Ziemlich beste Freunde

Im Streit um den Kommissionsvorsitz soll der britische Premier Cameron mit dem EU-Austritt gedroht haben. Wenn das stimmt, stellt sich die Frage, ob sich Kanzlerin Merkel von diesem Erpressungs-Versuch beeindrucken lässt. Bisher waren sie ziemlich beste Freunde.

Es ist eine neue mediale Inszenierung. Nach dem “Duell der Spitzenkandidaten”, das keines war, und dem “Verrat der Kanzlerin”, kommt nun das Stück “Der böse Mann von der Insel”.

Es verspricht höheren Erregungswert, dabei wird es schon seit zwei Jahren aufgeführt. Immer, wenn ihm irgend etwas nicht passt, droht Cameron mit UKIP und dem EU-Austritts-Referendum.

Diesmal könnte es durchaus ernst sein. Schließlich ist Cameron der größte Verlierer dieser Europawahl, denn neben UKIP hat auch Labour zugelegt, seine Tories liegen am Boden.

Daraus sollte man aber nicht ableiten, dass Kanzlerin Merkel die Briten nun rechts liegen lässt. Eher ist das Gegenteil der Fall: Sie wird noch mehr Rücksicht auf Cameron nehmen.

Denn zum einen will Merkel Großbritannien unbedingt in der EU halten. Frankreich hat als privilegierter Partner ausgedient, mit London verbindet Berlin die neoliberale Doktrin und die Austeritätspolitik.

Zum anderen hat es Cameron geschafft, die Kanzlerin in vielen Themen auf ihre Seite zu ziehen. Hier stichwortartig eine Übersicht der Cameron-Merkel-Connection:

  • EU-Budget: Merkel schwenkte auf Cameron harte Linie ein und kürzte das 7-Jahres-Budget zum ersten Mal in der EU-Geschichte.
  • TTIP: Merkel und Cameron sind unbedingte Anhänger des Freihandels.
  • Datenschutzverordnung: Deutschland gehört mit Großbritannien zu den größten Bremsern.
  • NSA / GCHQ: Merkel und Cameron sind objektiv Komplizen bei der Vertuschung der Vertuschung des größten Abhörskandals der Geschichte; Merkel hat den britischen Geheimdienst aus der Schusslinie genommen.
  • FTT: Berlin nahm jahrelang Rücksicht auf den britischen Widerstand gegen die Finanzsteuer.
  • Entbürokratisierung: Auf Merkels Wunderwaffe Stoiber folgte Camerons “Smarter Regulation” und Barrosos “Refit”.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Sie zeigt, dass Cameron und Merkel längst eine “special relationship” entwickelt haben, die nahelegt, dass London de facto eine Art Vetorecht hat – auch bei der Juncker-Nachfolge!?

Das hieße, die UKIP-Stimmen ernster zu nehmen als die Mehrheit bei der Europawahl

Siehe auch “Europa ohne England?”