Die Kunst des Weglächelns

Langsam wird es eng für Spitzenkandidat Juncker. Ratspräsident Van Rompuy sägt schon öffentlich an seinem Ast, Kanzlerin Merkel reist zu einem Anti-Juncker-Treffen nach Schweden. Ein Lehrstück.

Es gibt verschiedene Arten, einen EU-Kandidaten zu demontieren. Man kann ihn knallhart mit einem Veto abschießen, man kann ihn mit immer neuen Forderungen weichkochen, oder man kann ihn am langen Arm verhungern lassen. Für welche Taktik wird sich Kanzlerin Angela Merkel im Fall Jean-Claude Juncker entscheiden?

Offiziell für gar keine. Noch am Donnerstag hat sich Merkel in einer Regierungserklärung zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei bekannt. Sie setze sich dafür ein, dass Juncker im Europäischen Rat – dem Gremium der 28 Staats- und Regierungschefs – „mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit“ nominiert werde, betonte sie.

“Mann der Vergangenheit”

Das klang fast so, als sei sie nun auch bereit, das kategorische Nein aus Großbritannien zu übergehen. Premier David Cameron stößt sich nicht nur am Verfahren –   das Europaparlament habe kein Recht, den Chefs einen Kandidaten aufzudrängen. Er stößt sich auch an der Person Juncker. Der Luxemburger sei ein Mann der Vergangenheit, so Cameron, es gehe jedoch um die Zukunft der EU.

Merkel lassen diese Argumente offenbar nicht kalt. Sie führe die Gespräche im „europäischen Geist“ und wolle niemanden ausgrenzen, betonte sie im Bundestag. Mehr noch: Es sei „grob fahrlässig, ja eigentlich inakzeptabel, mit welcher Lockerheit manche darüber sprechen, dass es doch eigentlich gleichgültig sei, ob Großbritannien nun zustimme oder nicht“.

Wie oft hat sie schon Politiker fallen lassen?

Da war sie wieder, die Merkel’sche Doppeldeutigkeit. Wie oft hat sie schon Politiker fallen gelassen, denen sie noch kurz zuvor kalt lächelnd ihre „volle Unterstützung“ zugesagt hatte? Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan, und nun Jean-Claude Juncker? Dass sie sich in der perfiden Kunst der heimlichen Demontage versteht, weiß man auch in Brüssel nur zu gut.

Die mächtigste Politikerin Europas hatte schon vor zehn Jahren bewiesen, dass sie missliebige EU-Kandidaten wegbeißen kann. Damals wollte Ex-Kanzler Gerhard Schröder den belgischen Liberalen Guy Verhofstadt zum Kommissionschef ernennen – was eine gute Wahl gewesen wäre. Doch Merkel, damals noch Oppositionsführerin, schmiedete mit Camerons Amtsvorgänger Tony Blair eine Intrige und hievte stattdessen José Manuel Barroso – den nun scheidenden, blassen EU-Kommissionschef – ins Amt.

Merkel hätte längst Fakten schaffen können

Wiederholt sich die Geschichte, schmiedet Merkel wieder ein Bündnis mit den Briten? Fest steht, dass sie schon längst Fakten geschafft hätte – wenn sie es denn wirklich wollte. Schon beim EU-Sondergipfel am Dienstag nach der Europawahl gab es eine qualifizierte Mehrheit für Juncker, berichten Teilnehmer. Wenn die Kanzlerin in die Offensive gegangen wäre, hätte sie Cameron geschlagen.

Stattdessen spielt sie auf Zeit – und auf Kungelei. Am Rande des G-7-Gipfels am Donnerstag in Brüssel steckte sie schon wieder mit Cameron zusammen, um über die Juncker-Frage zu sprechen. Das Treffen fand in der britischen EU-Vertretung statt – offenbar wollte man nicht gestört werden. Hinterher betonte sie, dass mit Großbritannien auch an der Festlegung der europäischen Politik für die nächsten fünf Jahre gearbeitet werde.

Nur zu deutsch-britischen Bedingungen

Damit ist die Lage klar: Schnelle Entscheidungen wird es nicht geben. Wenn Juncker noch eine Chance auf den Posten des Kommissionschefs haben sollte, dann nur zu deutsch-britischen Bedingungen. Was das heißt, zeigt die lange Liste gemeinsamer „Erfolge“: Sie reicht von der Kürzung des EU-Budgets über das unbedingte Festhalten am umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP bis zur Schweigespirale um die britischen Spionageangriffe auf EU und Nato.

Die Juncker-Gegner haben damit schon zwei Ziele erreicht: Sie haben eine rasche Nominierung nach der Europawahl verhindert. Außerdem wird Juncker nach und nach „eingemauert“: Die Staats- und Regierungschefs, allen voran Merkel, versuchen, ihn in ein Korsett aus inhaltlichen Vorgaben und personalpolitischen Zugeständnissen zu zwängen. Sogar die SPD spielt dieses Spiel mit – sie fordert einen wichtigen Kommissionsposten für ihren (unterlegenen) Spitzenkandidaten Martin Schulz.

“Aufpassen, dass wir Sieg nicht verspielen”

Der Luxemburger gibt sich zwar noch kämpferisch: Er werde vor den Briten „nicht auf die Knie fallen“, sagte er bei einer Sitzung seiner konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. Doch das Programm, das er dort vorstellte, sah schon Sonderrechte für London vor. Zudem schlug Juncker erstmals pessimistische Töne an: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Sieg nicht verspielen“, zitierte ihn die deutsche CDU-Abgeordnete Inge Gräßler.

Juncker ist in die Defensive geraten – während seine Gegner schon die nächste Offensive planen. In der kommenden Woche wollen sie sich in Schweden treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. An dem ungewöhnlichen Mini-Gipfel auf Einladung des bekennenden Juncker-Gegners Fredrik Reinfeldt nimmt neben Cameron auch noch der niederländische Premier Mark Rutte teil. Und natürlich die Kanzlerin.

Rompuys Verzögerungs-Taktik

Derweil zögert der offizielle Kandidaten-Sucher, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Entscheidungen heraus. Obwohl er schon beim EU-Sondergipfel vor zehn Tagen beauftragt worden war, Sondierungsgespräche zu führen, wartet Juncker immer noch auf einen Termin. Erst in der kommenden Woche will Van Rompuy mit den Fraktionschefs im Parlament über die heikle Personalie sprechen.

Die Verzögerungs-Taktik sorgt für massiven Ärger – und für neue Spekulationen. Van Rompuy handele auf Geheiß der Kanzlerin, heißt es. Außerdem habe er den mächtigen Generalsekretär des Rates, Merkels ehemaligen Europa-Berater Uwe Corsepius, im Nacken. Nach einem Bericht des österreichischen „Standard“ zieht Corsepius die Fäden im Netzwerk der „Juncker-Verhinderer“.

Wirft Juncker selbst das Handtuch?

Nachweisen lässt sich dies nicht – Corsepius agiert im Hintergrund, gibt kaum Interviews. Doch es ist schon auffällig, wie viele Juncker-Gegner im Umfeld der Kanzlerin agieren – und dass sich noch kein echter Befürworter geoutet hat. Merkel spielt ganz offensichtlich auf Zeit. Vielleicht hofft sie sogar, dass Juncker vorzeitig das Handtuch wirft. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie jemanden weggelächelt hat.

Dieser Beitrag erschien in der “taz” am Wochenende. Das Original steht hier. Siehe auch “Ziemlich beste Freunde” über die Buddies Merkel & Cameron