Taurus für die Ukraine: Schwache Argumente, keine Perspektive
Erst der Leopard, nun der Taurus: In Deutschland läuft eine neue Kampagne für zusätzliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch diesmal sind die Argumente noch schwächer als beim letztenmal.
Als Anfang des Jahres die Panzer-Debatte entbrannte, war noch von einem “Game-Changer” die Rede, der die Ukraine zu einer erfolgreichen Gegen-Offensive befähigen und Russland an den Verhandlungstisch zwingen würde.
Nichts davon ist eingetreten. Doch immerhin waren das gewichtige Argumente, die neben der militärischen auch eine politische Perspektive eröffneten. Berlin werde nicht nur Waffen schicken, sondern auch Diplomaten – so die Hoffnung.
Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock haben diese Hoffnung enttäuscht. Sie haben sogar alles getan, um den zweiten Teil – die Verhandlungen und die politische Perspektive – vergessen zu machen. Das rächt sich nun.
Denn nun läuft die nächste Kampagne. „Die Ukraine braucht Taurus-Raketen, um mehr Leben ukrainischer Soldaten und Zivilisten zu retten und um die Befreiung ihrer Gebiete zu beschleunigen und den Krieg schneller zu beenden”, so Außenminister Kuleba.
Doch diesmal sind die Argumente noch schwächer als beim letztenmal. Fast alles, was die Experten zum Thema “Taurus” sagen, lässt sich ebensogut als Argument gegen eine Lieferung nutzen. Dies zeigt ein Blick in den “Spiegel”.
Wir haben die wichtigsten Argumente des Waffen-Experten F. Hoffmann aufgegriffen – und ein klein wenig anders interpretiert. Links das Original, rechts unsere Interpretation. Sie zeigt, wie zweischneidig die Argumente sind.
PRO
Alles in allem sind die Gegenargumente wenig überzeugend. Die Ukraine braucht zwingend Langstreckenflugkörper-Fähigkeiten, um eine vorteilhafte Abnutzungsrate gegenüber Russland aufrechtzuerhalten und die Voraussetzungen für erfolgreiche Manöver auf dem Schlachtfeld zu schaffen. Die Bundesregierung sollte deshalb dem Wunsch Kiews schleunigst nachkommen und den Taurus zur Lieferung an die ukrainischen Streitkräfte freigeben.
Wenn die Bundesregierung nicht schnell liefert, besteht die Gefahr, dass die Ukraine auf mittlere Frist keine Marschflugkörper mehr hat. (…) Bereits im Mai dieses Jahres hatte das Vereinigte Königreich bekannt gegeben, es habe Storm-Shadow-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert. Diese sind mit dem Taurus vergleichbar.
Bei gleichbleibendem Verbrauch würden 150 zusätzliche Marschflugkörper der Ukraine helfen, ihre Langstreckenflugkörper-Fähigkeit zwei Monate länger aufrechtzuerhalten. Somit wären Taurus-Marschflugkörper Teil einer wichtigen Übergangslösung, um der Ukraine und ihren Partnern mehr Zeit zu verschaffen, eine längerfristige und nachhaltige Lösung zu finden.
CONTRA
Alles in allem sind die Argumente für eine Taurus-Lieferung wenig überzeugend. Die Ukraine verfügt bereits über Langstreckenflugkörper-Fähigkeiten, die eine vorteilhafte Abnutzungsrate gegenüber Russland schaffen. Dennoch ist es nicht gelungen, die Voraussetzungen für erfolgreiche Manöver auf dem Schlachtfeld zu schaffen! Die Bundesregierung sollte deshalb den Wunsch Kiews ablehnen und den Taurus nicht zur Lieferung an die ukrainischen Streitkräfte freigeben.
Im übrigen gibt es keinen Grund zu Eile. Wenn die Bundesregierung nicht schnell liefert, besteht erst auf mittlere Frist die Gefahr, dass die Ukraine keine Marschflugkörper mehr hat. Bereits im Mai hatte das Vereinigte Königreich bekannt gegeben, es habe Storm-Shadow-Marschflugkörper geliefert. Diese sind mit dem Taurus vergleichbar.
Deutschland könnte die Lücke nur kurzzeitig schließen. Bei gleichbleibendem Verbrauch würden 150 zusätzliche Marschflugkörper der Ukraine lediglich helfen, ihre Langstreckenflugkörper-Fähigkeit zwei Monate länger aufrechtzuerhalten. Anfang 2024 wäre ohnehin Schluss. Dann muß eine längerfristige und nachhaltige Lösung gesucht werden.
Kurz: Großbritannien und Frankreich haben bereits Systeme geliefert, die vergleichbare Eigenschaften wie Taurus haben. Es gibt daher keinen akuten Bedarf, Deutschland müsste erst im Herbst liefern. Doch selbst dann könnte Berlin die Lücke nur kurzfristig schließen…
Deutschland als Lückenbüßer
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Mein Haupteinwand ist aber, dass die Ukraine erstmal erklären müsste, warum ihre Gegenoffensive scheitert, bevor man über neue Lieferungen nachdenkt. Vielleicht liegt es an Strategie und Taktik, und nicht (nur) an (angeblich) fehlenden Waffen?
Aber auch die Bundesregierung muß sich erklären. Handelt sie immer nur unter äußerem Druck, vielleicht gar wider besseres Wissen? Hat sie das Vertrauen in Selenskyj verloren, wie die andiskutierte Reichweiten-Beschränkung nahelegt?
Und vor allem: Wo bleibt die politische Perspektive? Soll der Krieg noch jahrelang so weiter gehen, mit Deutschland als Zahlmeister und Lückenbüßer bei den Waffen – aber ohne reale Mitsprache und ohne Aussicht auf Frieden in EUropa?
Siehe auch „Schwierigste Zeit des Krieges“: Die Ukraine gerät in Erklärungsnot
Annette
20. August 2023 @ 10:44
Ja, wie sollen sie es denn können, wenn sie a) nicht daran gewöhnt sind und b) nicht das dafür nötige Rüstzeug erhalten?
Cornelia Henke
15. August 2023 @ 13:20
Na ja der alte Clausewitz – wo er Recht hat -hat er Recht
(Carl Philipp Gottlieb Clausewitz, war ein preußischer Generalmajor, Heeresreformer, Militärwissenschaftler und -ethiker)
„Das russische Reich ist kein Land, das man förmlich erobern, d. h. besetzt halten kann, wenigstens nicht mit den Kräften jetziger europäischer Staaten. Ein solches Land kann nur bezwungen werden, durch eigene Schwäche und durch die Wirrungen des inneren Zwiespalts.“ (Man gibt sich Mühe …)
„Krieg kennt keine Sieger, jeder militärische Triumph erweist sich in Wahrheit als Niederlage aller Beteiligten.“.
„Soldatische Einfachheit des Charakters ist immer der beste Repräsentant des Kriegerstandes gewesen.“
Alle Kriegstreiber und Nutznießer des Krieges, sollten mal für längere Zeit in einem Lazarett arbeiten oder persönlich Bombenangriffen miterleben statt an Banketten teilzunehmen und in sicherem Abstand die Fäden im Hintergrund zu ziehen. …
WBD
15. August 2023 @ 11:50
@Kleopatra: Die Scheu, Waffen zum Angriff auf Russland zu liefern, kann ich sehr gut verstehen. Vergleichen Sie es doch mal mit Israel. Deutschland hat im 2. Weltkrieg unermessliche Schuld auf sich geladen, weil es ein Volk vernichten wollte. 6 Millionen Tote !!
Aber Deutschland hat auch eine ähnliche historische Schuld auf sich geladen: in der Sowjetunion sind bei dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg 17~25 Millionen Menschen zu Tode gekommen (Wikipedia).
Israel jederzeit und mit allen Mitteln zu unterstützen, gehört mittlerweile zur deutschen Staatsraison – auch Israel hat nicht bei allen Militäraktionen das ‚Handbuch zum Völkerrecht‘ in Griffweite !!
Da ist doch ein gewisses Zögern bei der Freigabe von Raketen zum Einsatz gegen Russland nachvollziehbar, auch wenn ich die Meinung teile, daß es wohl nur taktisch bedingt ist!
Robby
15. August 2023 @ 11:24
Nein Kleo, Sie irren.
Die Gegenoffensive scheitert, weil weder die Ukraine noch die Nato das Prinzip der vefbundenen Waffen beherrschen.
Die einzigen die das bis jetzt umgesetzt und zum Erfolg geführt haben, sind die Russen, vormals die Sowjetunion.
Vergessen Sie nicht, Russland hat bis jetzt darauf verzichtet, die Nato Sigint zu neutralisieren. Das kann aber noch werden.
ebo
15. August 2023 @ 12:13
Richtig, der Leopard soll eigentlich auch im Verbund geführt werden – und das beherrschen die Ukrainer nicht.
Es mangelt aber auch an der Ausbildung – sie ist zu kurz und nicht an die realen Kriegsbedingungen angepasst.
Mitten im Krieg von alten sowjetischen Waffen auf moderne westliche Systeme umzustellen, ist ein Himmelfahrtskommando!
Und da haben wir noch nicht mal von Strategie und Taktik oder von den (unrealistischen) Kriegszielen gesprochen….
Kleopatra
15. August 2023 @ 10:59
Die Gegenoffensive hat nicht zuletzt deshalb Schwierigkeiten, weil die deutsche Bundesregierung über die Frage, ob sie die Ukraine mit Waffen unterstützen will, jedesmal eine Grundsatzdiskussion simuliert. Auf diese Weise zieht sie diese Entscheidungen in die Länge und sorgt unbewusst oder bewusst dafür, dass die russische Seite Zeit hatte, um die rechtswidrig besetzten Gebiete u.a. randvoll mit Minen zu stopfen und weitere Befestigungen anzulegen.
Die Scheu insbesondere der deutschen Sozialdemokraten vor allem, was auch nur potenziell auf russisches Territorium abgefeuert werden könnte, ist unverständlich. Als kriegführendes Land hat Russland Angriffe auf militärisch relevante Ziele in seinem gesamten Territorium als legitim hinzunehmen.
Helmut Höft
15. August 2023 @ 09:31
@ ebo
Kommentar: kein Kommentar! Es ist einfach nur meschugge! Der „militärisch-industrielle Komplex“ (neben Testosteron + Ideologie + „Moral“) hat die Zügel fest in der Hand. Von C.W. Mills 1956 aufgeschrieben, von D.D. Eisenhauer (POTUS 34) aufgenommen: https://de.wikipedia.org/wiki/Milit%C3%A4risch-industrieller_Komplex
@ KK
aus dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ ist „der Sprengsatz am Fundament der Demokratie“ geworden. (*seufz* 34 Jahre Spiegel-Abo, bis 2003, dann ging es einfach nicht mehr).
Robby
15. August 2023 @ 01:52
Bei der aktuellen Politikergeneration bleibt uns wohl nur der Endsieg übrig.
Ob wir wollen oder nicht.
Und jeder weiß wie das endet.
Katla
14. August 2023 @ 18:41
…”der Ukraine und ihren Partnern mehr Zeit zu verschaffen, eine längerfristige und nachhaltige Lösung zu finden.”
Vom Gamechanger zur Übergangslösung. Davon abgesehen, dass es wieder keine ( wenigstens flankierende) diplomatische Ansätze gibt: wie soll eine nachhaltige und längerfristige Lösung aussehen? Wenn nach 150 oder 300 oder 400 zusätzlichen Marschflugkörpern Schluss ist, welche “nachhaltige Lösung” lässt sich hier logisch ableiten? “Nachhaltig und längerfristig” bleibt nur noch eine Ausweitung des Krieges auf ganz Europa als einzige Handlungsoption übrig, dann können alle NATO-Staaten ihr komplettes Waffenarsenal ohne Reichweitendiskussion, Mengenbeschränkungen und evtl. sogar völkerrechtskonform in diesem Krieg einsetzen.
Eine andere “längerfristige und nachhaltige Lösung” mit Waffen existiert einfach nicht. Wollen die denn wirklich den totalen Krieg? Es scheint inzwischen auch schon egal zu sein, ob die Ukraine dann überhaupt noch existiert, der Krieg muss trotzdem gewonnen werden. Die Ukraine allein wird es aber niemals schaffen, alle wissen es und niemand spricht es aus.
KK
14. August 2023 @ 18:35
” Dies zeigt ein Blick in den „Spiegel“.
In diesen SPIEGEL habe ich schon lange keinen Blick mehr geworfen. Was ist nur aus dieser einstigen Institution für ein hetzerisches Schmierblatt geworden?
ebo
14. August 2023 @ 18:39
Der Artikel steht ohnehin hinter einer Paywall – wie fast alles im “Spiegel”. Deshalb lese ich auch kaum noch die Online-Ausgabe…