Strategische Divergenz, weltweite Waffenkäufe – und Deal mit Lieferkette
Die Watchlist EUropa vom 16. März 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Rien ne va plus zwischen Berlin und Paris: Diesen Eindruck vermittelten die Wortgefechte zum Ukraine-Krieg. Während Präsident Macron jede rote Linie überschritt und so tat, als sei Frankreich schon im Krieg, versuchte Kanzler Scholz genau diesen Eindruck zu vermeiden – und zog eine dicke rote Linie bei Taurus.
Macron begründete sein Vorgehen mit “strategischer Ambivalenz” – man müsse den Feind im Unklaren lassen. Allerdings lässt auch er eine Strategie vermissen. Frankreich verfügt nicht über die Mittel, Russland zu schlagen – allenfalls kann es mit der “Force de frappe” einen Atomkrieg auslösen.
Auch Scholz hat keine Strategie, aber immerhin vermeidet er die (verbale) Eskalation. Dies trägt ihm allerdings harsche Kritik nicht nur der Opposition, sondern auch der Koalitionsparteien ein. In Berlin gibt es keine Ambivalenz, sondern strategische Divergenz. Zwischen Scholz und Macron leider auch.
Hintergrund ist das Debakel der ukrainischen Armee und die zunehmende Verunsicherung in der EU. “Die Ukraine darf nicht verlieren”, ruft Scholz. “Russland darf nicht gewinnen”, schreit Macron. Beide Aussagen zeugen von Hilflosigkeit und einem Anflug von Panik. Einen “Plan B” haben beide nicht.
Bei einem Treffen im “Weimarer Dreieck” mit Polens Tusk in Berlin wurden die Unterschiede vertuscht und mit einem Schwall an Treuschwüren für die Ukraine kompensiert. So soll die EU künftig weltweit Waffen für die Ukraine kaufen – und nicht nur in EUropa, wie Macron dies zunächst gefordert hatte.
Allerdings ist der Weltmarkt leergefegt. Und die EU ist der größte Importeur, wie das SIPRI-Institut herausgefunden hat. Europas hat seine Waffenimporte seit 2019 fast verdoppelt, wovon Frankreich, vor allem aber die USA profitieren. Deutschland liegt auf Platz fünf der größten Waffenexporteure.
Dank einer neuen Kriegskasse und rechtlich umstrittenen Hilfen der EU-Kommission dürfte das größte EU-Land aber bald weiter vorrücken. Rheinmetall & Co. profitieren wie nie, während das Sterben in der Ukraine weitergeht…
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Was war noch? Diese Woche gab es jede Menge “Deals” zu allen möglichen EU-Gesetzen. Mal wurden sie hinter verschlossenen Türen im sog. Trilog mit dem Parlament, mal durch Gefeilsche der EU-Staaten im Rat erzielt. Vor der Europawahl muß alles raus…
Bemerkenswert ist vor allem das weltweit erste KI-Gesetz, das auch biometrische Überwachung möglich macht, sowie die Einigung auf einen “Gesundheitsdatenraum”, mit dem der EU-weit gläserne Patient geschaffen wird. Wie schön!
Am Freitag gab es einen Last-Minute-Deal zum Lieferkettengesetz. Der Entwurf wurde verwässert und gilt nun erst für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Die jährliche Umsatzschwelle liegt bei 450 Millionen Euro. Richtig zufrieden ist damit keiner…
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Arthur Dent
17. März 2024 @ 09:41
Ob Illner, Klamroth, Maischberger, Miosga – mittlerweile tue ich mir die alle nicht mehr an. Immer dieselben Gespenster mit den immergleichen Botschaften.
Demnächst statt Lesen, Schreiben, Rechnen gibt’s Zivilschutz in den Schulen – vermutlich mit Bert, the turtle im Duck and Cover Film von 1951. Paranoia allerorten.
KK
17. März 2024 @ 13:02
„Paranoia allerorten.“
Nun, wenn man so beharrlich den Krieg will, dann muss man ja Angst haben vor dem „bösen Feind“ – sonst ist man unglaubwürdig. Ich fürchte, das ist pathologisch: ein Teil der Bevölkerung ist inzwischen völlig Geisteskrank – leider ausgerechnet der Teil, der Politik und Medieninhalte bestimmt.
Stefan
16. März 2024 @ 20:01
Interessant, ich habe diesen Beitrag von lanz-precht auch gehört und empfand ebenfalls Lanz extrem schlecht informiert und alles ausblendend, was seine Weltsicht stören könnte. Precht enorm zurückhaltend, nicht einmal die offensichtlichsten Auslassungen und Falschbehauptungen korrigierend.
Dennoch spannend zu hören.
Dass es einen sprachlich-kulturell russisch orientierten Bevölkerungsteil in der Ukraine gibt, wird von Lanz komplett ausgeblendet. Es gibt nur „die Ukrainer“, die das westliche Gesellschaftsmodell wollen. Wenn man auf die eigene Propaganda hereinfällt, ist schon blöd.
Godfried van Ommering
16. März 2024 @ 19:43
„Es sind nicht nur die Abgeordneten der Koalitionspartner, die Bundeskanzler Olaf Scholz nur mühsam bei der Stange halten kann, es sind auch Angehörige seiner eigenen Partei. Bei einer Abstimmung im Europaparlament am Freitag, nur einen Tag nach der Abstimmung über die Taurus-Lieferung im Bundestag, stimmte die Mehrheit der SPD-Parlamentarier für eine Resolution, die unter anderem in Punkt 11 folgenden Satz enthält:
„Das Europäische Parlament … ist der Ansicht, dass es keine selbst auferlegten Beschränkungen der militärischen Unterstützung für die Ukraine geben sollte. … [Es] betont, dass die Ukraine insbesondere hochentwickelte Luftabwehrsysteme, Marschflugkörper mit großer Reichweite wie die Systeme Taurus, Storm Shadow bzw. Scalp usw., moderne Kampfflugzeuge, verschiedene Arten von Artillerie und Munition (insbesondere Artilleriemunition des Kalibers 155 mm) sowie Drohnen und Waffen benötigt, um Angriffe abzuwehren.“
Eben gelesen bei rt.de, und selbstverständlich auf den Seiten des EU-Parlaments nachgesehen, denn ich kann es nicht fassen und kaum glauben wie über die Häupter der fehlgeleiteten und falsch, denn völlig einseitig, informierten EU-Bürger diese Truppe von irgendwie irgendwann demokratisch legitimierten „Volksvertreter“ sich einen Krieg mit Russland wünscht, ja diesen Krieg anscheinend herbeisehnt: 451 Mitglieder (u.a. alle Grünen, fast alle Sozial-Demokraten) des EU-P. stimmten dafür, 46 dagegen, 49 enthielten sich (oeil.secure.europarl.europa.eu). Und jeder sollte eigentlich die erste vier Beiträge im gerade erschienenen 5. Heft von „Ossietzky“ lesen, damit er noch einmal davon durchdrungen wird wie und auf was für Wege die Bürger Europas in den Krieg mit Russland geführt werden. Und voran schreiten die braven Volksvertreter in Strassbourg! Ganz voran: Kommissar Michel mit der Anti-Putin-Flagge! Und ganz ganz voran, immer einige Meter voraus, damit alle sie sehen…
KK
16. März 2024 @ 17:30
„„Die Ukraine darf nicht verlieren“, ruft Scholz. „Russland darf nicht gewinnen“, schreit Macron. Beide Aussagen zeugen von Hilflosigkeit und einem Anflug von Panik. Einen „Plan B“ haben beide nicht.“
Zumindest Macron – und viele deutsche Politiker der GRÜNEN, FDP, Union – haben doch einen Plan B: Krieg gegen Russland (oder wie soll man Baerbock, Kiesewetter, Strack-Zimmermann usw sonst verstehen?) und damit ein dritter, sicher dann nuklearer Weltkrieg, ausgetragen in EUropa. Wer erzwingen will, dass die „Ukraine nicht verliert“ oder „Russland nicht gewinnt“, nimmt dafür den Verlust ganz EUropas in Kauf.
Also im Prinzip läuft das, was Macron und viele deutsche Politiker fordern, auf das Ende eines bewohnbaren EUropa hinaus. Eine Art zeitgemässer Nero-Befehl.
Thomas Damrau
16. März 2024 @ 13:50
Wer studieren möchte, wie weit sich Politik und Medien in ihren Schützengräben verschanzt haben, sollte sich den Lanz&Precht-Podcat vom 8. März antun ( https://lanz-precht.podigee.io/134-ausgabe-131-abgehoert ).
Lanz ist einer der prominentesten Meinungsmacher im ÖRR – Precht gilt eher als Skeptiker, wenn es um eine Fortsetzung der Kampfhandlungen.
Precht ist zwar immer noch skeptisch – aber auch vorsichtig, nicht zu sehr auf Konfrontation zu Lanz zu gehen. In dieser Konstellation kann Lanz so richtig am Stück seine Weltsicht zum besten geben. Es ist die Weltsicht eines Fünfjährigen, der wütend mit den Füßen aufstampft und “Der blöde Putin darf nicht gewinnen.” fordert. Was ja einerseits nachvollziehbar ist (genauso wie der Forderung des Fünfjährigen nach Pizza), aber andererseits Stand heute nur schwer zu erreichen (weil der Pizza-Service schon zu hat).
Aber das “schwer zu erreichen” stört die heutigen Entscheidungsträger und Meinungsmacher nicht mehr. Da wird es erst einmal die moralisch Rechtfertigung zurecht geschliffen:
— Der 2022 vorgelegte Friedensvertrag war völlig unakzeptabel.
— 2014 (!) ging es darum, dass die ukrainische Kultur/Sprache unterdrückt werden sollte. (So habe ich die wilde Argumentation verstanden.)
— usw.
Und im zweiten Schritt dann jeder Strohhalm ergriffen:
— Ja, die Brücke von Kertsch …
— Warum nicht auch mal Russland eins reinbomben, damit die sehen …
— usw.
Und so geht das dann hin und her: Ein moralisch bis zum Platzen aufgeladener Lanz (Weil nicht so sein kann, was nicht sein darf.) wird von Precht sozial-therapeutisch betreut (Könnte es nicht doch so sein.)
Wie gesagt: Es sind zwar nur zwei Diskutanten unter vielen, aber ich habe mich selten durch einen einzigen Beitrag so in meinem Eindruck bestätigt gesehen, dass das Universum sich vor stark Jahren in zwei Universen mit völlig unterschiedlichen Realitäten aufgespalten hat.