Faktisch ist die EU eine Kriegspartei
Am 9. Dezember 2012 bekam die EU den Friedensnobelpreis. Knapp elf Jahre später unterstützt sie die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie konnte es dazu kommen? Was waren die wichtigsten Wendepunkte? Ein kritischer Rückblick in zehn Folgen. – Teil 10: Sind wir Kriegspartei?
Sind wir Kriegspartei? Seit Monaten wird diese Frage in Deutschland und in der EU diskutiert – und immer wieder mit demselben Argument zurückgewiesen: Man leiste nur Beihilfe zur Selbstverteidigung der Ukraine – und das sei nach den UN-Statuten erlaubt.
De jure sind wir also keine Kriegspartei – auch wenn Artikel 51 keinesfalls einen Freibrief darstellt. Vielmehr ist der Sicherheitsrat gefordert, “die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen” zu treffen.
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.
Artikel 51 UN-Charta
De facto sieht die Lage völlig anders aus. Spätestens mit dem Kriegsgipfel im Februar 2023 in Brüssel, bei dem Präsident Selenskyj die EU-Staaten persönlich in die Pflicht genommen hat, Waffen zu liefern und den “Sieg” gegen Russland abzusichern, hat die EU eindeutig Partei ergriffen.
Bis dahin konnte man noch sagen, die Mitgliedsstaaten hätten sich nur individuell und unverbindlich zu Hilfe bereit erklärt. Der Europäische Rat – immerhin eine der wichtigsten EU-Institutionen – hat die Lage jedoch verändert. De facto ist die EU eine aktive Kriegspartei geworden.
Dies wurde in der Folge auch politisch und praktisch untermauert. So hat der EU-Außenbauftragte Borrell (“wir brauchen eine Kriegsmentalität”) die EU-Verteidigungsminister zur Lieferung von Waffen und Munition aufgerufen und dazu aufgefordert, industrielle Kapazitäten aufzubauen.
Die EU-Kommission arbeitet an einem entsprechenden Vorschlag, der bei einem “Jumborat” am 20. März in Brüssel verabschiedet werden soll. Die Europäische Rüstungsagentur EDA wird in den Dienst der Ukraine gestellt – alle juristischen Bedenken wurden zurückgestellt.
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Arthur Dent
13. März 2023 @ 00:17
Ergänzung: Die EU wurde/wird von Deutschland dominiert “Eu” hatte ich vergessen 🙂
Arthur Dent
13. März 2023 @ 00:15
„Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen“ – diese Bonmot wird de Gaulle zugeschrieben, ein bisschen abgewandelt auch Egon Bahr. Das Gesäusel von den schönen Werten, der Hilfe für das Opfer kann man getrost ins Reich der Fabel oder Propaganda verweisen – die dazu dient, den Menschen die Opfer, die sie erbringen sollen, schmackhaft zu machen. Was sind aber nationale Interessen? Wer definiert sie? (für mich persönlich war die deutsche Wiedervereinigung völlig belanglos. Eigentlich, mit Blick auf die Rentenentwicklung, eher nachteilig – meine Interessen können hier nicht gemeint sein). Es geht also wohl um die Interessen des deutschen Gesamtkapitals. Die wurde/wird von Deutschland dominiert – sie zu erhalten und zu erweitern und den Osten bei der Stange zu halten, muss die oberste Maxime der deutschen Regierung sein. Die Gegnerschaft zu Russland war seit Jahren das einigende Band, dass den Laden EU zusammenhält. Die militärischen Unterstützung der Ukraine, ist Politik im Interesse des deutschen Gesamtkapitals. Dessen Hauptinteresse ist eben die Erhaltung der EU. Dafür müssen Opfer gebracht werden: Verarmung der Bevölkerung, teilweise Deindustrialisierung, weitere Staatsverschuldung und Inflation. Dass das Klassenpolitik ist müssen wir benennen und bekämpfen. In den kommenden Monaten gilt es diejenigen zu unterstützen, die den Zusammenhang zwischen Krieg, Sanktionspolitik und sozialer Verelendung, also den Angriff auf die „unteren Gesellschaftsschichten“ sehen (die abhängig Beschäftigten, die Rentner, Alleineerziehenden usw.), und zur Zusammenarbeit beim Widerstand aufzufordern.
KK
12. März 2023 @ 22:03
@ ebo:
„Will doch hoffen, dass Scholz und VdL ein wenig Widerstand geleistet haben!“
Wir wissen ja, was zuletzt stirbt.
KK
12. März 2023 @ 18:21
@ ebo:
“Die Frage ist nur, ob sie die Ukraine wirklich fallen lassen – oder ob sie die EUropäer die Drecksarbeit machen lassen wollen, um sich China “zuzuwenden”…”
Die Frage stellt sich eigentlich nicht, diesen Befehl zu empfangen sind ja Scholz und vdL eigens gerde wieder nach Washington geflogen.
Und es sieht leider ganmz danach aus, als liessen die EUropäer sich auch willig vor diesen Dreckskarren spannen.
ebo
12. März 2023 @ 18:56
Will doch hoffen, dass Scholz und VdL ein wenig Widerstand geleistet haben! Im Kommunique von Freitag wird diese heikle Frage ausgeklammert…
KK
12. März 2023 @ 14:27
@ Joseph Berchtold:
Doch, wir sind Kriegspartei, und kämpfen als Fussvolk für den Herrscher der Welt, der das um jeden Preis bleiben möchte – koste es seine Vasallen und die ganze Welt, was es wolle!
Und wenn die USA nicht Hegemon bleiben kann, dann soll halt die ganze Welt untergehen; das ist so wie bei einem jener Männer, die ihre Frauen, sollten sie sie verlassen wollen, lieber umbringen, als eine Scheidung zu akzeptieren… (hatte so einen Fall in meiner Jugend in der Nachbarschaft).
Josef Berchtold
12. März 2023 @ 11:01
Wir sind nicht Kriegspartei. Der Westen unterstützt nur die Ukraine gegen den russischen begrenzten Militäreinsatz. Mit dem Putin-Sprech kontern.
Thomas Damrau
12. März 2023 @ 10:52
Am Ende ist das nicht in erster Linie eine juristische Frage: Perception is reality. Viele Länder sehen den Ukraine-Krieg zu Recht als Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland um die Hegemonie an den Küsten des Schwarzen Meeres und in Zentralasien. Und diese Auseinandersetzung hat nicht erst 2022 und auch nicht 2013/2014 begonnen.
Wir kennen inzwischen die Argumente zur juristischen und moralischen Kriegsschuld: “Es war Putin” – “Vielleicht ein bisschen auch die USA” – “Du liederlicher Putin-Versteher” – “Kriegstreiber”, “Ja, aber das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Unverletzlichkeit von Grenzen”, “Aber das haben es die USA bisher auch nicht so ernst genommen”, “In der UNO-Charta steht”, …
Die meisten haben sich bereits eine unerschütterliche Meinung zur Kriegsschuldfrage gebildet und von der werden sie auch nach über einem Jahr Diskussion so ohne Weiteres nicht mehr abrücken. Es sei denn,
– die Situation auf dem Schlachtfeld ändert sich dramatisch
– die Kollateralschäden können nicht mehr mit Geld zugeschüttet werden
Und im Hintergrund dräut bereits die nächste Auseinandersetzung um die Hegemonie in Ostasien – und diese Auseinandersetzung hat noch mehr Sprengkraft als der Ukraine-Krieg.
Die EU ist im Schlepptau der USA Teilnehmer an diesen Auseinandersetzungen. Und die Billionen-Euro-Millionen-Tote-Frage lautet: Bis wohin ist Europa bereit mitzumarschieren – “… und morgen die ganze Welt”?
ebo
12. März 2023 @ 11:35
Die Frage, ob die EU aktiv in den Krieg eingreift, hat nicht mehr nur eine theoretische, sondern zunehmend auch eine enorme praktische Bedeutung.
– Denn zum einen wird die ehemalige Friedensunion damit zu einer Hilfsorganisation der Nato – dieser Schritt ist bereits vollzogen. Sie ändert ihren Charakter einer auf Frieden und Freihandel ausgerichteten Wirtschaftsunion, führt den Wirtschaftskrieg und plant die Kriegswirtschaft, etwa bei der Munition.
– Zum anderen macht die EU so den USA den Rücken frei für den offenbar kommenden Krieg mit China. Das Treffen Biden – von der Leyen diente der Vorbereitung. Wenn die USA sich eines nicht allzu fernen Tages auch militärisch um China “kümmern”, soll die EU Gewehr bei Fuß stehen – für die Ukraine und Russland.
Thomas Damrau
12. März 2023 @ 15:51
@ebo
Verzeihung, wenn ich meine Meinung nicht klar formuliert habe: Die Frage
– ob wir im Krieg mit Russland sind, wurde längst beantwortet: Kinder und Baerboecke sagen die Wahrheit
– warum wir im Krieg sind, wird jeden Abend in der Tagesschau beantwortet: charmante westliche Werte gegen gegen den hässlichen kooperations-unwilligen Totalitarismus
– wie weit wir mitmarschieren (Mariupol, Kertsch, Moskau, Astana oder gleich Peking), harrt noch einer Antwort.
ebo
12. März 2023 @ 16:08
Scheinbar rücken die USA langsam von Selenskyj ab: https://www.washingtonpost.com/politics/2023/02/13/us-ukraine-war-critical-moment/
Die Frage ist nur, ob sie die Ukraine wirklich fallen lassen – oder ob sie die EUropäer die Drecksarbeit machen lassen wollen, um sich China “zuzuwenden”…