Modell Deutschland isch over
Jahrelang galt Deutschland in der EU als unschlagbar. Doch die Wahrnehmung hat sich geändert. “Das Modell Deutschland isch over”, könnte man mit dem (noch) beliebtesten deutschen Politiker sagen.
Wolfgang Schäuble würde es zwar nie so deutlich aussprechen. Doch die größte Volkswirtschaft der Eurozone steht am Rande der Rezession, der CDU-Politiker hat seinem Amtsnachfolger ein schweres Erbe hinterlassen.
Wer ist immer noch nicht glauben wollte, wurde durch die jüngsten Unternehmensmeldungen eines Besseren belehrt. Erst scheiterte die Fusion Deutsche Bank – Commerzbank. Deutschland bekommt keinen “nationalen Champion”.
Dann haben die Bayer-Aktionäre ihrem Vorstand die Entlastung verweigert. Ein bisher undenkbarer und einmaliger Vorgang – der zeigt, dass es auch großen Unternehmen schlecht geht. Volkswagen lässt grüßen.
Für die EU hat die Krise zwei Konsequenzen. Zum einen ist Deutschland keine “Konjunkturlokomotive” mehr. Berlin kann daher auch nicht mehr wie bisher den Kurs vorgeben und blinde Gefolgschaft einfordern.
Zum anderen wird die Kritik an der deutschen Sparpolitik lauter. Vor allem Frankreich muckt immer öfter auf – und fordert eine Lockerung der strikten Schuldenregeln, um staatliche Investitionen zu erleichtern.
Das deutsche Modell sei “à bout de souffle”, also völlig außer Atem und erschöpft, hieß es kürzlich in einem Editorial von “Le Monde”. Dies sei eine gute Gelegenheit, die Regeln zu ändern.
Anders als früher findet Paris dabei neuerdings auch Verbündete in Berlin. Denn sogar in der deutschen Hauptstadt hat eine Debatte über Sinn und Unsinn der Schuldenbremse begonnen.
Sogar Michael Hüther, Direktor des neoliberalen Instituts der deutschen Wirtschaft, hat die Schuldenbremse als “nicht zeitgemäß” bezeichnet…
Siehe auch “Die kommende Krise”
Peter Nemschak
30. April 2019 @ 10:18
@ebo zum Schutz der gemeinsamen Währung. Das Eurosystem wurde vom Schwanz aufgezäumt, auf Grundlage unrealistischer und unreeller Erwartungen. So wie sich Italien unter Salvini verhält, wird sich das Vertrauensverhältnis zwischen Italien und Deutschland nicht verbessern, ebenso wenig wie das Verhältnis zwischen Bürger und Staat in Italien. Daher wird es auch b.a.w. keine gespaltenen Staatsschulden geben. Ohne tiefgreifende Krise wie 2008 wird sich daran wenig ändern und Fortschritte nur marginal sein. Trotz deutlicher Verlangsamung des weltweiten Wirtschaftswachstums rechnen die Börsen nach wie vor mit einem baldigen Abschluss eines Handelsabkommens zwischen China und den USA. Eine weitere Verzögerung würde das bisher ungelöste Problem zu nahe an den nächsten Präsidentschaftswahlkampf bringen. Wahl und Wiederwahl sind in der Politik die entscheidenden Erfolgskriterien. In der Wirtschaft gelten andere Maßstäbe, wieder andere in der Wissenschaft und der Religion, vom Klimaschutz ganz zu schweigen.
Peter Nemschak
29. April 2019 @ 18:47
Die Lockerung der Schuldenregelung könnte dadurch erfolgen, dass ein bestimmter Sockel der Staatsschulden die Solidarhaftung aller Eurozonenmitglieder hat, während darüber hinausgehende Teile erstens nachrangig gegenüber den Solidarschulden wären und zweitens deren Höhe von der Bereitschaft des Marktes abhinge sie zu risikokonformen Zinsen zu finanzieren. Eine politisch bequeme, vor allem von den Linken forcierte, Schuldenpolitik, die letztlich auf eine Transferunion, die niemand will, hinausliefe, würde das Vertrauen in die gemeinsame Währung untergraben.
ebo
29. April 2019 @ 19:17
Sie meinen das Konzept der Blue Bonds, das von einem deutschen Bruegel-Forscher entwickelt wurde? Berlin ist dagegen.
Peter Nemschak
29. April 2019 @ 20:22
Wird sich auch einmal ändern. Derzeit haben die Deutschen Angst vor einer Transferunion, dass sie, wenn es ernst wird, von den undisziplinierten Schuldnern im Süden erpresst werden. Also sollten Länder wie Italien Vertrauen aufbauen und endlich interne Reformen angehen. Dass Italien keinen Reformbedarf hat, ist lachhaft.
Holly01
29. April 2019 @ 20:09
@ Hr. Nemschak:
Wenn wir die Briten los sind, wird das kommen, was zu einer gemeinsamen Währung gehört. Das ist eine gemeinsame Schuldenagentur.
Alle Schuldtitel der einzelnen Nationalstaaten laufen über diese Agentur und laufen auf EU.
Ja, dann gibt es einen Geldtopf, dem ein gemeinsamer Zins zu Grunde liegt, für den alle haften und der versorgt alle Nationalstaaten ohne Zinsunterschiede zu produzieren.
Seit der Euroeinführung sind alle nationalen Haushalte über die EU gelaufen und wurden abgenickt.
Es gibt absolut keinen Grund auch heute noch so zu tun, als gäbe es Gründe, die aktuellen Schuldenstände zu nationalisieren.
Dann haben wir die europäische Republik.
Jeder Nationalstaat ist für sein Territorium verantwortlich, so wie ein Bundesland.
Der Bund, also die EU selbst, finanziert sich über die Ein- und Ausfuhrsteuern.
Die laufen sowieso alle über die EU, einschließlich der Frontex Kosten.
DAS ist auch das Einzige was Sinn macht.
Man sollte sich auch einmal ganz ernsthaft Gedanken machen alle Schulden die oberhalb 60% des nationalen BIP liegt über den ESM zu finanzieren oder über die EZB per MMT Variante zu eliminieren. Ich wäre für finanzieren, denn wir brauchen sicher Anlagen.
Banken könnten da ESM-Anleihen als Sicherheiten in die Bücher nehmen.
Es gäbe eine Menge Möglichkeiten.
Es gibt aber auch die USA die das Alles untergraben.
Die haben Angst um ihren Dollar. Die haben gute Gründe, Angst zu haben.
Das sollte die Euroländer aber nicht hindern endlich aktiv zu werden.
vlg
Holly01
30. April 2019 @ 09:25
Ja, das würde bedeuten das die EU ihr Unionsrecht gegenüber den USA durchsetzt.
Ja, das würde bedeuten, das es keine nationalen Schuldtitel von EU Staaten am Markt gibt.
Ja, das würde bedeuten, das Euro-Länder keine Kriege führen können. Sie könnten sie ja nicht mehr finanzieren.
vlg
Peter Nemschak
30. April 2019 @ 09:26
Solange die Finanzpolitik Sache der Nationalstaaten ist, wird es auch die Staatsschuldenpolitik, die damit untrennbar verbunden ist, sein. Und das wird noch lange so bleiben, weil die Mentalitäten der Gesellschaften in Europa sehr unterschiedlich sind. In Nordeuropa haben die Bürger ein anderes Verhältnis zu ihrem Staat als in Südeuropa. Sie bezahlen, wenn auch nicht gerne, Steuern und erwarten dafür von ihrem Staat Leistungen. In Südeuropa bestehlen einander der Staat und die Bürger gegenseitig. Das Zusammenlegen von Schulden würde Verantwortungslosigkeit und Disziplinlosigkeit fördern. Disziplin hat in den letzten Jahrzehnten auch in unserer Gesellschaft als sozialer Wert verloren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Impfpflicht gegen Masern, eine Krankheit welche die Volksgesundheit bedroht und Todesfälle verursacht. Statt ewig zu diskutieren, wäre die Impfpflicht per Gesetz unter Androhung von Sanktionen zu dekretieren. Es ist nun einmal so, dass viele Menschen mit ihrer Freiheit nicht verantwortungsbewusst umgehen können.
ebo
30. April 2019 @ 09:44
Die Finanzpolitik ist schon lange keine nationale Angelegenheit mehr. Seit Maastricht gehorcht sie EU Regeln
Holly01
30. April 2019 @ 10:03
EBO hat es schon in Kurzform klar gestellt.
Innert der EU werden alle monetären Entwicklungen zentral gesteuert.
Egal ob Infrastruktur, Entwicklung, Forschung, Wachstum durch Kredite oder Standorte für Behörden mit den Personalschlüsseln, alles EU.
Wer denkt das wäre ja nur ein Kleiner Topf:
Denken Sie an den Soli. Schauen sie den Vergleich Alte vs neue Bundesländer an.
Der Unterschied macht es aus. Nicht die Gesamtsumme.
Das ist bei jeder Entwicklung so, egal ob Zinsen oder öffentliche Mittel.
Bayern hat seit den frühen 70ern immer 10-30 Mrd. mehr öffentliche Mittel bekommen, als der Rest.
Und heute erzählen die von den enormen Leistungen, die da erbracht wurden und von genialen Köpfen dei da gewirkt haben.
Dabei haben alle Konzerne ihre Zentralen (mit massiven Subventionen gesteuert) in den Großraum München verlagert.
Eine Wunder … es ist ein Wunder ……….. Nö, ist es natürlich nicht……
vlg
Holly01
29. April 2019 @ 18:00
“Wer ist immer noch nicht glauben wollte, wurde durch die jüngsten Unternehmensmeldungen eines Besseren belehrt. Erst scheiterte die Fusion Deutsche Bank – Commerzbank. Deutschland bekommt keinen “nationalen Champion”.”
Weder eine der beiden Banken, noch beide gemeinsam haben eine Zukunft.
Die gescheiterte Fusion bedeutet nur:
“beide müssen abgewickelt werden”
Nun wird ein weisser Ritter gesucht, der die CoBa vielleicht vor dem langsamen sterben rettet.
Natürlich wird die dann auch abgewickelt.
Natürlich wird das nur eine Bank übernehmen, die die Kosten vorab als “Hilfe” bekommt.
Der Marktwert der beiden Transpiranten (die schwitzen pure Angst) ist geringer als der der reinen Sachwerte.
Das gesamte Geschäft ist “Null” wert.
Die Summe aller Beteiligungen und Verbindungen und Auslandsvertretungen ist kleiner Null.
Die Gewerkschaften haben gewonnen. Glückwunsch.
Führen die Gewerkschaften jetzt auch Banken?
Wer wird den Beschäftigten bei einem ungeordneten Ende helfen?
Bei einer Fusion, wäre wenigstens alles mit Abfindungen und einem halbwegs erträglichen Zeitrahmen abgelaufen.
Nun siechen beide vor sich hin und warten auf das Sterben.
Die nächste “schlechte” Bilanz durch eine schlechte Investition oder Vermittlung ist immer aufs neue Existenz bedrohlich.
Scholz hätte 25% der DB über Kapitalerhöhung übernehmen und die Fusion erzwingen sollen.
Abwickln unter BaFin Kontrolle wäre besser gewesen.
vlg
Peter Nemschak
29. April 2019 @ 20:25
@Holly01 Die Deutsche Bank wäre zum Beispiel ein geeigneter Partner für J.P.Morgan. Aber das sollen die Bankvorstände und nicht die Politik entscheiden.
Holly01
30. April 2019 @ 09:28
Danke Hr. Nemschak. Ich bin vor lachen fast vom Stuhl gefallen ….
JP und die DB ….. ja sehe ich quasi vor mir.
Sie werden innert 5 Jahre erleben, wie die DB ihre US Tochter abwerfen wird. Also versuchen wird, die abzuwerfen und aus der Notierung an den US Börsen raus zu kommen.
Die werden sich komplett nach Asien umorientieren (müssen, wenn die noch so lange überleben).
Da können Sie sich an diesen post erinnern …..
vlg