Diese Alternativen hat Brüssel verbaut
Es gibt keine Alternative zum EU-Austrittsvertrag, heißt es in Brüssel. Die chaotischen Abstimmungen im britischen Unterhaus – wo gleich acht Alternativen durchfielen – scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. Doch so einfach ist es nicht. Der Brexit-Deal hätte ganz anders ausfallen können.
Denn während der fast zweijährigen Verhandlungen über den ungeliebten Brexit-Deal hat Brüssel viele mögliche Optionen verbaut. Hier eine kleine Übersicht (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Nicht einer, sondern zwei Deals: London wollte ursprünglich gleichzeitig über die Scheidung und über die künftigen Beziehungen – also den noch ausstehenden Freihandels- und Partnerschaftsvertrag – verhandeln. Doch Brüssel sagte Nein – deshalb ist bis heute unklar, wohin UK nach dem Brexit eigentlich steuert (Zollunion, Modell Norwegen, Schweiz etc.)
- Grenzfragen separat verhandeln: Die Briten haben das Problem an der Grenze zu Irland lange ignoriert, die Europäer haben daraus einen Knackpunkt gemacht – Stichwort Backstop. Genau daran könnte der Brexit nun scheitern. Dabei hätte man die Grenzfragen bilateral verhandeln können, mit Backing aus Brüssel. Dann wären wir heute wahrscheinlich weiter.
- Die Rechte der EU-Bürger zuerst sichern. Das hatte das Europaparlament gefordert, es wurde jedoch nicht erhört. Nun sind die Bürgerrechte Teil des Austrittsvertrags – und könnten mit ihm untergehen. Besser wäre es gewesen, sie gleich am Anfang zu sichern. Dann müßten sich Millionen Europäer in UK – und Expats in Europa – jetzt keine Sorgen machen!
Es gab also durchaus Alternativen. Die EU hat sie jedoch nicht genutzt. Deshalb sollten wir uns heute auch nicht über die Briten lustig machen. Sie wurden in die Enge getrieben, Schadenfreude ist fehl am Platze.
Dies gilt umso mehr, als EU-Verhandlungsführer Michel Barnier und seine deutsche Stellvertreterin Sabine Weyand einige wichtige Dinge vergessen haben, die nun – im Fall eines No Deals – kritisch werden könnten:
- Es fehlt ein Plan B für die irisch-nordirische Grenze. Wenn es zum harten Brexit kommt, wird sie zur EU-Außengrenze – doch weder Irland noch die EU haben Vorkehrungen getroffen, sie zu schützen.
- Es fehlt ein Plan B für das EU-Budget. Wenn UK am 12. April ohne Vertrag austritt, fehlen Millionen im laufenden Haushalt. Budgetkommissar Günther Oettinger muß dann wohl Notkürzungen vornehmen.
- Es gibt auch keinen “managed no deal”. Den hätte man durchaus noch aushandeln können, seit der Einigung im November war genug Zeit. Doch die EU wollte es nicht – denn sonst wäre der Druck auf die Briten gesunken.
Fazit: Der EU-Austrittsvertrag ist keineswegs so alternativlos und perfekt, wie unsere EU-Politiker behaupten. Er enthält sogar große und gefährliche Lücken und Konstruktionsfehler. Man hätte sie beheben können – nun ist es wohl zu spät…
Xaver Philipp Schlesinger
28. März 2019 @ 17:54
Hi, die Frage um Nordirland wird zwar von großen Sorgen begleitet, eigentlich könnte dieses vermeintliche Dilemma aber schnell gelöst werden.
Für die EU käme eine Mitgliedschaft von Nordirland im gemeinsamen Binnenmarkt der EU infrage. Für Großbritannien wäre dies jedoch de facto eine Grenze innerhalb des Landes und ein Schritt der die Abspaltung von Nordirland befördern würde. Da der Nordirlandkonflikt nicht die übrigen EU-Mitgliedsstaaten betrifft könnte eine Seite einfach die Grenze für die Menschen aus Irland oder Nord-Irland öffnen. Und Großbritannien könnte nach einem Austritt aus der EU sogar weniger von der EU sanktioniert werden als Irland. Die Bedrohungslage ist also mehr Schein als Sein.
https://einfache-standards.blogspot.com/2019/03/auenpolitik-brexit-bleiben-oder-doch.html
MfG
XPS
Freiberufler
28. März 2019 @ 13:41
Die Briten haben zum wahrscheinlich ersten Mal in ihrer EU-Geschichte desaströs verhandelt. Die EU ist nicht am Freihandel interessiert, sondern an einem politischen Exempel. Dass dieses Exempel speziell für Deutschland sehr teuer wird, nimmt man im Berliner Regierungsviertel gerne in Kauf.
Regelungen zum beiderseitigen Vorteil sind bei dieser Gemengelage selbst dann nicht zu erwarten, wenn sie sich wirtschaftlich aufdrängen.
Wenn man mit so einem Gegner zu tun hat, muss eine erfolgversprechende Verhandlungsstrategie klar machen, dass man sich nicht erpressen lässt und bereit ist, zum Äußersten zu gehen. Wenn der andere sich nicht bewegt, gibt es keinen Deal. Ende der Durchsage.
Wenn man aber das einzige Szenario, das der EU Konzessionen abringen könnte, frühzeitig ausschließt und als Horrorszenario labelt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn einem von der EU die Bedingungen diktiert werden. Inzwischen darf bezweifelt werden, ob sich die Briten den Austritt überhaupt noch trauen. Die EU ist voll am Drücker.
Holly01
28. März 2019 @ 14:38
Hallo Freiberufler,
die EU hat in London keine Lobby. ALLE wollen raus, es geht nur um die Frage “Wie”.
Es gibt ein paar Opportunisten, die sagen “es wäre vorteilhafter wenn”, aber Freunde hat die EU keinen einzigen im Unterhaus.
Die Tories mussten vor der letzten Wahl ALLE unterschreiben, dass die den Brexit aktiv betreiben, sonst gab es keinen Listenplatz.
Labour besteht aus Corbyn, der will aber nur die Partei als persönlichen Altersruhesitz. Wahrscheinlich schmeichelt das seinem ego.
Die treten aus.
Im Gegenteil habe ich den Eindruck, bei den hard brexiteers setzt sich die Meinung durch “je höher der Schaden, desto sicherer das Ergebnis”.
Die wollen sicher sein das in diesem Jahrhundert keiner mehr einen Aufnahmeantrag an die EU richten kann oder will.
Denen geht es auch nicht um Geld oder Wirtschaftlichkeit.
Die wollen die vollständige Macht zurück. Der Preis (den andere zahlen) ist den egal.
Im Moment geht es nur um die Frage, wie schubst man das Land in den “no deal” Brexit.
Das läuft auch ganz gut.
Jetzt wird gerade die “Sand in die Augen” Taktik bedient, also Hoffnung verbreiten. Aber am Freitag läuft das ganz ganz unspektakulär und der “deal” fällt durch.
“Klappe, Kamera aus”
vlg
bac
28. März 2019 @ 16:50
Zitat Holly01: „Die Tories mussten vor der letzten Wahl ALLE unterschreiben, dass die den Brexit aktiv betreiben, sonst gab es keinen Listenplatz.“
Im UK gilt doch Mehrheitswahlrecht. Wozu dann Parteilisten? Danke für Aufklärung!
Holly01
28. März 2019 @ 18:19
Hm, nicht unbegründet die Frage. Tatsächlich bin ich kein Spezie zu deren Wahlrecht, aber ich interpretiere das so, das gemeint ist/war (ich habe etliche Kommentare und Artikel und Meinungen gelesen), dass die Parteien ihre Wahlbezirke verteilen.
Die Leute stehen auf den Listen zugeordnet zu dem jeweiligen Wahlbezirk.
Ohne dem gibt/gab es wohl keine Unterstützung von der Partei.
Es scheint im UK eine relativ große Anzahl freier Kandidaten zu geben.
vlg
Holly01
28. März 2019 @ 11:49
Schauen wir doch einmal 3 Jahre zurück:
Das UK war vom Beitritt weg ein extrem schwieriger “Partner”. Oft galt als Argument schlicht “because we are the empire”, Gipfel der Unverschämtheiten war der Thatcher deal. Weil das UK ja soooo speziell ist.
Gleichzeitig hat das UK sehr viele geplante Entwicklungen der EU schlicht weg hintertrieben und blockiert. Es war ein ausgesprochen nerviger Fremdkörper.
Dazu kam ein Kern von britschen Politikern, die offen Schadenfreude gezeigt haben und Spass daran hatten die EU zu ärgern und oft auch zu quälen.
Das Referendum wurde nun von der (aus EU Sicht) bösartigsten Clique des UK betrieben.
Es wurde gelogen, verbogen und eingeschüchtert.
Das Referendum wurde durchgebracht. Der Brexit war “Realität”.
In Teilen der EU konnte man sich das erleichterte Lachen kaum verkneifen.
Vertrauen:
Die EU hat der Brexit Clique zu keinem Zeitpunkt auch nur das geringste Vertrauen entgegen gebracht. Das war auf der Gegenseite übrigens nicht anders.
Da saßen Feinde am Tisch. Zum Teil Feinde wider Willen, weil alle ja wußten das es Schwachsinn ist, aber eben Gegner in der Sache.
– “Nicht einer, sondern zwei Deals” Die EU ist in der WTO ein chronischer Sonderfall. Die “Welt” schaut über die permanenten Kontingent Verletzungen der EU hinweg. Beim UK wird sie das nicht tun. Es war überhaupt nicht möglich das vor ab zu verhandeln. Mit Vertrauen hätte man Absichtserklärungen abgeben können (hat man ja auch), aber daran geglaubt hat eben keiner. Weder am Verhandlungstisch noch draussen.
– “Grenzfragen separat verhandeln” Das hat man versucht. Aber Irland und das UK waren mit den Gesprächen schnell fertig. Beide Seiten bestehen auf dem Karfreitagsabkommen. Punkt. Beiden Seiten ist klar das der “no deal” das ad absurdum führt, aber das ist denen egal. Die Brexiter wollen vollständige Handlungsfreiheit und Irland geht davon aus, das das Karfreitagsabkommen mit dem (no deal) Brexit stirbt. Ende im Gelände. Für die EU war da gar keine Verhandlungsmasse.
– Die Rechte der EU-Bürger zuerst sichern” Entschuldigung, aber das UK hat die EU-Bürger schlicht als Geiseln genommen. Absprachen waren überhaupt nicht möglich. Die Antwort war immer “Erstens nehmen wir keine mehr auf und zweitens ist der Verbleib dann Sache der neuen Regeln im UK, die teilen wir Euch dann mit”. Punkt Ende Aus Und das ist bis heute Stand der Dinge. Völlig abseits aller 3 Monatsfristen, ist der zukünftige Status offen.
– “Es fehlt ein Plan B für das EU-Budget” Stimmt doch überhaupt nicht. Öttinger hat doch bereits angesagt, das man die Töpfe ausschöpfen wird und dann einfriert. Die weitere Haushaltsplanung übernimmt die neue Komission.
Was wir sehen ist eine feindliche Scheidung. Das ist auch das Problem im Unterhaus. Da steht schlicht weg bösartige Engstirnigkeit (tut der EU so weh wie möglich) gegen relative Vernunft (haltet den Gesamtschaden so niedrig wie möglich, wir bleiben Nachbarn).
Das bricht auch über alle Parteien und schafft völlig neue Konstellationen, mit denen das britische System überhaupt nicht umgehen kann, weil es schlicht nicht vorgesehen ist.
Also Vertrauen gab es nie und die noch Hoffnungen hatten, sind nun in der Realität angekommen.
Das wird eine extrem schmutzige Scheidung. Der Rosenkrieg ist absehbar.
Ich sehe schon BoJo der mit Trump auf seinem Golfplatz spielt und die “Ehrenmitgliedschaft” einsteckt, währen der Trumpi alle “Insider” Informationen zur EU anbietet.
Das UK wird ums Überleben kämpfen.
Die haben ABC und D (Derivate Bomben, aka tönerne Investment Banken) Waffen und die sind zu Allem bereit (zumindest ein Teil.
… und da ist immer noch dieser Zeitungsmogul. “Der dessen Namen nicht ausgesprochen werden” darf im Hintergrund. Zusammen mit einer Hand voll Milliardäre die vom Nullsteuer Paradies für Kapital und Handel träumt.
vlg