Die “geopolitische Kommission” duckt sich weg
Seit dem 1. Dezember haben wir eine “geopolitische” EU-Kommission. Doch zu den geopolitisch motivierten US-Sanktionen gegen die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 fällt ihr nicht viel ein – die EU duckt sich weg.
Weder Kommissionspräsidentin von der Leyen noch der neue Außenbeauftragte Borrell hielten es am Wochenende für nötig, sich zu den extraterritorialen Sanktionen der USA zu äußern.
Borrell gab zwar eine Erklärung zur Lage in Venezuela ab, schwieg jedoch zu den Maßnahmen des “Partners” USA. Von der Leyen war komplett abgetaucht. Sie schickte einen Sprecher vor.
Die EU lehne grundsätzlich Sanktionen gegen europäische Unternehmen ab, die “rechtmäßige Geschäfte” betrieben, durfte der Sprecher erklären. Das war’s dann aber auch schon.
Kein Wort zur Frage der Energieversorgungs-Sicherheit, die die USA anführen. Und auch keinerlei Hinweis darauf, ob die EU die Sanktionen mit eigenen Gegenmaßnahmen beantworten will.
Dabei hätte man gerade von einer deutschen EU-Chefin erwartet, dass sie sich klar positioniert. Hat von der Leyen die Gaspipeline nicht noch vor kurzem unterstützt – als Bundesverteidigungsministerin?
Und hat sie nicht eine “geopolitische” Kommission versprochen, die die “europäische Souveränität” schützt? Wenn sie es ernst meinte, müsste sie nun eingreifen. Denn mehr Geopolitik geht kaum.
Es geht um die Frage, ob sich Deutschland und die EU mit Nord Stream zu sehr von Russland abhängig macht – wie die USA behaupten. Es geht also um die energiepolitische Souveränität.
Es geht aber auch um die Bedenken der Osteuropäer und der Ukraine gegen das Gasröhren-Projekt. Und um die Frage, wie die Kommission mit diesen Bedenken umzugehen gedenkt.
Je länger die Brüsseler Behörde schweigt, desto lauter werden die USA ihre absurde These verbreiten, die Sanktionen seien “pro-europäisch” – und Washington der wahre Vertreter EUropas..
Viele europäische Diplomaten hätten sich dafür bedankt, dass die US-Regierung diese Maßnahmen ergriffen habe, erklärte US-Botschafter Grenell in der “Welt am Sonntag”.
Die USA wollen ihr schmutziges Fracking-Gas in den Markt drücken
Was für ein Hohn! In Wahrheit geht es den USA doch auch – wenn nicht sogar vor allem – darum, ihr eigenes, schmutziges und teures Fracking-Gas in den europäischen Markt zu drücken.
Die EU soll in der Energiepolitik abhängiger von den USA werden, und dabei auch den Klimaschutz hintanstellen. Ex-Kommissionschef Juncker hat dies mit einem intransparenten Deal unterstützt.
Das Mindeste, was man nun von von der Leyen erwarten kann, ist eine Klarstellung, ob sie diesen transatlantischen Gas-Deal weiter honorieren will – trotz der US-Sanktionen…
Siehe auch “Was heißt hier geopolitisch?” und “Reden wir über Imperialismus”
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Holly01
27. Dezember 2019 @ 15:05
@ Hr.Nemschak:
Durchaus richtig was Sie schreiben. Nur, die USA ziehen sich nicht zurück. Die USA ziehen die regulären Truppen ab.
Konsens in der USA ist, dass man für einen krieg mit China nicht “überdehnt” sein darf.
Die Verkürzen ihre Angriffsflächen, wechseln auf Söldner oder “Freiheitskämpfer” die mal genehm sind und mal Gegner sind.
Also als beteiligte Partei sind die USA überall weiter präsent.
Diese “atomare” Beteiligung Deutschlands und die Raketenschirme haben ja auch nur das Ziel die USA unverzichtbar und die Partner zu Zielen zu machen.
Die Amis gehen NIE von irgendwo weg.
Außerdem installieren die überall ihr Dollarregime.
KEIN Land ist vor Sanktionen der USA sicher und jedes Land muss den Ruin befürchten wenn den USA danach ist.
Nein. Es wäre schön, würden die USA wirklich mit den Aggressionen aufhören, tun die nur nicht.
vlg
Peter Nemschak
25. Dezember 2019 @ 21:42
Die USA versuchen wie immer die Spaltung Europas in West und Ost für sich auszunützen. Schließlich vertrauen die Balten und Polen nach wie vor mehr auf den Schutzschirm der USA gegenüber russischen Expansionsinteressen als die EU, derzeit vermutlich zu Recht. Allerdings ist zweifelhaft, ob die USA ihre Städte einen möglichen atomaren Krieg riskieren würden, um Osteuropa zu verteidigen. Es deutet alles auf einen militärischen Rückzug der USA aus Asien und Afrika und letztlich Europa hin. Europa muss sich politisch und militärisch auf eigene Beine stellen, jedenfalls seine Interessen in Afrika und dem Mittleren Osten selber vertreten, je eher desto besser. Daran würde auch ein Regierungswechsel in Washington nichts ändern. Northstream 2 wird gebaut werden, wenn auch mit etwas Verzögerung. Die wechselseitige Abhängigkeit Russlands und der EU wirkt dabei eher stabilisierend als destabilisierend wie die USA aus ihrer Interessenslage behaupten.
Peter Nemschak
25. Dezember 2019 @ 11:34
Deshalb wäre die Wiederwahl Trumps für Europa von Vorteil. Sie würde den Weg in Richtung sicherheitspolitischer und militärischer Unabhängigkeit Europas – das UK ist dabei keine Ausnahme – beschleunigen. Die Welt von morgen gehört wechselnden Allianzen, weil die Welt heute heterogener als im Kalten Krieg ist. Die USA, Russland und China sind für die EU jedes für sich unterschiedlich wichtig. Die Wahrnehmung europäischer Interessen wird gegenüber dem Werteexport der EU – meist mit bescheidenem Ergebnis wie die Nachbarschaftspolitik gezeigt hat – in den Vordergrund treten müssen, will die Staatengemeinschaft geopolitisch überleben. Die Wahrnehmung eigener Interessen sichert nicht nur das Überleben von Individuen sondern auch Nationen und der in ihnen lebenden Menschen.
Baer
24. Dezember 2019 @ 12:49
Wer die geostrategischen Überlegungen der Amerikaner verstehen will, muss vor allem die geostrategischen Überlegungen Englands verstehen, die nämlich heute noch die selben sind wie die ,die zum 1.u.2.Weltkrieg geführt haben, nämlich die Beziehung der Europäer zu Russland zu torpedieren und somit eine auf Augenhöhe agierende Macht verhindern.
Dass wir Deutschen an vorderster Stelle marschieren uns damit selbst schädigen verstehe wer will.
Eine derartig gestrickte Politikerkaste gehört umgehend abgewählt,aber der Michel schlääääääft.
Holly01
24. Dezember 2019 @ 08:37
Bevor die Briten und ihr Anteil am Doppelweltkrieg genau so wegdiktiert wurden, wie die zeit zwischen den Weltkriegen hatten die Polen einen anderen Plan.
Aber dieser Plan wurde mit der halben polnischen Elite abgeschossen.
Ja. Natürlich waren es die Russen.
Nein die hatten kein Interesse daran, die Amis schon, aber wer würde so etwas glauben.
Also. Wenn Deutschland einen Beistands- und Bündnispakt mit Russland schließen würde ….
würden die dann am Ende so dastehen, wie die Polen am Beginn des WKII ?
Opferlamm ohne Beistand? Der Köder den Deutschland geschluckt hat?
Jetzt haben wir jedenfalls die Situation wie vor dem DoppelWK mit 2 Unterschieden:
Zwischen Russland und Deutschland liegt die Nachkriegsordnung, also funktionierende Staaten, mit funktionalen Gesellschaften.
Ein Bündnis Deutschland Polen könnte tatsächlich sowohl die EU, wie auch Europa dominieren.
Tatsächlich denke ich das der Großsprecher aus Paris, genau dieser “Gefahr” vorbeugen will.
Ein Bündnis der “intermare” Staaten mit Deutschland wäre ziemlich dominant und strategisch ziemlich gut aufgestellt.
Die Frage lautet also: Wer macht bei der europäischen Armee mit und mit welchem Einsatz.
Das Ziel müsste ja nicht nur sein die USA zu ersetzen, sondern einen Bund aus UK und USA trotzen zu können, also tatsächliche inhaltliche Selbstständigkeit.
vlg
Claus Hiller
23. Dezember 2019 @ 11:37
@ebo: Der Transitvertrag läuft vermutlich auf Basis der bisher durchgeleiteten Gasmengen. Sollte North Steam 2 nicht zustande kommen und die Kapazität von North Stream 1 ausgeschöpft sein, müsste jedes Mehr an russischem Gas irgendwie durch Rohre in der Ukraine, Weißrussland, Polen und / oder der Tschechischen Republik fließen und führte wohl zu neuen Transitverhandlungen. Alles zusammen erklärt auch, warum der USA das Wohlergehen der Ukraine und von Polen so am Herzen liegt, und Präsident Lukaschenko aus Weißrussland seine Beziehungen zur USA verbessern will.
Auch hier gilt: “Follow the money, and you’ll come to the answer, sooner or later.”
Adi Golbach
23. Dezember 2019 @ 10:13
Mag sein, mag sein, dass die USA sich durch die Blockierung von North Stream 2 lukrative Exporte ihres eigenen Fracking-Gases nach Deutschland erhoffen. Nach meiner Einschätzung tun sie es aber vor allem aus einem geopolitischen Motiv, nämlich weil ihnen eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland ganz und gar nicht passt – siehe dazu den aufschlussreichen Vortrag des Gründers und Direktors der einflusreichen privaten US-Denkfabrik STRATFOR, George Friedman, über Geopolitik der USA speziell in Europa (-> Youtube); Zitat: “Das primäre Interesse der USA, wofür wir seit einem Jahrhundert die Kriege führen – Erster und Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg – waren die Beziehungen zwischen Deutschlan und Russland. Weil vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse war es immer, sicherzustellen, dass das nicht eintritt.”
Die USA mischen sich mit dem „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ in einer Unverfrohrenheit in Geschäfte außerhalb ihres Territoriums ein, die bisher selbst enge Freunde der USA in Deutschland nicht für möglich gehalten hätten. Dass die USA sich in anderen Ländern schon seit langem mit unfassbarer Arroganz und Brutalität in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen, am sichtbarsten bei organisierten Regierungswechseln (regime changes) wie im Iran 1953, Chile 1973, Ukraine 2014 oder Bolivien 2019, wird hierzulande jedenfalls in den Mainstream-Medien systematische heruntergespielt oder ignoriert.
Hinter dieser Politik steht das weltanschauliche Konzept des US-amerikanischen Exceptionalismus. Wer die US-amerikanische Politik verstehen will, kommt nicht umhin, sich mit diesem faschistoiden Denkkonstrukt näher zu befassen. Es wird übrigens von beiden großen US-amerikanischen Parteien praktiziert.
Der bekannte deutsche Kognitionsforscher Prof. Rainer Mausfeld hat es in einem auch sonst empfehlenswerten Vortrag wie folgt beschrieben (Zitat leicht gekürzt): “Exzeptionalismus ist die Haus-Ideologie der USA. Er besagt: die USA sind durch ihre Geschichte, durch die Kultur, durch die Kraft des Pentagons, so einzigartig, und zwar nicht in dem Sinne einzigartig wie jedes einzelne Land einzigartig ist, sondern die USA sind von einer einzigartigen Einzigartigkeit. Die ist so einzigartig, dass die USA internationale Vereinbarungen auch dann, wenn sie sie unterzeichnet haben, nur zu befolgen brauchen, wenn Sie das als nützlich ansehen. Das wird explizit gesagt: die USA fühlen sich nicht an internationale Vereinbarungen gebunden und die USA können auch nicht mit den moralischen Kriterien bewertet werden, die sie an andere anlegen. Nach dem Konzept des Exzeptionalismus können die USA auch keine Kriegsverbrechen begehen. Der Exzeptionalismus ist eine intellektuelle und moralische Pathologie, der zufolge die Verbrechen von wesenhaft Guten nicht dasselbe sind wie die Verbrechen von wesenhaft Schlechten. Und die USA sind wesenhaft gut. Laut den nach dem zweiten Weltkrieg in den Nürnberger Prozessen entwickelten internationalen Rechtsnormen hätte, so der berühmte US-amerikanische Soziologe Noam Chomsky, jeder US-Präsident gehängt werden müssen.”
Das Konzept des US-amerikanische Exzeptionalismus bewahrt sie davor. Siehe auch den Wikipedia-Eintrag über den Amerikanischen Exzeptionalismus. Zum Nort Stream 2 Projekt empfehle ich den Nachdenkseiten-Artikel Nord Stream 2: US-Sanktionen – „Putins Pipeline“ und die Propaganda.
ebo
23. Dezember 2019 @ 11:38
Dass die USA alles daran legen, eine Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern, ist bekannt. Dies erklärt auch, wie Sie richtig schreiben, die geopolitische Bedeutung der Sanktionen gegen Nord Stream. Neu ist jedoch, dass sich die EU-Kommission als “geopolitisch” bezeichnet. Neu ist auch, dass Frankreich für eine (taktische) Allianz mit Russland plädiert, um den USA Paroli zu geben. In dieser historisch neuen, brisanten Gemengelage wird sich das Schicksal der EU entscheiden.
Vernunftbegabt
23. Dezember 2019 @ 09:49
Erst Theaterdonner, dann absolute Mutlosigkeit. Brzezinski hatte schon recht als er in seinem Buch von 1997 „Die einzige Weltmach“ von den europäischen „Vasallen“ sprach, allen voran Deutschland. So wird wohl auch die Zukunft der EU aussehen.
Adi Golbach
23. Dezember 2019 @ 11:28
>>So wird wohl auch die Zukunft der EU aussehen.<< Kann sein, muss aber nicht. Wir könnten uns ja mal wehren. Wie wäre es zB, wenn Deutschland mal als deutliches Signal das im nächsten Jahr angesetzte NATO-Großmanöver "Defender 2020" mit geplanten 37.000 Soldaten absagte. Illusorisch? Ja, noch, muss aber nicht so bleiben. Was wir brauchen, sind keinen Auguren, sondern Aufsteher!
Holly01
23. Dezember 2019 @ 09:24
” Je länger die Brüsseler Behörde schweigt, desto lauter werden die USA ihre absurde These verbreiten, die Sanktionen seien “pro-europäisch” – und Washington der wahre Vertreter EUropas.. ”
Seit das EP die Geschichte umgedeutet hat, ist das Alles in einem anderen Kontext.
Die Geschichte lautet nun “Der DoppelWK hat als Ursache eine Bündnispolitik zwischen Russland und Deutschland, um die Staaten und Völker zwischen den beiden zu dominieren.
Jedwede Beziehung zwischen Russland und Deutschland (die über Sanktionen hinaus geht) ist damit die Vorbereitung zur erneuten Dominierung der Staaten und Völker dazwischen.
Polen hat das ganz geschickt installiert und eine – sig – europäische Mehrheit im EP hat das so abgesegnet !!
Intermare ist damit ein fester Bestandteil der EU. Da gibt es nichts zu diskutieren. Deutschland und Russland dürfen keinerlei “Umgang” mit einander haben.
Schon überhaupt nicht einen, der die Vorteile der Staaten (Transferleistungen) dazwischen verringern würde.
vlg
Claus Hiller
23. Dezember 2019 @ 09:11
Ich lese: „Es geht aber auch um die Bedenken der Osteuropäer und der Ukraine gegen das Gasröhren-Projekt. Und um die Frage, wie die Kommission mit diesen Bedenken umzugehen gedenkt.“
Bei den „Bedenken“ der Osteuropäer und Ukraine geht es doch schlichtweg um den Verlust von Transitzahlungen in Milliardenhöhe, denn diese entfallen, geht das Gas mit North Stream 2 durch die Ostsee. Die „Bedenken“ betreffen dann wohl die damit einhergehenden Haushaltslöcher, die nicht mehr gegebene Möglichkeit, sich mehr Gas als vereinbart abzuzwacken (Ukraine) oder überhaupt mal an den Ventilen herumzuspielen, für welche geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen unserer transatlantischen Freunde auch immer.
Die US-Sanktionen gegen Firmen, die am Bau der Pipeline beteiligt sind, verstoßen gegen UN-Menschen- und Völkerrecht. Man darf gespannt sein, wie sich die EU aus dieser Affäre herauswindet, „Großes Kino“ ist nicht zu erwarten.
PS: Vielleicht könnte die EU ja erst einmal die betroffenen Osteuropäer und besonders die Ukraine mit einer Gastransit-Ausfall-Entschädigungszahlung ruhigstellen, dann wäre zumindest dieses Thema für alle Seiten zufriedenstellend abgearbeitet.
ebo
23. Dezember 2019 @ 09:57
Der Ukraine entgeht ja gar keine Gebühr. Sie hat sich – unter EU-Vermittlung – gerade mit Russland auf einen neuen Transitvertrag geeinigt.