Migration: Barnier redet (fast) wie ein Brexiter
Der frühere EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, will die Einwanderung nach Frankreich bremsen und den Familiennachzug stoppen. Er redet (fast) wie ein Brexiter – um Wähler zu gewinnen.
Wir erinnern uns: Kurz vor dem Brexit-Referendum 2016 forderte London, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Ex-Premier David Cameron war vor allem der Familiennachzug ein Dorn im Auge.
Die EU fand das nicht gut und machte kaum Zugeständnisse. Kurz darauf stimmte eine Mehrheit der Briten für den Brexit – es war die Zeit der Flüchtlingskrise und der offenen Grenze in Deutschland.
Nun redet Barnier fast wie Cameron. Nötig sei ein “Moratorium” bei der Migration von drei bis fünf Jahren. In dieser Zeit soll die Zuwanderung gebremst und der Familienzuzug gestoppt werden, sagte er dem Sender RTL.
Der konservative Franzose will auch das europäische Schengen-System reformieren. Wenn die anderen EU-Länder nicht mitziehen, droht er mit der (temporären) Schließung der Grenzen.
Barnier zielt natürlich auf die konservativen Franzosen, die bei der Präsidentschaftswahl 2021 für ihn stimmen könnten. Dass die Nationalistin Marine Le Pen ähnliche Forderungen erhebt, stört ihn nicht.
Und dass er fast schon wie ein Brexiter klingt, offenbar auch nicht…
Siehe auch “Ein Wahlsieg von Le Pen 2022 ist kein Tabu mehr”
european
12. Mai 2021 @ 13:27
Die EU-Ausländer waren hier ein Thema vor dem Brexit-Referendum, insbesondere die Arbeiter aus Osteuropa, ganz speziell Polen. Es war ein Fehler, dass die UK gleich nach deren Beitritt die Grenzen für Arbeitsmigration nicht wie z.B. Deutschland geschlossen hat. Viele Briten schieben den Lohndruck bzw. Preisverfall genau dieser Tatsache zu. Politik hat darauf reagiert, indem sie es als EU-Schicksal verkauft haben, obwohl sie es hätten anders handhaben können. Gleiches gilt für die Krankenversicherungspflicht. Auch das hätte UK anders machen können. Vieles, was hier im Land schief gelaufen ist, hat man konsequent der EU angelastet, obwohl Westminster eigene Entscheidungen hätte treffen können. Aber man kann nicht jahrzehntelang dieses Blame-Game fahren und dann kurz vor dem Referendum glaubwürdig das Gegenteil vertreten. Und dann auch noch während einer Fußball-WM, wo Nationaldenken nochmal einen psychologischen Schub erhält.
Die Flüchtlingskrise gefolgt von Angela Merkel’s Entscheidung der Grenzöffnung war eine Steilvorlage für Populisten wie Farage. Man denke nur an das Breaking Point Poster. Leute wie er haben hier eine Stimmung erzeugt, als würde die Insel schon unter dem zusätzlichen Körpergewicht der Leute zusammenbrechen und untergehen wie Atlantis. Ich bin kein Fan von Merkel, aber diese Geschichte ihr allein anzulasten, träfe auch nicht den Kern des Problems. Das Problem waren und sind bis heute die Zerstrittenheit und die fehlenden Antworten der EU-Länder, insbesondere der Binnenländer, die von der Migration über das Mittelmeer nicht betroffen sind und sich in schlauen Ratschlägen ergießen können, wie die Südländer das alles doch viel besser machen könnten. Über Griechenland und den aufsteigenden Faschismus dort findet man nichts in den regulären Medien. OpenDemocracy schreibt darüber oder man findet eine Doku auf Arte.
https://www.opendemocracy.net/en/can-europe-make-it/could-greece-turn-another-hungary/
Dass die Türkei der EU beitreten will, war auch vor dem Referendum nicht neu. Dass das nicht passieren wird, auch nicht. Aber man konnte damit drohen. Murdoch Media war dazu ein willfähriges Organ und hat aus allen Rohren gefeuert. Es ist auch nichts neues, dass gelogen wurde, dass sich die Balken biegen und die Leute haben es geglaubt, so wie sie es immer geglaubt haben. Hinzu kommen die Folgen jahrelanger Austerität, die im Land ganze Schneisen der Verwüstung angerichtet haben, bis hin dazu, dass Schulen mittlerweile Wunschlisten bei Amazon unterhalten, wo von Bleistiften bis Kopierpapier um Spenden gebeten wird oder Schüler aufgefordert werden, doch bitte eigenes Toilettenpapier mitzubringen.
Kleopatra
12. Mai 2021 @ 08:42
Der Unterschied ist natürlich, dass Barnier sich nicht auf Immigration aus EU-Ländern bezieht, sondern aus Drittstaaten. Im Fall von Großbritannien ging es um eine Aussetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, hier geht es um eine Frage, für die die französische Innenpolitik zuständig ist.
Nachvollziehbar ist allerdings, dass eine restriktive französische Immigrationspolitik von anderen Ländern torpediert werden kann, solange Immigranten ungestört nach Frankreich weiterreisen können. Nach manchen Berichten scheint es eine Tendenz zu geben, dass Migranten, die anderswo mit einem Asylantrag erfolglos waren, es nochmal in Frankreich versuchen. Anders ausgedrückt: Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der EU setzt einen resoluten Schutz der Außengrenzen voraus. Wenn man an die griechisch-türkische Grenze im Frühjahr 2020 oder die kroatisch-bosnische Grenze denkt, sieht man, dass Barnier hier nichts ungewöhnliches fordert, sondern nur Dinge, die so ähnlich von UvdL oder unter der Hand auch von der deutschen Bundesregierung ebenfalls unterstützt werden. Barnier würde allerdings möglicherweise für künftige deutsche “Umverteilungs”-Initiativen nicht mehr zu haben sein.
ebo
12. Mai 2021 @ 09:08
Glauben Sie wirklich, dass die Brexiters wg. der EU-Ausländer für den Brexit gestimmt haben?
Ich war vor dem Referendum in London. Es ging um die Flüchtlingsströme nach Deutschland und den EU-Beitritt der Türkei. Das hat den Leuten Angst gemacht.
In Frankreich geht es um die Libyer, die über Italien kommen – und all die Migranten, die über Calais nach UK wollen.
Mit der Lage in Deutschland ist das kaum zu vergleichen. So oder so sind Barniers Forderungen nicht mit geltendem EU-Recht zu vereinbaren.