Die EU verliert in Frankreich, die Nato führt in der Ukraine – und Orban?
Die Watchlist EUropa vom 09. Juli 2024 – Heute mit dem europäischen Katzenjammer nach der Wahl in Paris, dem alliierten Kriegs-Kommando in Wiesbaden und ganz viel bösem Blut in Brüssel.
Frankreich hat gewählt – und die EU schweigt. Auf den ersten Blick ist das überraschend. Sollten sich die EU-Politiker nicht freuen, dass die Gefahr einer weiteren Rechts-Regierung (nach Italien, den Niederlanden und bald wohl auch in Belgien) abgewendet wurde?
Können Kommissionschefin von der Leyen und Ratspräsident Michel der französischen Linken nicht ebenso selbstverständlich zum überraschenden Wahlsieg gratulieren wie der britischen Labour-Partei?
Nein – können sie nicht, und wollen sie auch nicht. Denn zum einen hat ausgerechnet der EU-Kritiker Mélenchon die meisten Stimmen für die Linken geholt. Vor Mélenchon haben viele in Brüssel noch mehr Angst als vor Le Pen.
Ohne Linke geht in Paris nichts mehr
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Zum anderen hat diese Wahl gezeigt, dass es keine Mehrheit für Präsident Macrons liberale Partei und seine Europapolitik gibt. Macrons “Ensemble” hat fast 100 Parlamentssitze verloren, ohne die Linke geht in Frankreich nichts mehr.
Damit hat sich der Trend der Europawahl bestätigt. Die Franzosen wollen weder Macron noch von der Leyen. Sie wollen die von Brüssel gedeckte Rentenreform rückgängig machen und den Strompreis nicht am liberalisierten EU-Markt, sondern am liebsten wieder national regeln.
Man mag das für unvernünftig und unrealistisch halten. Man mag sich eine “große Koalition” der “Pro-Europäer” nach “deutschem Vorbild” wünschen. Doch ein Blick auf die Ampel in Berlin zeigt, wie schwach dieses “Vorbild” ist.
Bardella schlägt Macron – in Brüssel
Die Wahrheit ist, dass nicht nur Macron, sondern auch die EU in Frankreich verloren hat. Das neue Führungstrio von der Leyen, Costa und Kallas verspürt keinen Rückenwind – weder in Paris, noch in Brüssel oder Straßburg.
Denn dort übernimmt ausgerechnet der Franzose Jordan Bardella die Führung der neuen rechtsradikalen Fraktion der “Patrioten”. Derweil fällt Macrons liberale “Renew” vom dritten auf den fünften Platz zurück.
Dabei war Macron angetreten, die ewige Herrschaft der EVP zu beenden und die Liberalen zur Nummer 1 zu machen. Nun hat er nicht nur die Rechten, sondern auch die Linken gestärkt, und die EU-treue Mitte geschrumpft…
Siehe auch “Macron hat verloren – sein EUropa auch” und “Brexit à la francaise”
News & Updates
- Nato übernimmt Kommando in der Ukraine. Nun ist es offiziell: Die Nato führt Krieg in der Ukraine. Kurz vor Beginn des Jubiläums-Gipfels in Washington erklärte Noch-Generalsekretär Stoltenberg, dass die Allianz die Verantwortung für die “security assistance” – also für Waffen, Munition und Aufklärung – übernehmen wird. Dazu wird ein eigenes Nato-Kommando mit “mehreren hundert” Mitarbeitern in Wiesbaden geschaffen. Die Kampf-, pardon, Verteidigungs-Mission soll von einem deutschen Drei-Sterne-General geführt werden, heißt es in Berlin. Kriegspartei will man aber trotzdem nicht sein – offiziell sind ja keine boots on the ground…
- Brüssel prüft Corona-Hilfe für Lufthansa. Die EU-Kommission leitet eine Untersuchung zu den milliardenschweren Staatshilfen für die Lufthansa während der Corona-Pandemie ein. Damit soll geklärt werden, ob die Hilfen im Einklang mit europäischen Regeln waren.
- Zweifel an EU-Milliarden für Strukturförderung. Die EU-Strukturfördermittel fließen oft nicht korrekt. Die Ausgabenprüfung sei nicht scharf genug, bemängelt der EU-Rechnungshof in einer Analyse. Es geht um rund 427 Milliarden Euro aus dem Sieben-Jahres-Budget!
Das Letzte
Und was macht Orban? Der ungarische Regierungschef kann’s nicht lassen – nach unerlaubten Besuchen in Kiew, Moskau und Peking will Orban nun auch noch nach Washington reisen, den Nato-Gipfel aufmischen und seinen alten Kumpel Trump besuchen. Darf er das? Kann man ihn ungestraft “Europas letzten Diplomaten” spielen lassen? Scherz beiseite und IRONIE OFF – diese Frage wird in Brüssel tatsächlich und sogar immer lauter gestellt. Nicht auszuschließen, dass es am Rande des Nato-Gipfels zum Eklat kommt, und dass die EU-Granden versuchen, Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft wieder zu entziehen. Habeck hat sich schließlich auch schon beschwert 🙂
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european
10. Juli 2024 @ 13:58
Derweil geht UrsulaGate weiter. France-Soir berichtet ausfuehrlich. Frederic Baldan laesst sich nicht abschuetteln.
https://www.francesoir.fr/politique-monde/ursulagates-convocation-l-audience-du-9-juillet-2024-remise-par-huissier-au
Die EPP zeichnet sich durch konsequentes Nicht-Erscheinen vor Gericht aus, weshalb diesmal die entsprechenden Gerichtsunterlagen persoenlich mit einem Gerichtsoffiziellen an den EPP Generalsekretaer ueberbracht wurden. Die Reaktion ist ebenso konsequent: Keine Ahnung, noch nie etwas davon gehoert oder gelesen, kann ich sowieso nicht unterschreiben etc. Muss er auch nicht. Die Unterlagen wurden unter Zeugen persoenlich uebergeben und die EPP kann sich nicht mehr rausreden, dass sie nichts bekommen hat. Interessant auch, dass der Generalsekretaer der EPP in Bruessel weder franzoesisch noch flaemisch spricht, also hat man in Englisch kommuniziert. France-Soir wollte ein Interview mit Weber, der aber nicht zu sprechen war.
Morgen geht es weiter. Dann wird das Ergebnis der Anhoerung verkuendet.
Klaus
9. Juli 2024 @ 13:39
Hallo,
dass der RN im 2.Wahlgang auf den 3. Platz gekommen ist – gut so. Wahrscheinlich hatten sie mit ihren 33 % im 1.Wahlgang ihr Potenzial schon weitgehend ausgeschöpft. Spekulationen über Frankreichs Drift in den ‘Faschismus’ fand ich ohnehin nicht überzeugend.
Wie es wg. Regierungsbildung weiter gehen könnte, dazu zunächst was von Le Monde (ihr Team der Decoudeurs; in EN):
https://www.lemonde.fr/en/les-decodeurs/article/2024/07/08/who-will-govern-france-four-questions-to-understand-what-happens-after-the-election_6677397_8.html
Die Volksfront (NFP) beansprucht einen Ministerpräsi, will bald einen Vorschlag machen. Wäre aber eine Minderheitsregierung, und NFP ist genauso heterogen wie NUPES zuvor.
Strategisch wg. LFI: LFI will keine Koalition mit LR und den Macronisten. Und die Macronisten keine Koalition mit LFI. Die Macronisten werden deshalb versuchen, NFP aufzubrechen. Die Chefin der Grünen sprach ja auch schon von einem Sieg der Sozialisten & Grünen, ohne LFI zu erwähnen.
NFP hat sich in ihrem Wahlprogramm bereits für die weitere militärische Unterstützung des Selensky-Regimes in der Ukraine ausgesprochen. Zur Außenpolitik entscheidet ohnehin der Präsident Macron (Amtszeit bis 2027). Und zu anderen Themen (Rente etc.) kann er stets wg. der von De Gaulle ererbten Verfassung Projekte der NFP blockieren, stoppen, mit eigenen Dekreten regieren. Er hat nix mehr zu verlieren, regierte ja ohnehin fast nur mit Dekreten am Parlament vorbei.
Eine NFP-Minderheitsregierung würde deshalb m.E. nix Veritables liefern können. Wenn Sozis & Grüne bei Macron andocken wollen – dann haben die den ‘schwarzen Peter’. RN wird dann noch mehr aufdrehen – Polarisierung RN vs. LFI wird weiter zunehmen.
Die Freude über das vorläufige Scheitern des RN ist verständlich. Aber für eine realistische Analyse hilft das nicht viel. Es braucht stets eine konkrete Analyse einer konkreten Situation (Lenin). Frankreich steht durchaus nicht vor einem ‘Linksruck’.
exKK
9. Juli 2024 @ 12:49
„Kriegspartei will man aber trotzdem nicht sein…“
„Man“ steckt schon so tief drin, dass diese Entscheidung einzig und allein in Russland fallen wird.
fubar
9. Juli 2024 @ 12:36
„dass die Allianz die Verantwortung für die “security assistance” – also für Waffen, Munition und Aufklärung – übernehmen wird.“
Ist es offiziell oder gesichert dass die Aufklärung Teil dieser der“Sicherheitsunterstützung“ ist? Falls ja, wie lautet dann die Begründung dass Aufklärung nicht eine die Schwelle zur Teilnahme überschreitende Auswahl der Ziele (WissDienst BT) durch Deutsche sei?
„Hey guck Iwan, da drüben stehen Putinorgeln. Ich geh mal eine rauchen.“
Arthur Dent
9. Juli 2024 @ 10:44
…welche Position hat eigentlich Habeck in der EU, dass er bestimmen kann, wer für Europa sprechen oder handeln darf.
(Wie ebo richtig anmerkt, ist Orban nicht nur der letzte Diplomat der EU, sondern auch der einzige. Kann ja sein, dass Orban falsch liegt, aber macht überhaupt mal was).
Arthur Dent
9. Juli 2024 @ 08:42
Hihi, “Pro-Europäer” nach “deutschem Vorbid” – der ist gut. Man kann entweder Pro-Europäer sein oder Transatlantiker. Beides geht nicht. Ohne Erlaubnis der Amerikaner traut sich eine deutsche Regierung nicht mal zu atmen.
ebo
9. Juli 2024 @ 09:01
Richtig, aber nach deutscher Lesart sind “Pro-EUropäer” und Transatlantiker doch Synonyme! Alle sollen es machen wie wir – mit einer “dienenden Führungsrolle” gegenüber den USA und einer ganz großen Koalition von Hofreiter über Strck-Zimmermann bis von der Leyen, wenn es um die EU geht 🙂
Helmut Höft
9. Juli 2024 @ 13:33
“Alle sollen es so machen wie wir” Och nö, nicht schon wieder “Am deutschen Wesen …”
Bogie
9. Juli 2024 @ 07:47
Und all dies wird begleitet von der Vorbereitung und in Teilen schon Anwendung autoritärer Methoden in der Innenpolitik, wie Amnesty International konstatiert:
https://www.german-foreign-policy.com/
Abweichende Meinungen können eben nicht geduldet werden – Grundgesetz hin, Menschenrechtscharta her – nicht auf der Ebene der Staatschefs (Orban, Fico), nicht in den Parlamenten (Volksfront, BSW) und schon gar nicht auf der Straße.
Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder dahergelaufene Hansel eine eigene Meinung hätte und diese womöglich auch noch vertreten wolle.
Gesetze gegen ausländische Agenten? Furchtbar demokratischädlich außer im Westen!
Friedensinitiativen?
Furchtbar demokratieschädlich außer durch immer mehr Waffen!
Klimaschutz?
Furchtbar demokratieschädlich außer durch „grünes Wachstum“!
Meinungsfreiheit?
Furchtbar demokratieschädlich außer im vorgegebenen Meinungskorridor!
Stef
9. Juli 2024 @ 07:42
„Nicht auszuschließen, dass es am Rande des Nato-Gipfels zum Eklat kommt, und dass die EU-Granden versuchen, Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft wieder zu entziehen.“
Das wäre zu begrüßen! Nicht dass Orban für seine Bemühungen zu kritisieren ist, im Gegenteil. Aber es wäre ein Beitrag zu mehr Ehrlichkeit und Transparenz im Wertewesten, dass Gesetze und Spielregeln nur gegen Minderheit und Opposition in Stellung stehen, niemals aber den Spielraum des Establishments begrenzen.
Michael
9. Juli 2024 @ 09:47
Interessante Hypothese. Sollten allerdings Orban‘s Sondierungen Teilerfolge oder gar Erfolge zeitigen würde es schwer werden für das Establishment sich länger durchzusetzen!?
Bogie
9. Juli 2024 @ 10:29
Kurz bevor sich ein solcher Erfolg einstellen könnte, würde sie, wie damals im April 22, einen durchgeknallten Transatlantiker nach Kiew schicken, der dem Prozess flugs ein Ende bereitet.
Keine Sorge also: Vor November oder Januar passiert da nix; jedenfalls kein Frieden.
Michael
9. Juli 2024 @ 07:13
Dass die Grünen auch qua Habeck lieber Krieg statt Sondierungen wollen war mir klar!