Klatsche für Madrid und Berlin
Spektakuläre Wende im Fall Puigdemont: Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht setzt den Katalanen-Führer auf freien Fuss. Es ist ein Sieg für die Justiz – und eine Klatsche für die Politik.
Die Zentralregierung in Madrid wollte Puigdemont wegen “Rebellion” festnehmen lassen und bis zu 30 Jahre hinter Gitter bringen. Doch das wird weder vom europäischen Haftbefehl noch vom deutschen Grundgesetz gedeckt.
Nicht einmal der deutsche Hochverrats-Paragraf lässt sich auf Puigdemont anwenden, so die Richter. Genau darauf hatte aber Spaniens Regierungschef Rajoy gesetzt – deshalb hat er den Zugriff in Deutschland ermöglicht.
Rajoy hoffte offenbar, die deutsche Justiz werde in seinem Sinne urteilen – schließlich hat sich die Politik ja bereits auf seine Seite geschlagen. Noch am Tag der Verhaftung stellte die Bundesregierung einen Blankoscheck aus.
Spanien sei ein Rechtsstaat, man werde gegen eine mögliche Auslieferung Puigdemonts kein Veto einlegen, hieß es in Berlin. Kanzlerin Merkel glaubte wohl, ihrem konservativen Partei-Freund Rajoy einen Gefallen zu tun.
Doch auch daraus wird nun nichts, im Gegenteil. In Spanien wird der Ausgang der Verfahrens in Deutschland als massive Demütigung empfunden. Und Merkel muss wohl ihr Rechtsstaats-Verständnis überdenken.
Denn was ist das für ein Rechtsstaat, der zweimal denselben Haftbefehl ausstellt, und zweimal scheitert? Wieso wurde Puigdemont wegen “Rebellion” gesucht, obwohl es diesen Tatbestand im EU-Haftbefehl gar nicht gibt?
Glaubt Madrid an verschiedene Standards – in Belgien (wo der erste Versuch lief) und in Deutschland? Und wie hält es die spanische Zentralregierung eigentlich mit dem Recht auf Selbstbestimmung und freie Wahlen?
All dies sind keine neuen Fragen. In Belgien, wo Puigdemont zuerst Exil suchte, wurden sie längst gestellt. Doch in Deutschland glaubte man wohl, über den Dingen zu stehen, oder alles besser zu wissen.
Was für ein Irrtum! Jetzt hat Merkel ein Problem, das sie sich gerne vom Hals gehalten hätte…
Thomas
6. April 2018 @ 15:19
Und Merkel muss wohl ihr Rechtsstaats-Verständnis überdenken.
Guter Witz!
Kleopatra
8. April 2018 @ 10:17
Dass eine Auslieferung wegen des Verdachts der Untreue (um mehr geht es zunächst nicht) grundsätzlich zulässig sein könnte, sieht auch das OLG Schleswig nicht anders. Allerdings ist das erstens kein Urteil über die Unabhängigkeitsbestrebungen als solche. Die „Unterbindung von Sezessionsbetrebungen“, wie Sie formulieren, hat in Spanien bisher dadurch funktioniert, dass die Regionen weitgehende Freiheiten bekamen (und ihre Regionalparteien im Gegenzug mit der Madrider Regierungspartei koalierten). Und Rajoy hätte besser nicht vor einigen Jahren mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht gegen das zwischen Katalonien und der Zentrale vereinbarte Autonomiestatut gekämpft (und gleichzeitig m.W. auch noch mit einer unterstützenden Unterschriftensammlung das Klima zwischen katalanischen Regionalisten und dem Rest Spaniens vergiftet).
Zweitens will die spanische Justiz C.P. wegen Rebellion haben, um ihn salopp gesagt richtig brutal verknacken zu können. Bekommen sie ihn nämlich wegen Untreue ausgeliefert, darf er nur deswegen verurteilt werden (Spezialitätsgrundsatz). Den letzten europäischen Haftbefehl hat der spanische Richter ja auch zurückgezogen, als klar wurde, dass Belgien C.P. nicht wegen „Rebellion“ ausliefern würde. Ihnen schmeckt die Vorstellung nicht, dass dann teilweise untergeordnete Chargen Höchststrafen bekommen könnten und das oberste Symbol der Bewegung relativ leicht davonkäme.
Was im Interesse der EU ist, traue ich mich nicht so einfach zu entscheiden. Warum aber die Bürger ganz Spaniens über eine Unabhängigkeit eines kleineren Teils abstimmen müssten, ist nicht evident: auch über die schottische Unabhängigkeit wurde in London nicht abgestimmt.
Peter Nemschak
6. April 2018 @ 10:34
Das Recht auf Selbstbestimmung hat dort seine Grenze, wenn sich die Mehrheit der spanischen Bevölkerung gegen eine Sezession entscheidet. Dann wäre wäre eine solche Abspaltung nicht nur in Spanien verfassungswidrig. Letztlich wird es nach Ausschöpfung der Rechtsmittel zu einer Auslieferung Puigdemonts kommen, und sei es wegen des Verdachts der Veruntreuung von Staatsgeldern. Darüber müsste dann die spanische Justiz entscheiden. Wo ist das Problem der von ihnen verhassten Merkel? Wenn der Rechtsdrift der Mainstream-Parteien in Europa wie bisher weitergeht – laut einer Untersuchung von zwei Politikwissenschaftlern der UniWien ist er seit den 1980iger Jahren zu beobachten -, werden Sie sich mit politischen Vorstellungen anfreunden müssen, wie sie Spahn und Seehofer vertreten. Sezessionsversuche sind nicht neu in Spanien. Vor einigen Jahren waren die Basken dran. Bisher ist es Spanien stets gelungen sezessionistische Bestrebungen zu unterbinden. Sezession ist keinesfalls im Interesse der EU.
Baer
6. April 2018 @ 09:13
Wer glaubt eigentlich noch dass Deutschland ein Rechtsstaat ist?
Jeden Tag bricht die Regierung Verträge ,Gesetze und Vereinbarungen,bleibt aber ungeahndet,wieso eigentlich.
Von der Doppelbesteuerung für Rentner(verfassungswidrig),bis zu Waffenlieferung in Kriegsgebiete bis zur Ausweisung Russischer Diplomaten wegen eines Giftanschlages in England,der sowas von konstruiert ist,dass man nur den gesunden Menschenverstand benötigt,um die Absichten zu erkennen.
Wo findet man hier Recht in Form von in dubio pro reo ?
Es gehört nicht Puigdemont vor Gericht,sondern diejenigen die Recht beugen zugunsten
Politischer Interessen.
Claus
6. April 2018 @ 08:08
Nun könnte Puigdemont „nur“ noch wegen der Beschuldigung „Untreue“ ausgeliefert werden. StGB §266 Untreue in Deutschland:
„Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht (. . . ) wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Vielleicht kommen die Richter in Schleswig zu der Einschätzung, dass im Politikbetrieb auch dieser Tatbestand, ersetzt man „fremdes“ mit „öffentliches“ Vermögen und erinnert man sich an Nürburgring, BER, HSH Nordbank, Elbphilharmonie etc. etc. in Deutschland nicht strafbar ist und lassen Puigdemont unter Aufhebung der Auflagen frei.