Was heißt hier geopolitisch?
Jean-Claude Juncker wollte eine „politische“ Kommission, bei Ursula von der Leyen soll es nun „geopolitisch“ werden. Doch was heißt das? Soll die EU zur Großmacht aufsteigen, wird Außenpolitik wichtiger als Europarecht?
Schon bisher tat sich die EU-Kommission schwer, politisch zu agieren. Sieht man einmal von Juncker und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ab, so wagte sich kaum ein Kommissar aus der Deckung. Günther Oettinger provozierte zwar gern, fügte sich am Ende aber stets der deutsch-europäischen Linie. Als es darum gegangen wäre, Nein zu sagen – bei der Blitz-Beförderung des Martin Selmayrs – zog er den Kopf ein.
Im neuen Team von der Leyen soll es nun aber nicht nur politisch, sondern gleich „geopolitisch“ zugehen. Wird also jede Entscheidung daran gemessen, was sie im Verhältnis zu den USA, Russland oder China bewirkt?
Sucht von der Leyen – die ja so sehr auf eine „ausbalancierte“ Kommission Wert legt – ein neues geopolitisches Gleichgewicht, oder will sie die EU (und ihre Behörde) als eigenen Machtpol etablieren?
Aus ihren ersten Ankündigungen geht das nicht hervor. Demnach soll „Europa“ seine „einzigartige Marke verantwortlicher globaler Führung stärken“ und mit „einer einigeren Stimme in der Welt“ auftreten.
Das klingt sehr nach der „Weltpolitikfähigkeit“, nach der neuerdings auch Deutschland strebt. In französischen Ohren dürfte dies zu wenig, in britischen oder polnischen hingegen jedoch schon zu viel sein.
Hier liegt die Crux mit der Geopolitik: Sie wird von nationalen Interessen und der Geographie geleitet – Portugal hat ein ganz anderes Weltbild als Lettland, in Griechenland bedeutet Geopolitik anderes als in Norwegen.
Selbst die „klassischen“ Großmächte wie USA, Großbritannien oder Frankreich definieren Geopolitik völlig unterschiedlich. Mal imperial, mal kolonial, mal paneuropäisch – wie zuletzt Macron mit Putin.
Fest steht nur eins: Geopolitik lässt sich schwerlich mit dem Europarecht und den „ehernen“ EU-Regeln vereinbaren. Dies möchte ich an einem Beispiel aus der jüngeren EU-Geschichte illustrieren.
2015 lief es nicht „geopolitisch“, sondern „deutsch“
Gemeint ist das Jahr 2015. Griechenland hatte eine neue Linksregierung, die vor zwei riesigen Herausforderungen stand: der Schuldenkrise und der Flüchtlingskrise in der Ägäis.
Wenn die EU damals „geopolitisch“ gehandelt hätte, hätte sie zuerst die Flüchtlingskrise regeln und sich mit der Türkei anlegen müssen. Das hat sie damals jedoch der Nato überlassen.
Stattdessen nahm sich Juncker die Schuldenkrise vor, wurde dabei aber schnell von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble ausgebootet. Deutschland gab den Ton an.
Und das soll nun unter von der Leyen ganz anders werden?
Hat sie eigentlich schon etwas zur neuen Golfkrise gesagt?
Peter Nemschak
17. September 2019 @ 20:18
Faktum: die EU ist b.a.w nicht mit den anderen Großmächten auf Augenhöhe. Sie wird um einen Verbündeten nicht umhin kommen. Daher wird ihr Verhältnis zu den USA auch in Zukunft zwiespältig sein.
Holly01
19. September 2019 @ 08:42
Ja das Verhältnis ist angespannt. Abhängig ist die EU, ein Opfer der globalen US Strategien ist sie und natürlich auch ein Konkurrent der USA bei den wirtschaftlichen Verteilungskämpfen.
Die USA sind im Aussenhandel noch weiter zurück gefallen unter Trump.
Das Doppeldefizit frißt die USA auf ….. die EU ist (auch aufgrund des Aussenhandelsüberschusses) einer der Gläubiger.
Das wird noch richtig spannend und die Fliehkräfte werden größer.
vlg