Alles schwarz
Mit dem neuen Parlamentspräsidenten Tajani sichern sich Konservative, Liberale und Rechte die Macht in Brüssel. Sie beherrschen nun alle drei großen EU-Institutionen, die Sozialdemokraten verlieren.
[dropcap]P[/dropcap]olitik kann ganz schön gemein sein. Wenige Tage vor der Amtsübernahme von Donald Trump in Washington wählte das Europaparlament in Straßburg den Berlusconi-Vertrauten Antonio Tajani zum neuen Präsidenten.
Der 63-jährige Mitgründer der populistischen und abgewirtschafteten „Forza Italia“ folgt auf den SPD-Politiker Martin Schulz, der durch einen offenen Schlagabtausch mit Berlusconi berühmt geworden war.
Zum Wahlsieg verhalfen Tajani – neben den Liberalen – die Abgeordneten der rechten EKR-Fraktion, der neben flämischen Separatisten und polnischen Nationalisten auch viele Mitglieder der britischen Tories angehören.
Und das Ganze passierte just an dem Tag, da die britische Premierministerin Theresa May den harten Brexit – also den vollständigen Bruch mit der EU – ankündigt.
Das ist schon keine bittere Ironie der Geschichte mehr, sondern eine absurde Farce, die den Niedergang der Europäischen Union wie im Brennglas zusammenfasst.
Dabei hätte es nicht so kommen müssen. Es gab durchaus Alternativen zu Tajani. Nicht nur Gianni Pittella, den übermütigen Fraktionschef der Sozialdemokraten, oder Guy Verhofstadt, den Wendehals von den Liberalen – beide sind im Machtkampf mit den Konservativen unterlegen.
Auch die konservative Europäische Volkspartei, die Tajani ins Rennen schickte, hatte durchaus bessere Kandidaten.
Othmar Karas etwa, einen Österreicher, der einen viel beachteten Parlamentsbericht zur Misswirtschaft der Troika in der Eurokrise geschrieben hat. Oder Viviane Reding, die ehemalige Justizkommissarin, die für mehr Frauen in Aufsichtsräten großer Konzerne eigetreten war.
Doch beide waren schon in der Vorauswahl ausgesiebt worden – sie waren bei Kanzlerin Merkel in Ungnade gefallen. Auch die irische Europaabgeordnete Mairead McGuinness wäre durchaus akzeptabel gewesen. Für sie hätten sogar Grüne und Sozialdemokraten gestimmt.
Weber hat andere Ambitionen
Doch EVP-Fraktionschef Weber (CSU) ließ Tajani durchmarschieren. Was ihn dabei geritten hat, fragen sich selbst Mitglieder der CDU. Viele hätten es lieber gesehen, wenn Weber selbst angetreten wäre, statt einen ehemaligen Pressesprecher von Berlusconi zu küren.
Weber hat jedoch andere Ambitionen. Er möchte künftig selbst den Ton angeben im Europaparlament. Tajani soll nur sein Sprachrohr sein – ein „neutraler“ Präsident, wie er selbst sagt, der sich aufs Repräsentieren verlegen möge. So wie früher Hans-Gert Pöttering von der CDU.
Die Politik sollen künftig die Fraktionschefs machen. Allen voran natürlich Weber, der nun seinen ersten großen Erfolg eingefahren hat. Bisher galt der Niederbayer als Leisetreter, der weder fürs Bierzelt noch für harte Machtpolitik geeignet ist. Nun ist er der Königsmacher.
Weiterlesen auf telepolis: “Europa wird schwarz”. Siehe auch “Alles über Tajani”
kaush
19. Januar 2017 @ 16:08
Aber das Scheitern dieser EU ausschließlich mit Merkel zu begründen, scheint mir keine plausible Erklärung zu sein.
kaush
19. Januar 2017 @ 16:05
Müssen ja ganz komische Leute sein, die so eine Frau ins Kanzleramt wählen…
Peter Nemschak
19. Januar 2017 @ 16:09
Offenbar ist die Mehrheit komisch, Sie etwa nicht?
kaush
19. Januar 2017 @ 13:57
Es ist doch wirklich völlig egal, welcher Apparatschik im Politibüro in Brüssel jetzt wieder werkelt.
Diese EU ist fertig. So geht es nicht weiter.
Entscheidende Fragen zur EU im Artikel von Wolfram Weimer
“…Trumps polternder Amateurstil entlarvt zuweilen die dringende Reformbürftigkeit mancher Institution – zum Beispiel eine als oligarchisch empfundenen Kaste von Parteiberufspolitikern. Oder eine als belehrend und einseitig auftretende Medienelite.
Oder ein Steuersystem, das Millionen von Menschen, insbesondere aber der wirtschaftende Mittelstand als unfair und viel zu kompliziert ansieht. Wenn Trump das Steuersystem – wie angekündigt – vereinfacht und den Mittelstand entlastet, dann würde er damit ein Vorbild für die überfällige Reform in vielen Ländern schaffen. Es kann dabei hilfreich sein, dass Trump weder Berufspolitiker ist noch zum Establishment gehört.
„Der Spiegel“ beschrieb das schon früh als eine besondere Stärke Trumps, der „fast alles unterläßt, was herkömmliche Politiker machen.” Er benenne gnadenlos alles, was im politischen System der USA faul sei. Und seien es – wie in dieser Woche – die Nato oder die EU, die er ebenso verblüffend offen hinterfragt. Tatsächlich bedürfen beide einer Revision.
Ist die EU demokratisch genug?
Wird sie von den Europäern wirklich akzeptiert?
Ist sie effizient und bürgernah?
Wo löst sie Probleme, wo schafft sie nur Bürokratie und Bevormundung?
Ist sie ausreichend stark, um echte Probleme lösen?
Droht ihr der Zerfall, weil die Europäer ihr nicht mehr trauen?
Sie muss – da hat Trump einfach Recht – wie die Nato neu gedacht und gebaut werden…”
http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/11718-trump-ist-auch-eine-chance
Da wir in Europa offensichtlich aus eigener Kraft eine neue EU nicht auf den Weg bringen können, könnte ein kräftiger Schubs aus Amerika jetzt genau das richtige für uns sein.
ebo
19. Januar 2017 @ 14:20
Interessante Gedanken. Nur eins möchte ich korrigieren: Es sind nicht “wir in Europa”, die die EU nicht erneuern können. Es ist die herrschende neoliberlae und neokonservative Elite, allen voran Merkel. Aus Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland kamen genug Vorstöße, UK war der letzte Weckruf. Doch im Kanzleramt hat man immer noch nichts gehört…
Peter Nemschak
19. Januar 2017 @ 16:08
Mit neoliberal und neokonservativ können doch wohl nur die USA gemeint sein. Was ist so interessant an den Vorstößen aus Frankreich und Südeuropa, die alle auf eine Fiskalunion (=europäischer Finanzausgleich) hinauslaufen, die von der Mehrheit der Europäer im Norden aus guten Gründen abgelehnt wird. Europa ist nicht reif für eine Europäisierung der nationalen Finanzpolitiken. Das muss man endlich zur Kenntnis nehmen und das Beste daraus machen.
Peter Nemschak
18. Januar 2017 @ 19:53
Unsere liberale Ordnung wird von den Rechtspopulisten und den Linken in Frage gestellt. So gesehen ist die Koalition im europäischen Parlament ein richtiges Zeichen. Wir brauchen weder Rassismus noch Klassenkampf sondern eine freiheitliche Ordnung. Das will die Mehrheit der Bürger.
Peter Nemschak
18. Januar 2017 @ 09:41
Ein Deutscher wäre vielen auch nicht recht gewesen, am allerwenigsten ebo. Die politische Ausrichtung des EU-Parlaments spiegelt den Zeitgeist wider, der in Europa herrscht: individuelles Streben nach Glück und gleichzeitig Sehnsucht nach Heimat in einer anonymen globalisierten Welt, vermittelt durch rechtskonservative Parteien. Linke Politikvorstellungen einer grenzenlosen Solidarität werden von der Mehrheit der Bürger nicht angenommen.
ebo
18. Januar 2017 @ 09:43
@Nemschak Der Text enthält ja nun genug Namen von fähigen Alternativ-Kandidaten bei den Konservativen. Deutsch ist davon keiner, außer Weber. Dass die Deutschen derzeit nicht sehr beliebt sind in Brüssel war ein Grund dafür, dass er nicht angetreten ist.
Peter Nemschak
18. Januar 2017 @ 09:54
Bei allem Respekt für die Funktion des Präsidenten des EU-Parlaments und auch jene der Kommission entscheidend für die zukünftige europäische Integration ist der Rat der Mitgliedsländer und seine Bereitschaft dazu.
ebo
18. Januar 2017 @ 10:07
Da haben Sie völlig Recht. Und im Rat entscheidet Merkel. Mit Weber hat sie nun einen neuen Verbündeten im Parlament…und kann die lästigen Sozis beiseite schieben.