionieren wird, weil sich die griechischen Parteien über kurz oder lang mit dem griechischen Volk verbünden werden und nicht mehr mitmachen werden. Mit einem Funken Restverstand hätten die “Euro-Retter” eigentlich selbst auf die Bremse treten müssen, so beschwören sie wirklich die Katastrophe herauf, die sie selbst mitverursachen. Imho läuft jetzt schon der Wettlauf darum, zumindest die Deutungshoheit zu behalten, damit es so aussieht, als wenn die Griechen einfach zu bockig wären und die Euro-Retter ja aber alles versucht hätten.zum Verteidigungshaushalt: Meines Wissens haben sowohl Deutschland als auch Frankreich durchgesetzt, dass alle Rüstungsaufträge bestehen bleiben müssen, von daher ist das Sparpotenzial winzig. Immerhin: man kann die Mannschaften entlassen und die Schiffe nicht auftanken und sich weiterhin an der Marine erfreuen. /sarkasmus off
Stefan
27. Januar 2012 @ 16:24
Es stimmt, dass die deutsche Rüstungslobby (zu lange) gute Geschäfte mit Griechenland gemacht hat, und ich wäre nicht traurig, wenn das bald ein Ende hätte.Dass Griechenland “erst jetzt” in die Rezession gerutscht ist, wie immer alle Medien (Speigel, Tagesschau, …) behaupten, ist ja eigentlich eine grobe Irreführung. An die Wachstumsraten des BIP darf man jedenfalls m.E. nicht glauben. Schaut man sich einmal die Wachstumsraten der Industrieproduktion an, dann stellt man fest, dass in den Vorkrisenjahren 2000-2007 Griechenland in gerade 3 von 8 Jahren über dem Durchschnitt der Eurozone lag. D.h.: Griechenland ist bereits seit mindestens 2004 ein Problemfall. Ans BIP darf man deshalb nicht glauben, weil es hier v.a. durch den Staatssektor aufgebläht wird.Und wie soll dann ein Konjunkturprogramm für Griechenland aussehen? Neue Auto- und Eisenbahnen? Das erhöht zwar das BIP, nutzt aber ansonsten niemandem langfristig. Wie eine aus falschverstandener Zuneigung zubetonierte Landschaft aussieht, das kann man gut auf Sizilien inspizieren. Und genau so wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Griechenland-Hilfspaket aussehen. Im Ergebnis verlieren die Griechen erst recht den Glauben daran, dass der Staat mit viel Geld alles richten kann — das Gegenteil wird eintreten.
Eric B.
27. Januar 2012 @ 15:08
Das sehe ich anders. Die Sparmaßnahmen haben Griechenland klar in die Rezession getrieben und die Krise verlängert. Dies wiederum führte dazu, dass der Schuldenstand, gemessen am (schrumpfenden) BIP, steigt, was neue Sparmaßnahmen auslöst. Das nennt man einen Teufelskreis. Im übrigen sind Steuererhöhungen in Athen bereits an der Tagesordnung; sie würgen die konjunktur noch weiter ab. Nur beim Thema Verteidigung sind wir uns einig: Hier hätte man zuerst den Rotstift ansetzen müssen, doch das hat nicht zuletzt Deutschland verhindert…
Stefan
27. Januar 2012 @ 14:50
Wenn man das Anpassungsprogramm thematisch gliedert, stellt sich heraus, dass viele der angeführten Punkte redundant sind, insbesondere 3, 5 und 18 sowie 12, 13 und 16. Und wenn die Finanzkrise in Griechenland den positiven Nebeneffekt hat, dass der Verteidigungshaushalt auf EU-Normalmaß reduziert wird (Punkt 17), dann soll mir das nur sehr recht sein.Von “kaputt sparen” kann aber m.E. in Grienland nicht die Rede sein, wenn man ein wenig die Steuern erhöhen möchte. 2010 (neuere Daten sind für das Gesamtjahr m.W. nicht verfügbar) lag in Griechenland die Ausgabenquote bei 33% vom BIP, in der Eurozone bei 40% (vgl. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Tax_revenue_s… ). Im Übrigen sieht es in Portugal, Irland und Spanien nicht wesentlich anders aus. Fazit: Bevor andere Euroländer mit wesentlich höherer Ausgabenquote (zu denen auch Frankreich und Italien gehören!) weitere Millardentransfers bewilligen, sollten o.g. Länder erstmal ihre Budgets und Sozialsysteme solide finanzieren. Wenn in der Krise nicht daraus gelernt werden soll, wann dann? Wenn die Sonne scheint?