Die gute Nachricht aus Brüssel: Wirtschaft wächst auch im Krieg
Doch, es gibt sie noch – die guten Nachrichten aus Brüssel. Diese Woche: Die EU-Wirtschaft ist trotz der Schockwellen durch den russischen Angriffskrieg gewachsen.
Fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geht es der EU-Wirtschaft besser als erwartet. In der Zwischenprognose vom Winter wird der diesjährige Wachstumsausblick für die EU auf 0,8 Prozent und für den Euroraum auf 0,9 Prozent angehoben. Auch die Inflationserwartungen für 2023 und 2024 werden in der Prognose etwas zurückgenommen. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte: „Wir sind besser ins Jahr 2023 gestartet als erwartet: Die Rezessionsgefahr und das Risiko einer Gasmangellage haben nachgelassen, und die Arbeitslosigkeit bleibt so gering wie nie zuvor. Den Europäerinnen und Europäern stehen aber nach wie vor schwere Zeiten bevor. Angesichts kräftiger Gegenwinde wird weiterhin mit einer Abschwächung des Wachstums gerechnet, und der zehrende Einfluss der Teuerung auf die Kaufkraft wird in den kommenden Quartalen erst allmählich nachlassen.
„Dank unserer geeinten und umfassenden politischen Reaktion hat die EU dem Sturm, dem unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften seit 2020 ausgesetzt sind, standgehalten. Jetzt kommt es darauf an, die aktuellen Herausforderungen genauso entschlossen und ehrgeizig anzugehen“, führte Gentiloni weiter aus.
Nach einem robusten Wachstum in der ersten Jahreshälfte 2022 ließ die Wachstumsdynamik im dritten Quartal nach, allerdings etwas weniger als erwartet. Trotz außergewöhnlicher Negativschocks konnte die EU-Wirtschaft den in der Herbstprognose für das vierte Quartal erwarteten Konjunkturrückgang abwenden. Die jährliche Wachstumsrate für 2022 wird nun sowohl in der EU als auch im Euroraum auf 3,5 Prozent geschätzt.
EINORDNUNG: Den “Negativschock” hat die EU selbst herbeigeführt – durch ihren Wirtschaftskrieg gegen Russland. Nicht nur die Energieversorgung, auch die Luftfahrt, der Tourismus und viele andere Branchen leiden unter den Sanktionen. Geholfen hat die EU kaum, die meisten Gegenmaßnahmen kamen aus den Mitgliedsländern (z.B. der deutsche “Doppelwumms”). Nun wird die EU-Politik sogar zur Gefahr – wegen verschleppter Energiemarktreform, steigender Zinsen und einer Sparpolitik, die vielerorts bereits zu Protesten führt. Bemerkenswert auch, dass Deutschland besonders schlecht dasteht; die deutsche Wirtschaft könnte laut IWF-Prognose noch hinter Russland zurückfallen!
Mehr hier (Pressemitteilung der EU-Kommission). Mehr gute Nachrichten aus Brüssel hier.
Thomas Damrau
19. Februar 2023 @ 16:41
Sorry, es muss natürlich heißen:
“Das BIP der EU ist von 2000 bis 2021 im Schnitt ziemlich genau um 1% pro Jahr gestiegen.”
(2020 ist als Referenzpunkt wenig interessant.)
european
19. Februar 2023 @ 13:16
Das neue Gespenst der “Abhängigkeiten” mal vernünftig erklärt. Aber bei dem Wort Vernunft werden viele bestimmt sofort ihre Ohren zuklappen. Erst springen wir ohne Fallschirm, um von Russland “unabhängig” zu werden und jetzt wollen unsere Numpties auch noch China ausklammern. Alles der “Werte” wegen, verstehste ;).
Hellmeyer klärt auf. Über scheinbare Abhängigkeiten und die hohe Kunst der Diplomatie.
https://youtu.be/7zyoCtRn-1o
Thomas Damrau
19. Februar 2023 @ 12:48
@european
Das ist richtig.
Mir ging es um zwei Punkte:
1) Man kann das BIP nicht betrachten, ohne die im gleichen Zeitraum gemachten Schulden ebenfalls zu betrachten: 2% Wachstum des BIP bei 5% des BIP neue Schulden ist kein Kunststück.
2) Die Fähigkeit, Schulden zu machen, ist zwischen den Ländern des Globus sehr ungleich verteilt – was Sie ja auch sagen.
european
19. Februar 2023 @ 13:13
Generell sollten die Investitionen (Schulden) überwiegend von den Unternehmen gemacht werden, denn dort spielt die Musik. Dort finden die Innovationen statt (sollten sie jedenfalls). Aber in den letzten Jahrzehnten wurden in allen Industrienationen die Unternehmen “entlastet” und zu Nettosparern gemacht. Also müssen die Staaten die Schulden machen, ganz besonders wenn sie ihren Bürgern ununterbrochen predigen, dass sie für das Alter sparen sollen ;). Womit denn?
Das Geld liegt auf der Bank. Jaja 😀
Thomas Damrau
19. Februar 2023 @ 12:41
@ebo + @Michael Erhard
Die Zahl ist sicher inflationsbereinigt.
Spannender ist, was das BIP steigert:
– Jede deutsche Granate, die in der Ukraine verschossen wird, wird nachbestellt werden und Umsatz erzeugen.
– Die Ahrtal-Flut ist ein gigantisches Konjunktur-Programm für diese Region über Jahre.
– In den letzten Jahrzehnten wurden (in Deutschland) schrittweise eher anrüchige Umsatzgeneratoren wie Schwarzarbeit, Drogenhandel, Prostitution, … ins BIP hineingeschätzt, um die Zahlen erbaulicher zu machen.
– Jedes Antidepressivum, das 2020-2022 gegen den Corona-Blues verschrieben wurde, hat das BIP gefördert. Ebenso jedes Streaming-Abo gegen die Langeweile und jeder Frustkauf im Internet (der dann in endlicher Zeit wegen Nutzlosigkeit im Müll landet).
– 2022 wurde von vielen der Urlaub nachgeholt, der 2020/2021 nicht möglich war.
Außerdem ist der Blick auf die jährlichen Steigerungsraten (gerade in unruhigen Zeiten) oft irreführend: 10% runter und im nächsten Jahr 10% rauf bedeutet nicht “jetzt sind wir wieder, wo wir zuvor waren”, sondern -1%.
Interessanter ist der langfristige Trend ( https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_08_10/default/line?lang=en ): Das BIP der EU ist von 2020 bis 2021 im Schnitt ziemlich genau um 1% pro Jahr gestiegen. Alle gemeldeten größeren Wachstumsraten waren Kompensation für frühere Einbrüche.
Von 2018 – 2021 ist das EU-BIP auf der Stelle getreten. Es gab also 2022 einen großen Nachholbedarf.
Thomas Damrau
19. Februar 2023 @ 11:10
Wirtschaftswachstum ist ein heikler Indikator für Wohlstandmehrung.
Mal abgesehen von den Kollateralschäden, die unsere Art des Wirtschaftens hervorruft: Ich habe den Eindruck, dass im Augenblick Unmengen von Geld ins System gepumpt werden – um das System einigermaßen stabil zu halten – , die auf der anderen Seite oft als “Über-Umsätze” in den Bilanzen auftauchen.
Wenn ich bereit bin, endlos Schulden zu machen (auch wenn man den Schulden kreative Namen gibt wie “Wiederaufbau-Fond”, “Sondervermögen”, …), kann ich selbst in der größten Not noch BIP-Wachstum generieren.
So funktioniert die Wirtschaft der USA seit Jahrzehnten: Schulden pro Kopf inzwischen $ 100.000 (Deutschland $ 30.000) pro Kopf.
Das sind dann dieselben Spechte, die anderen Ländern Austeritäts-Programme verordnen. So viel zum Thema “Popularität” des Westens in Afrika und Lateinamerika.
european
19. Februar 2023 @ 12:35
Unser Geldsystem basiert auf Schulden, bzw. Schulden und Sparen meint dasselbe, nur aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet. Der Geldkreislauf beginnt immer mit dem Kredit, während der Sparvorgang am Ende dieses Kreislaufes liegt. Man kann in diesem System nicht zuerst sparen.
Schulden sind notwendig. Es muss nur geklärt werden, WER sie macht. Deutschland macht es sich da einfach und verschuldet das Ausland. Die Welt hat aber kein Ausland und somit ist das keine Lösung für alle Länder.
Michael Erhard
19. Februar 2023 @ 10:42
Frage: Sind die Zahlen inflationsbereinigt? Heißt also 1% Wachstum bei 10% Inflation, dass wir ein nominelles Wachstum von 11% hatten? Das wäre dann ziemlich nichtssagend, denn die Inflationsrate I ist ja das Ergebnis einer Mixkalkulation und eine kleine Änderung am Warenkorb kann eine große Änderung von I bewirken.
ebo
19. Februar 2023 @ 11:18
Ja, die Zahlen müssten inflationsbereinigt sein (auch wenn ich in der PM keinen Hinweis finde).
KK
18. Februar 2023 @ 13:14
“In der Zwischenprognose vom Winter wird der diesjährige Wachstumsausblick für die EU auf 0,8 Prozent und für den Euroraum auf 0,9 Prozent angehoben.”
Ist bekannt, wieviel davon allein auf die Rüstungsindustrie fällt?
Oder sogar weit darüber hinaus, um Verluste anderswo auszugleichen und das Bild zu schönen?